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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

So verging ihr der Vormittag auch rascher als gewöhnlich, und später als sonst kam sie heute an den Herd, um ihr einfaches Mittagsmahl zu kochen. Recht sehr verwunderte sie sich über das lange Ausbleiben des Knechtes.

Als sie einmal vor die Hütte trat, um auf den thalwärtsführenden Steig hinunter zu spähen, schlug der Hall eines fernen Schusses an ihr Ohr.

Am Ende hat der heilige Antonius geholfen! dachte Nannei klopfenden Herzens; denn der Richtung des Halles nach zu schließen, mußte der Schuß in der Gegend des Schneibers gefallen sein.

Wie sie dann wieder bei ihrer Arbeit stand, so eine Stunde später, hörte sie plötzlich vor der Hütte das Klirren eines Bergstockes und das Klappern schwerer Schuhe. Sie eilte über die Schwelle und sah vor sich am Steige den alten Wofei stehen, mit der Kraxe über dem Rücken; murmelnd und mit den Händen fuchtelnd, spähte er hinüber nach der Höhe des Gejaidberges.

„Ja Wofei – wie kommst denn Du daher?“ rief Nannei den Alten an, der beim Klange ihrer Stimme mit wackelndem Kopfe emporfuhr und ein stotterndes Gelächter hören ließ.

Müden und langsamen Ganges schlurfte Wofei über die Steine einher und starrte dem Mädchen mit gläsernen Augen entgegen:

„Abtragen – weißt – abtragen – abtragen.“

„Du? Und abtragen? Ja warum kommt denn der Knecht net?“

„Arbeit – weißt – Arbeit – hat er g’sagt – der Bauer – jetzt gehst! Ich? Na – nie net – kann’s net dermachen d’Steiner – weißt – d’Steiner! So? Gar is – gar is nachher – aus und gar – kein Verdienst mehr – gar nix – kein Geld – no also – da mußt halt – weißt –“

„So – setz’ Dich nur daher auf’s Bankl und thue Dich ausrasten. Ich bringe Dir gleich ’was z’essen,“ sagte Nannei und nahm die Kraxe mit hinein in die Hüttenstube. Wie sie da am Herde stand, um die Pfanne mit den reichlichen Schmarrenresten, die sie für den Knecht warm gehalten hatte, von den Kohlen zu nehmen, ging hinter ihr die Thür.

„Was is denn? Warum bleibst denn net draußen?“ sprach sie mit leisem Unwillen den Alten an, der in scheuer, gedrückter Haltung vor ihr stand. „Draußen in der Sonne is ja viel schöner, als daherinn in der dumpfigen Stuben.“

„Na – na – draußen net – da net –“ stotterte Wofei und schlich der Herdbank zu, „was siehst denn draußen – g’rad allweil den Berg da! Herinn bei Dir – da g’fallt’s mir besser – schöne Sennerin –“. Und mit einem blöden Kichern duckte Wofei bei diesen Worten den Kopf zwischen die Schultern. „So schön bist – ja g’rad wie die ander’ – mein’ schier – weißt – mein’ schier, Du bist’s – ja – stolz halt – gelt – stolz – weißt, jeder is halt net wie der ander’ – hihihihi!“

„Jetzt wann noch lang so dalket daher redst, nachher därfst mir net herinn bleiben!“ zürnte Nannei und schob dem Alten die Pfanne auf die Herdbank. „Da – iß lieber und sei stad!“

„Recht hast – nix reden – gar’ nix – na – gar nix – hihihihi!“ Kichernd krümmte Wofei den Rücken, zog die Pfanne näher zu sich heran, griff mit allen Fingern in die Speise und schob davon ganze Hände voll unter den borstigen Schnurrbart.

In aller Sorgfalt, und doch in möglichster Eile, begann Nannei die Kraxe mit den bereitgelegten Vorräthen zu beladen. Wie sie damit zu Ende war, schnürte sie die Last mit einer starken Leine an das Holzgestell und prüfte dann die Festigkeit ihres Werkes durch heftiges Rütteln.

Da plötzlich fuhr sie lauschend auf – was war das aber auch ein fröhlicher Juhschrei, der von der Höhe des Rauhenkopfes hernieder in die Hütte hallte!

„Jesses – da kommt er!“ jubelte Nannei und eilte der Thür zu.

Hinter ihr aber klang ein klirrendes Poltern – Wofei hatte die Pfanne zu Boden geworfen – und da stand er schon vor ihr, die Augen aufgetrieben wie von verzehrender Angst, umklammerte mit beiden Händen ihren Arm und wimmerte, am ganzen Leibe schlotternd:

„Na, na – net – ich bitte Dich – sag’s ihm net, daß ich wieder dag’wesen bin – gewiß wahr – ich komm’ nimmer – g’wiß – g’rad sag’s ihm net –“

„Laß mich aus – laß mich aus – Du wilder Kerl Du!“ rief Nannei, welcher ganz unheimlich zu Muthe ward, und mit Gewalt versuchte sie ihren Arm aus Wofei’s krallenden Händen zu winden.

„Sag’s ihm net – sag’s ihm net –“

„Was hast denn, Du Narr – der thut Dir ja nix!“

„Ja, ja – g’schlagen hat er mich, weil Du’s g’sagt hast – g’schlagen – ich bitt’ Dich, sag’s ihm net –“

Mit Ringen und Zerren war es Nannei gelungen, sich aus Wofei’s Händen zu befreien, und da der Alte unter angstvollem Gewimmer des Neuen nach ihrem Arme haschte, stieß ihn das Mädchen mit beiden Fäusten von sich und sprang über die Schwelle.

Hastigen Fußes um die Hütte biegend, eilte Nannei dem Steige zu, über welchen der Jäger einhergestiegen kommen mußte – und da bannte nun ihren Schritt ein Anblick, dessen Freude das unheimliche Gedenken an den eben erlebten Auftritt in ihrem Herzen gänzlich erlöschen machte. Sie hätte jubeln mögen – und brachte kein Wort über die Lippen; sie stand nur, mit zitternd gefalteten Händen, und blickte den Steig empor, über welchen Festei gemachen und achtsamen Schrittes herniederstieg, entblößten Hauptes, die Büchse vor der Brust, mit gehobenen Händen quer über dem Nacken den Bergstock tragend, an dessen jeglichem Ende ein mächtiger Adler hing. Dem Jäger voran am Pfade sprang mit fröhlichem Bellen der Teckel, und ab und zu im Sprunge sich wendend, knurrte er mit wichtigthuendem Gebahren zu den zwei riesigen Vögeln auf, deren kraftlos niederwankende Schwingen die moosigen Steine streiften. Nun stand er vor ihr – auf seinen Lippen lag ein glückliches Lächeln, die Wangen strahlten, und aus seinen Augen leuchtete ein freudiger Waidmannsstolz.

In beiden Händen den Bergstock mit seiner gefiederten Last hoch emporhebend über das Haupt, lachte Festei:

„Nannei, Nannei, was sagst jetzt! Han – da schaust!“

„No also – no also,“ stammelte das Mädchen, „schau – jetzt hat er halt doch geholfen, der liebe Herrgott – und der heilige Antonius – weißt – gestern hab’ ich ’bet’ dafür den ganzen Nachmittag und bis in d’Nacht ’nein.“

„Is wahr! Und schau, da kann’s auch blos Dein Beten g’wesen sein, das geholfen hat,“ rief der Jäger, und der feste Glauben an diese Worte sprach aus seinen Blicken, „weißt – sonst wär’s ja gar net zum denken, daß ich a so a fürchtig’s Glück g’habt hätt’!“

„Ja geh – so verzähl’ doch!“

„Ja, Nannei, Alles – Alles! Aber komm’, jetzt geh’n wir z’erst in d’Hütten ’nein!“ Bei diesen Worten senkte er den Bergstock und ließ von ihm die beiden Adler auf die Erde gleiten.

„Geh, Festei, geh – laß mich ein’ tragen!“

„Ja, Deandl, ja, nimm Dir ein’!“ Lachend zog Festei seinen Hut aus der Joppentasche und stülpte ihn keck über’s Haar. Dann hob er den zweiten Adler von der Erde und so gingen sie Seite an Seite der Hütte zu, darin der Teckel rastend schon bei dem Dschapei auf der Decke lag.

Als Nannei durch das Fenster in die Stube guckte, war kein Wofei und keine Kraxe mehr zu sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_152.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)