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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Nannei blickte erröthend zu Boden. „Steige Du voraus!“ bat sie mit schüchterner Stimme.

Da huschte auch über Festei’s Wangen ein leichtes Roth, und abgewandten Gesichtes schritt er an dem Mädchen vorüber, um den steilen, unbequemen Pfad emporzusteigen, achtsam seine Last vor jedem Stoße bewahrend.

Nannei folgte ihm auf dem Fuße – und als sie Beide droben am Rande der Schlucht wieder Seite an Seite standen, sagte der Jäger:

„Geh, Deandl, sei so gut und hebe mir mein Gewehr auf und häng’ mir’s um d’Achsel ’rum!“

„Na, na, Festei, das trage ich Dir schon – und Dein’ Bergstock auch. Geh nur, geh nur zu, Festei!“

So schritt er voran, das Mädchen hinter ihm her, die Büchse des Jägers auf dem Rücken, seinen Bergstock über die Schulter geschlagen.




5.

Das war in den nächsten Stunden ein Hasten und Sorgen in Nannei’s Hütte!

Festei war nach dem Jägerhäuschen hinauf geeilt und hatte ein Schächtelchen mit Harzsalbe herbei gebracht, sowie ein Päckchen altes, mürbes Linnenzeug, das er sich zum Gewehrputzen mit auf den Berg genommen. Indessen hatte Nanner ihrem Liebling zur Seite des Herdes aus weichem Heu ein Lager aufgeschüttet und noch dazu ihre eigene Wollendecke darüber gebreitet. Auch hatte sie ein Feuer angeschürt und ein Geschirr mit Milch hinzugesetzt.

Nun begann die Cur.

Festei rieb dem Dschapei für’s Erste die Nüstern mit Enzian und flößte ihm einen Trunk frischen Wassers ein, der das Thier sichtlich erquickte. Dann kauerten sie sich alle beide, der Jäger und das Mädchen, vor das Lager des Patienten – und während Festei dem Dschapei an den verletzten Stellen das Fell schor und die mit lauer Milch gereinigten Wunden theils vernähte, theils nur verpflasterte, mußte Nannei den gebrochenen Fuß, den zersprengten Huf und die geprellte Schulter mit kaltem Wasser behandeln, damit sich die Geschwulst um ein weniges legen möchte. Als Festei mit seiner ersten Aufgabe zu Ende war, hieß er Nannei eifrig in ihren Bemühungen fortfahren. Er schnitt nun aus einem kliebigen Spaltholzscheite dünne, biegsame Schindeln, die er mit einem scharfkantigen Glasscherben glättete. Dann stach er aus dem geschlagenen Lehmboden der Hütte mit seinem Waidmesser zwei große Brocken heraus, zerbröselte sie und verrührte den so gewonnenen Lehmsand mit Wasser zu einem dicken Brei, in den er zerriebene Heusplitter und kurzgefaserte Linnenfäden mischte.

„Was ich fragen will, Nannei – hast denn an Spagat, oder sonst ’was zum Binden?“

„Ja, Festei – geh nur ’nein in mein Schlafkammerl; unterm Kreister steht a Schachtel, da is a Wuckerl[1] Strickgarn drin und a paar Böpperln[2] ganz a dicker Zwirn.“

Festei suchte das gewünschte Bindematerial hervor und trug dann alles Zubereitete vor das Lager des Patienten.

„So, jetzt laß’ nur gut sein, Nannei,“ sagte er, auf die Kniee sich niedersenkend, „jetzt mußt Du’s halten, ’s Lamperl, derweil ich den Fuß einrichte. Und wann siehst, daß ihm die G’schicht weh thut, nachher mußt net gleich auseinander sein – weißt – es geht halt net anders – ich muß ihm a bißl weh thun, wann ich ihm helfen will.“

„Ich will mich schon z’samm’ nehmen, Festei – ja – g’wiß,“ betheuerte Nannei und folgte den Anordnungen, die ihr der Jäger nun gab.

„Hast es fest?“

„Ja, Festei, ja!“

„No also –“ murmelte der Jäger zu einem schweren Seufzer, faßte mit der einen Hand die Schulter, mit der anderen das Kniegelenk des gebrochenen Fußes und fing gemach, doch kräftig zu ziehen an.

„Soooodala!“ sagte er, als der Knochen mit hörbarem Knack in die Bruchstelle klappte, und mit fröhlichen Blicken nickte er dem Mädchen zu, dem die Thränen in den Augen standen.

Das Dschapei hatte sich bei dieser Procedur unerwartet tapfer gehalten, kaum daß es den Hals ein wenig gereckt und ein bischen mit den unverletzten Füßen gerappelt hatte. Ob es wohl begriff, daß alles, was um sein Lager her vorging, zu seiner Rettung und Heilung geschah?

Nun wurde der eingerichtete Fuß geschindelt, mit dem Lehmbrei dick verstrichen, mit Linnenstreifen vielfach umwunden und schließlich fest mit doppeltgenommenem Garn verknüpft. Dann kam die Reihe an den zersprengten Huf. Die Splitter wurden ausgelöst, die Wunde wurde gewaschen, verpflastert und mit weichem Verbande umgeben. Auch mit der ausgerenkten Schulter des anderen Fußes kam Festei bald zurecht. Er drückte und schob und zog und rückte, bis das Gelenk sich wieder richtig bewegen ließ. Ein Verband war hier nicht nöthig, nur eine Fortsetzung der Kaltwasser-Behandlung. Nach alledem wurden dem Dschapei noch die Hinterfüße gefesselt, um es zu ruhigem Liegenbleiben zu zwingen.

„So – weiter können wir zwei nix mehr helfen – jetzt muß sich alles andere von selber machen,“ sagte Festei, sich erhebend. Er warf einen raschen Blick auf die plumpe, silberne Uhr, die er aus einem kleinen Täschchen des Hosengurtes hervorzog. „Sapperlot – halb zehne schon! No also – jetzt paß auf, Nannei! Jetzt laßt Du ’s Lamperl a halbe Stund’ so liegen, damit ’s a bißl verschnaufen kann – nachher giebst ihm a laaflete[3] Milli und ’leicht a g’weicht’s Brod – aber ja net z’viel – und wenn’s das nimmt, nachher giebst ihm am Nachmittag a recht a schöns Gras – gelt?“

„Ja – schon – aber –“ sagte Nannei, mit traulichen Augen zu dem Gesichte des Jägers aufblickend, „gehst denn jetzt fort?“

„Ja freilich, Deandl, ich muß ja mein’ Grenzgang machen. Weißt – im Dienst – da därf ich nix versaumen.“

„Na, na – um Gotteswillen net! Das möcht’ ich selber net haben,“ eiferte Nannei. „Aber – ich hab’ nur g’rad g’meint, ob net ’was essen möchst. Hast Dich doch so viel ’plagt!“

„Es is net so arg, Nannei – und was g’schehen is, das is gern g’schehn. Aber jetzt kann ich nimmer bleiben – am Abend ’leicht, da wann mich einladst, da – ja! Und somit b’hüt’ Dich Gott, Deandl – und – wann dem armen Viecherl da wieder besser wird, g’wiß, das sollt’ mich freuen, weil gar so dran hängst. B’hüt’ Dich Gott also, b’hüt’ Gott!“

Nannei fand kein Wort der Erwiderung; stumm nur reichte sie dem Jäger die Hand entgegen.

Mit kräftigem Drucke umspannte Festei diese Finger, tauchte zu einem langen Blicke sein Auge in das ihre, und mit einem nochmaligen, leisen „Gott b’hüt’ Dich, Deandl!“ wandte er sich ab und verließ mit hastigen Schritten die Hütte.

Ihm langsam folgend, trat Nannei unter die Thür und schaute ihm nach, bis eine Senkung des Weges seine schlanke Gestalt verdeckte.

Eine Weile blieb sie noch sinnend stehen, dann strich sie die kleinen Zaushärchen aus der Stirn und ging an ihre Arbeit – und merkwürdig! Sie hatte doch bis zum Abend über Hals und Kopf zu thun, nachdem sie den Morgen und den halben Vormittag versäumt, und dazu nahm ihr noch die Speisung und Pflege des Dschapei viele, viele Minuten weg – es hätte ihr also wohl die Zeit wie im Fluge vergehen sollen! Und dennoch ward ihr der Tag so unerträglich lang, so lang, wie kein Tag noch auf den Bergen ihr geworden war.

Wie dann der Abend näher und näher rückte, überkam sie ein seltsames Gefühl von Unruhe und Bangigkeit, und es wollte ihr keine Mühe mehr schicklich und recht von der Hand gehen. Ein und das andere Mal mußte sie in der Arbeit inne halten, mußte sich die Stirn und die glühenden Wangen streichen und die beiden Hände auf den jungen, schwellenden Busen pressen.

Nannei meinte, das wäre Angst – Angst, daß Festei sie schelten möchte, da sie ja so leicht wohl irgend etwas in der Pflege des Dschapei versäumt oder versehen haben könnte.

Während sie noch darüber nachsann, in wieweit ihre Verrichtungen mit Festei’s Rathschlägen übereinstimmten, ließ sie plötzlich das glücklicher Weise schon geleerte blecherne Milchgefäß, das sie just in die Kammer tragen wollte, mit leisem Schrei zu Boden fallen und eilte fliegenden Schrittes der Hüttenthür zu.

Das war ein Juhschrei gewesen – und nun klang es von Neuem über die Höhe des Berges hernieder, erst in einem langgezogenen,

  1. Kreuzweis gewundenes Knäul.
  2. Kleine, rundgewundene Knäulchen.
  3. Lauwarme.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_119.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2020)