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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

da ich sie in einer Charaktristik Grabbes aufzeichnen wollte[1]; diese kam nie zu Stande und auch in meinem Buche del'Allemagne konnte ich Grabbes nur flüchtig erwähnen.

Obige Notiz ist mehr an den deutschen als an den französischen Leser gerichtet, und für letzteren will ich hier nur bemerken, daß besagter Dietrich Grabbe einer der größten deutschen Dichter war und von allen unseren dramatischen Autoren wohl als derjenige genannt werden darf, der die meiste Verwandtschaft mit Shakespear hat. Er mag weniger Saiten auf seiner Leyer haben als Andre, die dadurch ihn vielleicht überragen, aber die Saiten, die er besitzt, haben einen Klang, der nur bei dem großen Britten gefunden wird. Er hat dieselben Plötzlichkeiten, dieselben Naturlaute, womit uns Shakespear erschreckt, erschüttert, entzückt.

Aber alle seine Vorzüge sind verdunkelt durch eine Geschmacklosigkeit, einen Cynismus und eine Ausgelassenheit, die das Tollste und Abscheulichste überbietet, das je ein Gehirn zu Tage gefördert. Es ist aber nicht Krankheit, etwa Fieber oder Blödsinn, was dergleichen hervorbrachte, sondern eine geistige Intoxikation[2] des Genies. Wie Plato den Diogenes sehr treffend einen wahnsinnigen Sokrates nannte, so könnte man unseren Grabbe leider mit doppeltem Rechte einen betrunkenen Shakespear nennen.

In seinen gedruckten Dramen sind jene Monstruositäten sehr gemildert, sie befanden sich aber grauenhaft grell in dem Manuskript seines „Gothland“, eine Tragödie, die er mir einst, als er mir noch ganz unbekannt war, überreichte[3] oder vielmehr vor die Füße schmiß mit den Worten: ich wollte wissen was an mir sey, und da habe ich dieses Manuskript dem Professor Gubitz gebracht, der darüber den Kopf geschüttelt und um meiner los zu werden, mich an Sie verwies, der eben so tolle Grillen im Kopfe trüge wie ich und mich daher weit besser verstünde, – hier ist nun der Bulk!

Nach diesen Worten, ohne Antwort zu erwarten, troddelte der närrische Kauz wieder fort, und da ich eben zu Frau von Varnhagen ging, nahm ich das Manuskript mit, um ihr den Erstling eines Dichters zu verschaffen; denn ich hatte an den wenigen Stellen, die ich las, schon gemerkt, daß hier ein Dichter war.

Wir erkennen das poetische Wild schon am Geruch. Aber der Geruch war diesmal zu stark für weibliche Nerven, und spät, schon gegen Mitternacht, ließ mich Frau von Varnhagen rufen und beschwor mich um Gotteswillen, das entsetzliche Manuskript wieder zurückzunehmen, da sie nicht schlafen könne, solange sich dasselbe noch im Hause befände.

Die Ehrenrettung einer Mutter ist überall an ihrem Platze, und der fühlende Leser wird die oben mitgetheilten Aeußerungen Grabbes über die arme Frau, die ihn zur Welt gebracht, nicht als eine müßige Abschweifung betrachten.

Jetzt aber, nachdem ich mich einer Pflicht der Pietät gegen einen unglücklichen Dichter entledigt habe, will ich wieder zu meiner eigenen Mutter und ihrer Sippschaft zurückkehren, in weiterer Besprechung des Einflusses, der von dieser Seite auf meine geistige Bildung ausgeübt wurde.

(Fortsetzung folgt in Nr. 10.)



  1. Nach einer brieflichen Mittheilung an August Lewald hatte Heine sie 1837 begonnen.
  2. Vergiftung, Trunkenheit.
  3. Im Jahre 1822.




Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Solange die Beiden aßen, sprachen sie kein Wort mehr. Wenn immer Nannei mit dem Löffel in die Pfanne fuhr, stocherte sie eine Weile darin umher, als suche sie sich einen recht schönen Bissen aus; doch that sie das nur, um bei diesem Manöver unvermerkt die besseren, röschen Bröckchen auf Festei’s Seite hinüber zu schieben. Dieser aber rührte fast vor jedem neuen Bissen den Schmarren durch einander, um dieselben guten Bröckchen wieder in Nannei’s Pfannenhälfte zu bringen.

So kam es, daß schließlich alle Beide satt waren, während das Beste noch in der Pfanne lag. Nun – da konnte jetzt der Teckel seine Freude daran haben; der schlapperte und schmatzte die ihm gereichten Schmarrenreste in sich hinein – das war nur so ein Hui!

Festei zog jetzt sein Pfeifchen hervor, und Nannei reichte ihm einen Spahn, den sie an den glühenden Herdkohlen entzündet hatte; dann steckte sie, um die Stube dürftig zu erleuchten, eine an der Wand befestigte Kienfackel in Brand und machte sich über die Säuberung des Geschirres.

Dazu plauderte sie, allermeist von den mannigfachen Sorgen ihres Almhaushaltes, und kam hiebei natürlicher Weise wieder auf die Angst zu sprechen, die sie am verwichenen Abende um ihr Dschapei ausgestanden hatte.

„Ja – weißt –“ sagte sie, „ganz g’wiß hab’ ich schon g’meint, es is mir g’stohlen worden. Da is gestern z’ Mittag einer da g’wesen, so a saubrer Herr, aus Saalfelden is er her – aber kaum daß er da war, is a Grenzer[1] ’kommen, der meine Küh’ hat aufschreiben wollen – und da hat er sich nachher ’druckt, der ander’, g’rad als ob er kein guts G’wissen net g’habt hätt’. Und weißt, wie er ’kommen is, da hat er sein’ Joppen so umg’hängt g’habt über d’ Achseln, und die hat er da über’s Bankl g’legt, solang’ er g’sessen is. Ja – und wie er nachher fort war, hab’ ich amal so zufällig hin g’schaut am Boden – ich sag’ Dir’s – da is alles verstreut g’wesen mit Salz, das blos aus demselbigen seiner Joppen hat g’fallen sein können. Und weßwegen hätt’ der a Salz bei ihm, wann er net d’ Schaf’ damit locken möcht’ – weißt – zum Stehlen, der schlechte Kerl!“

„Kann schon sein! Kennst ihn Du ’leicht?“

„Kennen? Ja – und na! Weißt, ich hab’ ihn halt zweimal g’sehen jetzt! ’s erste Mal, da hat er mich ang’sprochen, wie wir auf’trieben haben –“

„Gelt – drunten im Wimbachthal beim Futterstadl?“ unterbrach Festei das Mädchen mit hastigem Worte. „So, so – der is! Der!“

„Ja Festei – woher weißt denn Du das?“ frug Nannei verwundert.

„No – weil ich’s halt g’sehen hab’. Ich bin drin in die Buschen g’standen, und da bist nachher mit ihm vorbei’gangen an mir. Und weißt, wie ich Dich da so g’sehen hab’ – und den Andern – weißt – da hab’ ich mich fein recht g’ärgert.“

„Ja was D’ sagst! G’ärgert hast Dich! Ja weßwegen denn? Han? Warum denn?“

„No – weißt – ich hab’ – mir is – no, der Mensch halt –“

„Gelt, Festei – hast es ’leicht g’sehen oder g’hört, was das für a kecker, unverschämter Mensch g’wesen is!“

„Ja, ja! Wie schon weiter weg g’wesen bist – da – da hab’ ich schon g’merkt, daß er Dir z’wider is. Aber im Anfang, wie ich ihn so reden hab’ hören – da – weißt, so viel gern wär’ ich ’naus’gangen am Weg – aber – aber ich hab’ g’meint, ich könnt’ Dir selber ung’legen kommen – weißt – weil er gar so scharmierlich g’wesen is zu Dir, hat’s halt g’rad ausg’schaut, als – als ob er Dein Schatz wär’.“

„Aber Festei!“ fuhr Nannei auf, und die Thränen schossen ihr in die Augen. „Wie kannst denn so ’was sagen! Geh – das is net schön von Dir!“

  1. Zollaufseher.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_134.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)