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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)
4.

Nun kamen für das Dschapei gute Zeiten – wenigstens hätte man das nach dem stillfriedlichen Verlaufe der zwei ersten Wochen seines Almaufenthaltes glauben mögen.

Rings um die Griesalmhütte lag das herrlichste Weideland – und da hatte das Dschapei vom lieben Morgen bis zum späten Abend keine andere Mühe noch Sorge, als auf den weiten Grasflächen umher zu trippeln, sich die saftigeren Kräutchen zwischen dem zäheren Berggrase heraus zu knappern und, wenn es vom Aesen sich ermüdet meinte, zu schläfriger Rast den Schatten eines dichten Latschenbusches aufzusuchen.

Und auch seine junge Herrin war mit der Art und Weise zufrieden, in der ihr jeder Tag verlief. In der ersten Zeit war es ihr freilich schwer geworden, mit all der vielen, vielen Arbeit zurecht zu kommen, da sie mit der Beaufsichtigung und mit dem Eintreiben ihrer vierzehn Pfleglinge manche Stunde versäumen mußte. Doch lernten die Thiere bald ihre Stimme kennen – und wenn dann immer der Abend kam, trat sie nur vor ihre Hütte, trommelte mit einem Stecken auf die Sohle eines ihrer Holzschuhe und rief dazu mit schallender Stimme in die dunkelnde Luft hinaus:

„Hoi, hoi – Küh’ da – hoi, hoi – Küh’ da – hoi – hoi!“

Schon immer bei ihrem ersten Rufe klang dann die Glocke der Scheckin, das Geläute der anderen Schellen mischte sich dazu, näher und näher tönend, bis alle vierzehn Thiere brüllend und eifersüchtig sich drängend die junge Sennerin umringten.

So hatte Nannei schon in der zweiten Woche ein behaglicheres Arbeiten. Freilich verschlimmerte sich die Sache wieder auf kurze Zeit, als sie in den ersten Tagen des Juli den Umzug nach dem eine Wegstunde höher gelegenen Trischübl vollführte, nach jenem kleinen Almthale, welches eingesenkt liegt zwischen die Hundstodgruppe und das Tabakmandl, einen kahlfelsigen Vorberg des großen Watzmann.

Gleich an dem Morgen, der dem Umzuge folgte, pilgerte Nannei in Begleitung ihres Dschapei über die grobsteinigen, von dichtem Latschengestrüpp überwucherten Rauhenköpfe nach jener Schlucht, aus welcher die Sigerethwand emporsteigt zu steiler und gewaltiger Höhe.

Eine Weile starrte sie hier mit feuchten Augen an den drohenden Felsen empor, dann schritt sie hinweg über die Breite der Schlucht, kniete nieder auf das rauhe Geröll, und den Kopf an die kalte Steinwand lehnend faltete sie die Hände zu langem und brünstigem Gebete für die arme Seele ihres Vaters, der an dieser Stelle sein Leben hatte lassen müssen.

Inzwischen kletterte das Dschapei über die brüchigen Felsen empor, soweit das eben anging, und zupfte von den Grasbüscheln, die über einzelne Wandvorsprünge herniederhingen.

Wer kann es wissen – vielleicht hatte das rauchende Blut des Gestürzten gerade den mageren Wasen gedüngt, dem jene Gräser entsproßten.

Als Nannei sich erhob, fühlte sie sich leichter im Herzen, das ihr auf dem Herwege gar schwer und traurig gewesen war – und wohlgemuther kehrte sie zurück zu ihrer Arbeit.

Die Tage vergingen, einer fast wie der andere.

Kam dann immer die Feierstunde, so setzte sich Nannei auf die kleine Holzbank zur Seite der Hüttenthür und besserte ihr Gewand, eine volksthümliche Weise halblaut vor sich hinsummend; oder sie lehnte, die Hände hinter dem Nacken verschlungen, den Kopf an die verwitterte Hüttenwand und starrte in stillen Gedanken stundenlang empor zum felsumgrenzten Himmel, an dem die lieblichen Sterne sacht erglühten. Da kam der Abendwind vom Thal heraufgezogen, strich summend über die Steine und flatterte geheimnißvoll durch die mageren Zweige der Krüppelföhren; da klang von den ragenden Wänden hernieder ein räthselhaftes Brummen, ein gedämpftes Knattern, wohl auch der schrille Pfiff einer Gemse und der häßlich krächzende Schrei der kreisenden Aasvögel; da tönte ferneher der späte Ruf eines Spechtes, leis in der Ferne auch wieder verschwebend; und da erwachte auch in Nannei’s Busen so ein seltsames Bangen, und in ihrem Herzen erwuchs die Sehnsucht nach menschlichem Verkehre.

Zumeist wohl verschlief das Mädchen in der Nacht solch eine Stimmung wieder, manchmal aber hielt sie dennoch an durch Tage und Tage – und Nannei empfand es dann als eine gewisse Beruhigung, wenigstens einen Menschen in ihrer nächsten Nähe zu wissen, wenngleich sich derselbe kein Bröselchen um sie bekümmerte.

So etwa fünfhundert Gänge von ihrer Hütte stand auf einem höher gelegenen Hügel das aus Brettern und Balken gefügte Jägerhäuschen, in welchem zur Zeit ein älter, mürrischer Jagdgehülfe stationirte, welcher abwechselnd vom Zipperlein und vom Hexenschuß geplagt wurde und mit jedem Tage seine Pensionirung erwartete, um die er längst schon nachgesucht hatte. In den vierzehn Tagen, welche Nannei nun schon am Trischübl zugebracht, hatte sie von dem unfreundlichen Alten kaum einen verständlichen Gruß erhalten, geschweige denn, daß er einmal in ihrer Hütte zugesprochen hätte.

Sie wunderte sich also nicht wenig, als sie eines Mittags schwere Tritte gegen ihre Schwelle poltern hörte. Was mochte der Alte nur wollen? Und das mußte er wohl sein – wer anders hätte auch kommen können?

„Jetzt paß auf, Dschapei,“ rief sie ihrem Liebling zu, der sich an der Kante der Herdbank die eine Schulter scheuerte, „jetzt kriegen wir gar an seltenen B’such.“

„Hat’s Dich ’leicht verdrossen, Deandl, daß ich net schon lang amal ’kommen bin?“ klang von draußen her eine laute, lachende Stimme.

Nannei erschrak und wandte blitzschnell das Gesicht der Thür zu.

Da stand Korbini vor ihr.

„No also – grüß Dich Gott, schöns Deandl Du!“ sagte er, dem Mädchen seine Hand entgegenreichend. „Wie hat sich denn Deine Zeit angelassen, da heroben auf der Alm?“

„Ich danke Dir schön – bis heut bin ich recht z’frieden g’wesen,“ erwiderte Nannei, die dargereichte Hand übersehend, mit gerunzelter Stirn und schaffte emsig weiter an der Säuberung ihrer Milchgeschirre.

„Uijeh, uijeh – Du bist ja ’leicht da heroben noch stolzer ’worden?“ quetschte Korbini durch die spottend verzogenen Lippen. Dabei schritt er auf die Herdbank zu, und um sich Platz zu machen, puffte er mit dem Knie das Dschapei bei Seite.

Dieses machte ein paar erschreckte Sprünge, sah den Burschen an, schüttelte den Kopf und hüpfte mit klunkerndem Schweife zur Thür hinaus.

Wie war’s da draußen so schön, in der warmen, lachenden Sonne! Lauschend blickte das Dschapei in der Runde umher, und als es vom kleinen Rauhenkopf die Glocke der Scheckin herniedertönen hörte, sprang es in munteren Sätzen dem Steige zu, der in vielen Windungen da hinaufführt über die klotzigen Felsen. Aesend aber verließ es bald den Weg, zwängte sich hier durch ein dichtes Gestrüpp, sprang dort über eine schmale Steinkluft und fand sich plötzlich vor dem jähen Absturze des Rothleitengrabens. Wie es nun hier hinabstarrte in das tiefliegende Griesthal, sah es auf dem Pfade, der von da unten zum Trischübl emporleitet, einen Menschen einhergestiegen kommen, dessen Gewand und Mütze von der Farbe der dunkelgrünen Latschenbüsche war. Weiße Metallknöpfe blitzten auf seiner Brust, und über die Schulter hatte er eine Büchse hängen gleich einem Jäger.

Lange jedoch konnte diese Erscheinung Dschapei’s Interesse nicht in Anspruch nehmen, und so trollte es am Rande des Abgrundes dahin, bis sich der Felsgrund vor ihm in eine Mulde von der Gestalt eines riesigen Kessels versenkte. Das war die Hundstodgrube. So weit hatte sich das Thier bei seinen früheren Aesungsgängen noch nie gewagt. Nun stand es und schaute umher in der herrlichen Runde. Hier zu seiner Rechten spannte sich in weitem Bogen das rothsteinige Leitengeschröff um ein Dritttheil des Kessels; zu seiner Linken baute sich, gegen Norden die Sigerethwände bildend, in ernsten, massigen Formen der Gejaidberg empor,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_098.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2020)