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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

daß es kein Recht mehr giebt, daß sie mir gestern den Bettel in’s Haus zurückgebracht haben, weil – na, weil eben ich es bin; wenn der Bennewitzer ich wäre und ich er, so fiele das Butterbrod natürlich nicht wieder auf die fette Seite.“

Else schwieg; ihr that der Kopf so weh, und es war ja auch so gleichgültig, was nun noch kam im Leben.

„Aber der Teufel soll mich holen, lasse ich die Karre so stecken; ich gehe weiter, und wenn ich bis ans Reichsgericht gehen muß und dabei verhungern sollte! Und was meinst Du,“ fuhr er fort und schlug mit der geballten Hand auf den Tisch, „da läßt mir dieser Mensch, der kein Jota Recht mehr hat wie ich, noch einmal ein Almosen anbieten und läßt mir sagen, er würde heute noch selbst erscheinen bei mir! Hast Du je so etwas für möglich gehalten? Er soll nur kommen, die Siethmann soll ihn nur hereinlassen, ich bin gerade in der rechten Stimmung.“

Ach, war es denn nicht entsetzlich trostlos und öde in der Welt? In der Welt, wo Alles sich nur dreht um den Besitz; in der Welt, wo selbst das edelste und reinste Gefühl des Menschenherzens den erbärmlichsten Interessen weichen muß? Es ekelte dem Mädchen vor dem Reichthum, vor der Macht des Geldes; ihr Glaube, ihre Liebe, ihre Ideale, sie lagen in den Staub getreten – und so sollte sie leben? Sie fuhr mit beiden Händen an die Schläfen, als der alte Mann wieder begann zu schelten.

„Papa, laß doch!“ bat sie. „Es ist ja ganz gleichgültig – ich brauche nichts.“

Sie schwiegen Beide. Else stand am Ofen und sah in das unwohnliche verräucherte Zimmer; draußen tröpfelte das Schneewasser eintönig in der Dachrinne und dann und wann scholl ein Laut von der Straße herauf. Jetzt Schritte, die Hausthür wurde aufgemacht und die Schritte kamen die Treppe herauf. Sie verließ das Zimmer.

„Bleiben Sie unten, Herr von Hegebach,“ bat sie leise und bog sich über das Geländer der Treppe.

„Warum? Ich muß meinen Vetter sprechen.“

„Papa ist so aufgeregt,“ klang es zurück.

„Sie sehen bleich aus, gnädiges Fräulein, beirrt es Sie, wenn ich –?“

„Papm ist krank, glaube ich,“ wandte Else ein.

„Kann ich mit Ihnen reden, gnädiges Fräulein?“

„Mit mir? O ja – aber –“

„Wo?“ ergänzte er.

„In der That – ich wüßte nicht –“

Die Siethmann kam herzu und schloß eine Thür auf. „Es ist ganz ordentlich und auch nicht zu kalt, Elschen.“

Es war eine schmale Kammer, in der sie nun standen; im Hintergrunde der Aepfelvorrath der alten Frau, eine Truhe, mit grellbunten Blumen bemalt, und ein Kleiderschrank, dazu zwei Spinnräder und eine Haspel, und über dem Ganzen lag der Duft des Obstes. Der letzte fahle Abendschein brach durch das kleine Fenster und beleuchtete das vornehme Gesicht des Bennewitzer Hegebach.

„Ich komme, um noch einmal mit dem Papa zu sprechen; er macht sich doch nur unnütze Aufregungen und Kosten, gnädiges Fräulein; seien Sie überzeugt, daß er keinen Erfolg haben wird von einem erneuten Vorgehen, und daß ich es tief beklage, ihn –“

„Ich habe gar keinen Einstnß auf Papa,. Herr von Hegebach,“ antwortete Else.

„Das thut mir leid! Aber Sie können ihm doch vielleicht sagen, daß ich noch immer bereit bin, meinen damaligen Vorschlag aufrecht zu erhalten.“

„Papa nimmt kein Geld geschenkt,“ klang es kühl zurück.

„Aber warum fassen Sie das so auf?“ fragte er, ebenfalls kühler werdend. „Ich biete ihm ja nur die Zinsen eines Capitals an, das ich nicht aus dem Gesammtbesitz herausziehen darf.“

„Ich verstehe davon nichts, mein Herr!“ war die Antwort.

„Sie sollten trotzdem meine Absicht bei Ihrem Herrn Papa vertreten, in seinem und in Ihrem Interesse, liebe Nichte.“

„In Papas Interesse? Er will für sich nichts. Und ich, ich danke Ihnen sehr.“

„So sprechen nur Mädchen in Ihrem Alter, die noch nicht wissen, was es heißt –“

„Kein Geld zu haben – arm zu sein?“ unterbrach ihn fragend das junge Mädchen, und die ganze Bitterkeit ihrer Seele drängte sich auf die zitternden Lippen. „Ich weiß es, Herr von Hegebach, man lernt es ja bald im Leben! Wenn Gott gerecht wäre, er erschaffte keine armen Mädchen, oder er ließe sie wenigstens gleich gefühllos und ohne Herz zur Welt kommen!“

Er war unwillkürlich zurückgetreten und starrte auf den kleinen schmerzverzogenen Mund, der diese Worte eben ausgesprochen.

„Woher kommt diese Bitterkeit?“ fragte er endlich; „andere Mädchen in Ihrem Alter weinen höchstens, wenn ihnen eine Enttäuschung bereitet wird.“

„Ich habe keinen Grund zum Weinen,“ erwiderte sie kurz.

„Ich möchte nicht so fortgehen, Else von Hegebach,“ begann er nach einer Pause, „es ist mir, als thäte ich unrecht, ließe ich Sie in der bitteren Stimmung zurück. Versprechen Sie mir wenigstens, es noch einmal in Erwägung zu ziehen, was ich vorhin sagte; es ist kein Almosen, es ist ein Recht, welches Ihnen zusteht.“

„Ich glaube nicht, daß Papa –“

„Aber Sie doch!“

„Ich? O, ich habe mein Gouvernanten–Examen gemacht!“ Es war wieder der alte, bittere Ton. Fast höhnisch klang es.

„Sie haben den Starrkopf des Papas,“ sagte er, nach dem Hut greifend. „An wen muß ich mich wenden, der etwas Macht über Sie besitzt?“

„Ich fürchte, Sie suchen vergebens nach einer solchen Persönlichkeit, Herr von Hegebach.“

„Adieu, gnädiges Fräulein!“ – Sie neigte leicht den Kopf, und er ging.

Als das Mädchen allein war, lehnte sie die Stirn gegen die getünchte Wand; wie ein Stöhnen klang es durch die kleine Kammer, und wie ein Sturm schüttelte es den schlanken Körper.

„Wer war da?“ fragte der alte Herr verdrießlich, als sie wieder zu ihm eintrat.

„Der Bennewitzer, Papa.“

„Und Du hast ihn nicht zu mir gelassen?“

„Ich sagte ihm, Du seiest nicht wohl; er wollte Dir auch nur noch einmal die Jahresrente anbieten.“

„Hole ihn der – –,“ brauste der alte Herr auf; „es ist der sicherste Beweis, daß er in schlechten Schuhen steht.“

„Soll ich bei Dir bleiben, Papa? Willst Du noch Thee?“ fragte sie.

„Nein! Ich gehe zu Bette, mir ist nicht ganz recht.“

„Laß mich doch hier!“ Sie war im Dunkeln ganz nahe zu ihm getreten; nun lagen ihre Hände auf seiner Schulter.

„Ei was, Else! Sieh mal, was willst Du hier?“ Es klang fast sanft.

„Ich denke manchmal, ich gehöre zu Dir, Papa.“

„Ja, ja! Aber dann müßte ich nicht eben ein Bettelmann sein, Kind.“

„Ob es nicht dennoch anginge, Papa?“

Sie erhielt keine Antwort. „Da sieh mal, Else,“ sagte er endlich, „der Bennewitzer hat nicht Kind noch Kegel, und wenn es gerecht zuginge, so müßtest Du das Alles einst bekommen. Ja, aber eben weil Du ein Mädchen bist, – es steht ja expreß in dem niederträchtigen Testament: Töchter sind von der Erbfolge definitiv ausgeschlossen.“

Sie knieete plötzlich neben ihm und legte ihren Kopf auf seine Hand.

„Und,“ fuhr er fort, „das wurmt mich noch alle Tage, daß Du kein Bub bist – nicht um meinetwegen, nein, um Deinetwillen. Deine Mutter schrie auf vor Schreck, als man ihr sagte, Du seiest ein Mädchen; wir hatten gemeint, Du müßtest absolut ein Bursch sein. Ihr letztes Wort war noch: ‚Ach, ein Mädchen! Ein armes kleines Mädchen!‘ Na ja, es ist nun so; Du mußt halt sehen, wie Du durchkommst, Kind. Aber versprich mir mal eins – wenn ich todt bin – – gethan habe ich freilich nichts, daß Du mich arg lieb haben könntest; alle anderen Menschen thaten mehr für Dich – die Ratenow und der Moritz – aber man kann sich seinen Vater ja nicht aussuchen auf der Welt, Else.“

„Nein, Papa, und ich kann ja auch nichts dafür, daß ich ein armes Mädchen bin,“ sagte sie kindlich, und zwei große Thränen rollten auf die Hand des alten Mannes.

„Nun, weine nur nicht, Kind, weine nur nicht!“ Er war schon wieder nervös. „Du mußt auch gehen, Else, es wird schon so finster.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_107.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2020)