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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der Verleger der Heine’schen Werke, Herr Campe in Hamburg, der ganze Stöße Heine’scher Original-Manuscripte besitzt, erkannte auf den ersten Blick die augenfällige Echtheit des Memoiren-Manuscriptes an. – Die „Gartenlaube“ wird zudem eine Blattseite des Manuscriptes demnächst in facsimilirtem Abdruck den Lesern mittheilen, um einen möglichst weiten Richterkreis über die Frage nach der Echtheit mit entscheiden zu lassen.

Ich würde an dieser Stelle nicht so großen Nachdruck auf die Echtheit des Manuscriptes legen, – da für mich wie für jeden Kenner der Handschrift Heine’s selbst nach flüchigstem Blick jeder Zweifel ausgeschlossen war – müßte ich nicht befürchten, daß von derselben Seite, von der schon oft grundlose Erklärungen über Heine-Fragen abgegeben worden, auch in diesem Falle der Einwand der Unechtheit erhoben werden wird. Herr Gustav Heine nämlich, der Bruder Heinrich Heine’s – es geht nicht an, den Namen zu verschweigen – hat zu wiederholten Malen, schon zu Lebzeiten der einzigen Erbin Heine’s, nämlich seiner Gattin, sich als den Generalerbpächter der Angelegenheiten und Hinterlassenschaft seines Bruders aufgethan. Vor einigen Jahren hat er kategorisch erklärt, die Memoiren Heinrich Heine’s befänden sich in seinem Besitz und würden niemals veröffentlicht werden.

Es ist weder ganz unmöglich noch unwahrscheinlich, daß Herr Gustav Heine ein Manuscript mit Memoiren seines Bruders an sich gebracht. Fern von mir, dies zu bestreiten. Ich glaube es, nicht allein weil er es selbst versichert hat – denn einige andere seiner Versicherungen haben sich als vollkommen unrichtig erwiesen, so die bezüglich der Echtheit eines jetzt im Besitz des Herrn Campe in Hamburg befindlichen Originalporträts Heinrich Heine’s.[1] Nachdem ihm dessen Echtheit unwiderleglich bewiesen, griff er die Aehnlichkeit an.

Die Wittwe Heine’s hat an Gustav Heine nicht eine Zeile ausgeliefert – das hat sie auf’s Bestimmteste Strodtmann gegenüber erklärt. Folglich sind Manuscripte, deren Inhalt Memoiren, in Gustav Heine’s Besitz schon vor des Dichters Tode übergegangen. Auf welche Weise, dafür liegen nur Vermuthungen vor. Daß Heine diese Memoiren seinem Bruder nicht als ein rein literarisches, brüderliches Geschenk überwiesen, ist unzweifelhaft; über seine Beziehungen zu Gustav Heine hat der Dichter sich an zahlreichen Stellen seiner Briefe sehr unverhohlen, oft schonungslos ausgesprochen. Eine kleine Probe liefert folgende Stelle eines Briefes Heinrich Heine’s an seinen Freund Merckel (aus München, 1828): „Willst Du Mord und Todtschlag verhindern, so gehe zu Campe und sage ihm, daß er alle Briefe, die für mich bei ihm ankommen mögen, auf keinen Fall an meinen Bruder Gustav gehen soll. Denk’ Dir, dieser hat die Impertinenz gehabt, Briefe, die ihm Campe für mich gegeben hat, zu erbrechen und mir – den Inhalt zu schreiben! Ich berste vor Wuth! Mein Bruder, dem ich nicht die Geheimnisse meiner Katze, viel weniger die meiner Seele anvertraue!“

Geldnoth war es, welche Heinrich Heine veranlaßt hat, an seinen Bruder die Memoiren auszuliefern, und zwar im Anfange des Jahres 1851. Heinrich Heine hat seinem Verleger im Frühlinge 1851 eröffnet, daß er das Manuscript seiner Memoiren an Gustav Heine verpfändet habe. Dies ist der einzige Besitztitel von Heine’s Bruder; ob dieser ausreicht, den Besitzer – falls er noch Besitzer ist – zu der Unterdrückung der Memoiren zu berechtigen, bleibe hier unerörtert; aber es soll einmal öffentlich ausgesprochen werden, daß der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Memoirenbesitzes Gustav Heine’s so lange zulässig ist, wie der Besitzer keinerlei Beurkundung des Besitzwechsels aufweisen kann. Es wäre sogar eine sehr interessante Rechtslage, wie Herrn Gustav Heine’s Memoirenbesitz bei einer Klage auf Herausgabe an die rechtmäßigen Erben Heinrich Heine’s fahren würde, zu denen Herr Gustav Heine nicht gehört.

Das Gerede, die österreichische Regierung habe Herrn Gustav Heine die Memoiren abgekauft und bewahre sie in ihren bombensichersten Gewölben auf, ist ein einfältiges Märchen und endlich in die Rumpelkammer zu verweisen. Welches Interesse könnte die österreichische Regierung an dem Besitze der Memoiren Heine’s haben?! Oder meint man ernstlich, Heine habe in seinen Memoiren nichts Angelegentlicheres auszuplaudern gehabt, als österreichische Staatsgeheimnisse? Die paar Ausfälle gegen das österreichische Regiment aus den Jahren vor 1848, welche sich sehr wahrscheinlich darin befunden haben, waren doch leicht zu beseitigen oder sie würden, wenn gedruckt, schwerlich staatsgefährlicher gewirkt haben, als zahllose andere Stellen bei Heine und seinen Zeitgenossen gegen Oesterreichs Regierung in der Zeit des Absolutismus.

Sonach steht die Frage nach Heine’s Memoiren zur Zeit so. Mit der Abfassung derselben ist er schon in den 20er Jahren beschäftigt gewesen, wie aus einem Briefe an Ludwig Robert hervorgeht, worin es heißt: „Vielleicht erleben Sie es noch, meine Bekenntnisse zu lesen und zu sehen, wie ich meine Zeit und meine Zeitgenossen betrachtet.“ In den 30er Jahren scheint Heine ernsthaft an den Memoiren gearbeitet zu haben, denn schwerlich hat er in seinem Briefe aus dem September 1840 an Julius Campe ohne sichere Unterlage gesagt: „Selbst wenn ich heute stürbe, so bleiben doch schon vier Bände Lebensbeschreibung oder Memoiren von mir übrig, die mein Sinnen und Wollen vertreten und schon ihres historischen Stoffes wegen, der treuen Darstellung der mysteriösesten Uebergangskrise, auf die Nachwelt kommen.“ – Und so ließen sich noch viele Briefstellen Heine’s anführen, aus denen die Arbeit an seinen Memoiren lange vor seinem Tode mit Sicherheit hervorgeht.

Verwickelt wird nun der an sich einfache Sachverhalt durch folgende Umstände. Im August 1850 hat Alfred Meißner, ein durchaus einwandfreier Zeuge, Heine’s eigene Angabe über die fortschreitende Arbeit an den Memoiren gehört. In einem für eine deutsche Zeitung geschriebenen Artikel über den Dichter hatte Meißner gesagt: „Heine ist beinahe fortwährend mit der Composition von Gedichten beschäftigt, wenn auch seine Hand kaum die Feder zu führen vermag.“ Diese Stelle hatte Heine im Manuscript gelesen, als er Meißner lebhaft unterbrach: „Nein, nichts von Gedichten! Mit der Composition seiner Memoiren beschäftigt! Mit der Composition seiner Memoiren!“ – und änderte dementsprechend selbst die betreffende Stelle in Meißner’s Manuscript ab. Kurz darauf mag Heine seinem Bruder die Memoiren verpfändet haben. Ich bemerke hierbei, – was bis jetzt stets übersehen worden, – daß Heinrich Heine die Ueberlassung seiner Memoiren an Gustav Heine nicht als eine endgültige angesehen hat; in einem Briefe an Campe sagt er über jenes Pfandgeschäft: „Von meinem Bruder habe ich seit seiner Abreise noch keine Nachricht, obgleich er wichtige Dinge für mich zu besorgen hat. Ich denke ihm so bald als möglich bis zum letzten Sou zurück zu bezahlen, was er mir vorgeschossen. Er ist bei aller brüderlichen Liebe seines krakehligen Charakters wegen nicht die geeignete Person, der ich eine Einmischung in meine literarischen Angelegenheiten vertrauen dürfte.“

Nun erzählt aber Alfred Meißner, wohl der regelmäßigste Gast Heine’s aus dessen letzten Lebesjahren: „Heine schrieb die Memoiren mit Bleistift auf großen Foliobogen nieder,[2] da er in seinem Bette kein Tintenzeug brauchen konnte, und zeigte mir mehrmals, wie viel schon davon vorhanden sei; ich schätzte 1854 den Umfang derselben auf 3 Bände.“ Und abermals will Alfred Meißner die Memoiren gesehen haben, nach dem Tode Heine’s, als er mit Herrn Julia, dem Rechtsbeistande der Wittwe Heine’s, dessen Papiere ordnete, und bei dieser Gelegenheit habe er den Umfang der Memoiren auf 600 Bogen geschätzt. Da nun aber zwischen der ersten von Meißner wiedergegebenen Aeußerung Heine’s über die Memoiren aus dem August 1850 und deren späterem angeblichen Anblick aus den Jahren 1854 und 1856 eben jene Verpfändung an Gustav Heine erfolgt ist, so muß Alfred Meißner sich in seinen nachmaligen Schätzungen geirrt haben. Die Glaubwürdigkeit Meißner’s über die Sache selbst ist unzweifelhaft, und da andrerseits aus den Jahren nach der Verpfändung der Memoiren an Gustav Heine mehrfache schriftliche Aeußerungen Heinrich Heine’s über seine Arbeit an den

  1. Eine von dem Künstler, Oppenheim, selbst angefertigte Copie dieses sehr ähnlichen Heine-Bildes befindet sich im Besitz der Wittwe des berühmten Sprachforschers Theodor Benfey in Göttingen. – Herr Gustav Heine hatte frischweg behauptet, – er, der seinen Bruder in dessen letztem Jahrzehnt nur sehr flüchtig gesehen – es gebe gar kein Oelporträt Heinrich Heine’s. Die „Gartenlaube“ wird durch eine Veröffentlichung des Oppenheim’schen, sowie eines bisher ganz unbekannten, zweifellos echten, in meinem Besitz befindlichen Originalportraits Heine’s (von Gassen aus dem Jahre 1828) Herrn Gustav Heine eines andern belehren. E. E.     
  2. Dies stimmt durchaus mit dem Charakter des von der „Gartenlaube“ zu veröffentlichenden Manuskripts überein.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_102.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)