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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Sie blieb stumm und begann sich anzukleiden, aber es wollte heute gar nicht recht gehen mit dem Frisiren, die zitternden Hände machten wohl dreimal die schweren Flechten wieder auf, und die Rose wollte gar nicht ihren Platz finden.

„Es ist ja gut, es sitzt ja sehr schön!“ meinte Tante Lott. „Du bist doch sonst nicht so eitel.“

Ja sonst, gute Tante Lott. Sie hatte ja keine Ahnung, für wen sich das Kind dort schmückte.

Endlich stand sie fertig.

„Tante Lott, mir ist heute so angst!“ Sie zitterte wirklich nervös.

„Ja, was fehlt Dir, Kind? Du bist kalt geworden im Schlitten.“

„Nein, nein, komm nur, Tante!“

„Willst Du nicht ein paar Tropfen Eau de Cologne nehmen, Else?“

Sie antwortete nicht, sie stand schon wieder regungslos, und ihre Augen sahen seltsam verklärt in das leere Nichts. Ihren Namen meinte sie wieder zu hören – „Else!“ und noch ein paar einfache Worte: „Glück! Was ist denn Glück, wenn nicht dieser Augenblick?“

Seine Stimme hatte so wunderbar geschwankt dabei. Von den Eltern hatte er ihr gesprochen auf der Heimfahrt, wie gut und wie lieb die Mutter, wie sie ihn so gern auf seiner Geige spielen hörte. Der Vater habe sie auch einst gespielt; er erinnere sich gar wohl, wie er, ein kleiner Junge, in der Dämmerung auf dem Schooße der Mutter gesessen, andächtig lauschend, während der Vater spielend auf und ab geschritten sei im Gemach. Zuweilen habe er dann den Bogen sinken lassen und sei herüber gekommen, um Mutter und Kind zu küssen. Ach ja, die kleine Geige habe schon viel Glück gesehen, darum singe sie auch gar so süß. – Ach, Glück! Was ist Glück, wenn nicht dieser Augenblick?

Und ihre Hände lagen plötzlich in einander, und Else hatte weinen müssen; und unter Thränen lachte doch das junge Herz und betete und jubelte, und über ihnen breitete sich der funkelnde Sternenhimmel aus.

„Else, komm, ich bitte Dich!“ flehte Tante Lott, „ich glaube, wir sind die Letzten.“

Sie folgte der grauen Seidenschleppe wie im Traume; ihr bangte, daß sie ihn wiedersehen sollte da unten im hellen Kerzenlicht, und doch schlug ihr Herz schwer und voll.

In der glänzend erleuchteten Halle und den anstoßenden Salons wogte schon Alles durch einander; in Moritzen’s Zimmer waren Spieltische aufgestellt und Frau von Ratenow hielt bereits eine Whistkarte in der Hand. Sie sprach mit einem älteren Herrn, als Else zu ihr trat, um ihr die Hand zu küssen. Die alte Dame starrte sie einen Augenblick frappirt an, das Mädchen war ja bildschön heute Abend; beinahe scheu strich sie über die Wangen und folgte ihr mit den Augen, als sie durch die bunte Menge schritt, den Kopf ein klein wenig gesenkt und doch so stolz, die köstliche Gestalt in dem knappen weißen Kleide, durch das Hals und Arme rosig schimmerten. Neben Annie Cramm blieb sie stehen. Die junge Dame schaute sonderbar verdrießlich und spitz unter dem Kranze weißer Maßliebchen hervor; in ihrer fliederfarbenen Toilette mit der überreichen Garnitur von Spitzen und gleichen Blumen sah sie aus, als habe ein Kleiderkünstler eine Wachsfigur in das Schaufenster gestellt, um für ein neues Costüm Reclame zu machen. Es war Alles so ausgesucht an ihr, von den blaßlila Atlasschuhen bis zum Spitzenfächer aus kostbaren Points und dem Schmetterlinge aus Brillanten, der so leuchtend und prätentiös sich auf dem bescheidenen Halse der jungen Dame wiegte.

„Was das für eine Takelage ist, die jetzige Mode!“ murmelte Frau von Ratenow; „ich wundere mich, daß die Annie Cramm tanzen kann in diesen festgeschnürten Röcken. Hilf, Himmel, und wie es aussieht!“

Die ersten Töne des Walzers waren durch den Saal gebraust, wie elektrisirt hatten sich die Paare zusammengefunden; es war ein prächtiges Bild in dem reichen Rahmen.

„Wo ist Else, Lottchen? Ich sehe sie nicht mehr,“ fragte die alte Dame.

„Dort, dort!“ rief die Angeredete, die eben hinzugetreten war. „Ratenowchen, das Kind tanzt nicht, sie fliegt!“ rief sie in Ekstase und nahm die Lorgnette, dem Lieblinge mit entzückten Augen folgend.

„Da ist noch Lust an der Sache, meine Gnädige,“ bemerkte der alte Herr mit goldener Brille; „mein Gott ja, achtzehn Jahre!“

„Sagen Sie, bester Justizrath,“ fragte Frau von Ratenow, „sind Sie nicht Anwalt des Bennewitzer Hegebach?“

„Ich habe den Vorzug, gnädige Frau.“

„Nun –?“

„Nun, der Major ist abgewiesen mit seiner Klage, natürlicher Weise.“

„Versteht sich,“ nickte Frau von Ratenow; „weiß er es schon?“

„Heute wird es ihm zugeschickt worden sein, gnädige Frau. Ich bin übrigens neugierig, wie es wirkt.“

Frau von Ratenow sah dem Sprecher plötzlich ganz besorgt in das Gesicht. „Glauben Sie, daß er sich dabei beruhigt?“

„I bewahre,“ erwiderte der Gefragte. „So lange der alte Rappelkopf noch Athem hat, so lange kräht er auch.“

Der Tanz war beendet, man zog sich in die Nebenzimmer zurück oder auf die reizenden Plätzchen unter den Lorbeerbüschen und der Orangerie. Bernardi hatte Else in Frieda’s kleines Boudoir geführt; das Mädchen suchte die Herrin desselben, um ihr ein wenig die Pflichten der Wirthin erleichtern zu helfen. Es war Niemand dort, bis auf die zwei kleinen blonden Mädchen, die in ihren sehr kurzen weißen Kleidern auf der Chaiselongue der jungen Frau über eines von Mamas schönen Büchern gerathen waren. Frieda’s große Dogge saß verständnißvoll dabei.

Else setzte sich auf eins der niedrigen Fauteuils neben die Kinder und begann mit ihnen zu plaudern. Die Aelteste legte das Buch auf ihre Kniee. Es war ein wunderliebliches Bild, und sie fühlte, wie seine Blicke bewundernd auf ihr ruhten. Sie sah empor, und ihre Augen fanden sich, bis sie, tief erröthend, wieder die Wimpern senkte.

„Nun fangen wir bald zu lernen an,“ sagte das junge Mädchen und strich der Aeltesten das Haar aus der Stirn.

„Ich kann schon lesen, Tante Else, paß’ auf!“ Und das Kind las, mit dem kleinen Finger auf die Buchstaben zeigend, die Unterschrift eines Bildes:

„Die Minne überwindet alle Ding –
Du lügst! sprach der Pfenning.“

Else betrachtete das Bild; es war eine Illustration zum „Altdeutschen Witz und Verstand“. Ein Brautzug stieg die Stufen zur Kirche hinauf, der junge Patricier führte die prächtig geschmückte Braut, die ganze stattliche Sippe der Beiden wogte hinterdrein. Abseits davon stand ein Mädchen in ärmlicher Kleidung, keinen Schmuck als zwei lange blonde Zöpfe tragend; sie hatte dem Zuge den Rücken gewandt, die Schürze vor das Gesicht geschlagen und weinte. Bernardi sah über Else’s Schultern auf das Blatt.

Die kleine Blonde fragte, ob dem Onkel das Bild gefalle? Er antwortete nicht.

„Bernardi, oh – auf ein Wort,“ schlug plötzlich die Stimme des Lieutenants von Rost an sein Ohr. Er schritt über den weichen Teppich dem Cameraden nach.

„Was willst Du, Rost?“ fragte er im Nebenzimmer.

„Bernardi,“ sagte der Officier und nahm den Kneifer aus dem Auge, „Du und ich, wir haben immer ein ehrlich Wort von einander vertragen können; ich spreche es auch heute wieder: Gehe auf Urlaub eine Weile, oder laß Dich versetzen oder heirathe meinetwegen die Annie Cramm –“

Bernardi wurde blaß bis in die Lippen. „Du mußt Dich deutlicher erklären, Rost.“

„Deutlicher? Gern – Du hast Schulden, mon ami, wenn auch keine leichtsinnigen, Du hast weder Erbonkel noch -Tante, und Dein Alter besitzt alles mögliche Schätzenswerthe, nur keine irdischen Güter. Noch deutlicher?“ setzte er fragend hinzu. „Schwer verständlich scheint Dir allerdings Manches zu sein, sonst hättest Du aus Ratenow’s höchst gezwungener Haltung Dir gegenüber längst die allgemeine Ansicht herauslesen können, die über Deine Beziehungen zu diesem gastfreien Hause cursirt. – Ich weiß allerdings nicht, wie weit Du bist, und ob Du noch zurücktreten kannst; meiner Theilnahme für den Fall, daß dies nicht mehr möglich, bist Du sicher.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_090.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2020)