Seite:Die Gartenlaube (1884) 157.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 10.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Ein armes Mädchen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Nach dem Diner hatte sich der Bennewitzer sofort verabschiedet, die Schwestern waren an’s Fenster getreten, der schönen Equipage nachzusehen, und Lili hatte herzhaft gegähnt, dann aus dem „Wildschütz“ ein paar Tacte geträllert:

„Doch ich nehm’ mir einen Alten,
Sehe nicht die vielen Falten“

und geschlossen: „Brrr Frieda! Ich glaube, ich reise bald wieder nach Hause!“

„Ja, ich kann es Dir nicht verdenken!“

Die junge Frau war verdrießlich gewesen und hatte sich in einen Band Novellen von Heyse vertieft. Moritz war zu seiner Mutter gegangen und endlich auch Frieda.

„Höre, Lili,“ hatte sie gesagt, „da drüben ist wieder was nicht richtig, ich gehe einmal nachsehen.“ Nun war die junge Frau schon eine Ewigkeit fort, und Lili langweilte sich noch immer; nicht einmal die blasse Else kam, um sich ihrer zu erbarmen.

Es war das Beste, sie ging wieder heim, da amüsirte sie sich wenigstens noch über den Jagdjunker vom P.schen Hofe; er war doch immerhin weniger langweilig, als der Bennewitzer; na überhaupt, was waren das für Helden, der Bennewitzer und Moritz, der gute große Bär – auf den ist Frieda gar noch eifersüchtig –. Barmherziger Himmel!

Die junge Frau hatte drüben erst ein wenig gehorcht, dann war sie hineingegangen.

Frau von Ratenow saß ruhig wie immer in ihrer Fensternische; die wappengeschmückte Mundtasse stand dort, wie alle Tage, und ihre Hände hielten das Strickzeug. Moritz ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab; er sah sehr erregt aus.

„Ah!“ rief die schöne kleine Frau, „Moritz macht wildes Thier – was ist denn vorgefallen?“

„Ich bin nicht ganz einer Meinung mit Mama, Frieda.“

„Ah!“ sagte die junge Frau ironisch, „das ist allerdings etwas Seltenes.“

„Und ich behaupte,“ erklärte Frau von Ratenow, „man muß nicht locker lassen; es giebt viel Leute, die sich gegen ihr Glück sperren wie ein krankes Kind gegen die Medicin.“

„Und ich behaupte, Mutter, daß es hier bei uns nicht Sitte ist, das Weib zu verkaufen!“ brauste er auf, und sein ehrliches gutes Gesicht überflog die Röthe des Zornes. „Frei soll es sein in dieser Beziehung, das Recht haben, sich hinzugeben oder sich zu versagen. Wo bleibt Sitte, Moral und Weiblichkeit bei den entsetzlichen Grundsätzen, die, leider Gottes! an der Tagesordnung sind. Ich für meinen Theil achte das Mädchen niedrig, das sich freien läßt, lediglich um eine Versorgung zu finden!“ Er stand mit sprühenden Augen vor seiner Mutter.

Die alte Dame blieb völlig ruhig. Moritz war immer ein bischen Schwärmer gewesen, er hatte das von seinem Vater, und der „Jung“ wußte ja gar nicht, was des Lebens Noth bedeute für ein schutzloses armes Mädchen.

„Ich kann sie natürlich nicht in die Kirche schleppen, und Hegebach ist nicht der Mann, sich eine Frau zu erbetteln,“ scholl es zurück. „Was Du sagst, mein Jung, klingt recht schön – wenn man die nöthigen Mittel hat. Du weißt selbst am besten: Theorie und Praxis sind grundverschiedene Dinge. Ich habe das Capitel schon zu oft in diesen Tagen abgehandelt, ich rede nicht mehr darüber. Ich hab ’s gut gemeint! – Meine Großmutter pflegte zu sagen: ‚Liebe – Liebe ist meistentheils Einbildung!‘ Ich habe Mädchen genug gekannt, die um den Ersten, den sie nicht bekommen konnten, in’s Wasser gehen wollten, nur um beim Zweiten nachher zu finden, daß dieser doch nun erst der Wahre, der Rechte, der einzig Geliebte sei. Geh’ doch, Moritz, es ist lächerlich von Dir; Ansichten sind’s, die höchstens noch ein liebeskranker Backfisch oder eine halbverdrehte alte Jungfer ungestraft aussprechen darf.“

„Es mag sein,“ erwiderte er schroff, „daß Viele so sind, aber ich will nicht daran glauben.“

Er war vor Frieda stehen geblieben und sah zu ihr hinunter mit aufleuchtenden Augen.

„Frieda, sprich Du ein Wort zu Ehren Deines Geschlechts!“

„Ich weiß ja gar nicht, was Ihr meint.“ Die kleine Frau wandte den schönen Kopf wie verlegen zur Seite.

„Hegebach hat heute um Else angehalten, und sie –“

„Um Else?“ Die erstaunten Augen flogen von ihrem Manne zu der strickenden Schwiegermama. „Also doch!“ Und sie lachte hell auf.

Unwillkürlich stutzte er. Was sollte dies fast krampfhafte Lachen, das schon ein halbes Weinen war? Dicke schwere Tropfen rannen ja über die erbleichten Wangen.

„Du hast ihr natürlich abgeredet, Moritz,“ kam es zwischen dem Lachen hervor.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_157.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)