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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

gelegene Königreich Darfor, das erst unter dem Ex-Khediv Ismaïl im Jahre 1875 hinzukam. Schon früher waren nach Osten hin Taka mit der Hauptstadt Kassala und die Provinz Fassogl unterjocht und alle umwohnenden Beduinenstämme tributär gemacht worden, sodaß sich endlich das ägyptische Reich in Mittelafrika vom 23. bis zum 40. Längengrade erstreckte, wo das Rothe Meer die östliche Grenze bildete.

Suakin von der Seeseite.

Leider ging nur mit der Vergrößerung die Verbesserung nicht Hand in Hand, sondern das Gegentheil trat ein, nämlich eine abscheuliche Mißwirthschaft und zwar durch maßlosen Steuerdruck, durch Frohnarbeit, gewaltsame Aushebung zum Militärdienst, überhaupt durch despotische Gewaltherrschaft der einzelnen Gouverneure und Mudire, deren ganze Rechtspflege oft nur in der Bastonnade und in willkürlicher Einkerkerung bestand. Von oben her, das heißt von Kairo, der Residenz des Khedivs und dem Sitze der höchsten Regierungsbehörden, kam auf alle Klagen, wenn sie überhaupt dahin gelangten, keine Abhülfe und zwar aus dem einfachen, freilich auch tief beklagenswerthen Grunde, weil dort die Mißwirthschaft fast ebenso schlimm war. Sie trat dort nur weniger offenkundig hervor, denn sie war äußerlich unter dem Firniß einer europäischen Halbcivilisation verhüllt, jenes kläglichen Scheindinges, das so wesentlich zu dem Zusammensturze beitrug, der die Absetzung des Khedivs Ismaïl im Jahre 1879 zur Folge hatte. Unter seinem Sohne und Nachfolger, dem jetzigen Khediv Tewfik, der es ruhig mit ansehen mußte, wie sofort nach seinem Regierungsantritte die Engländer sich im Lande festsetzten und einen stets wachsenden Einfluß gewannen, brach dann im eigentlichen Aegypten die Revolution unter Arabi Pascha aus. Sie begann so glänzend, fast wie eine nationale Schilderhebung, um alsbald so kläglich im Sande von Tel el Kebir zu verlaufen, jenem mysteriösen Siege, der das Tedeum in der Paulskirche in London wohl schwerlich verdiente.

Um dieselbe Zeit trat, wie wir schon in unserem letzten Artikel erwähnten, auch im Sudan ein Sahid, das heißt ein Einsiedler von der Insel Aba im Weißen Nil unterhalb Khartum an die Oeffentlichkeit, welcher in den dortigen Gegenden bereits seit etwa einem Jahre viel von sich hatte reden machen und auch schon einen beträchtlichen Anhang besaß, der ihn fanatisch verehrte und ihn zu großen Dingen berufen glaubte. Das war Mohammed Achmed aus Dongola, ein gewöhnlicher Schiffszimmermann in Khartum, aber ein Mann von lebhaftem Geiste und weitgehenden Plänen. Er begab sich nach Tamaniat, in der Nähe Khartums, um sich bei einem alten Derwisch durch Auswendiglernen des Korans zum Fahkih, das heißt zu einem Gotterleuchteten, ausbilden zu lassen. Dann zog er sich auf die ebengenannte Insel zurück, kasteiete sich, mahnte zur Buße, aber auch zum Kampfe für den reinen Glauben – und der „Mahdi“, der neue Prophet, war fertig. Seine Gegner, bis jetzt noch die überwiegende Mehrzahl der Islam-Bekenner, nennen ihn freilich den „falschen Propheten“, aber für seine Anhänger, die sich unglaublich schnell vermehrten, ist er der echte, der „von Allah auf den rechten Weg Geleitete“.

Man hatte natürlich anfangs nur ein mitleidiges Lächeln für dergleichen „Tollheiten“, auch dort, wo ein ernstes Einschreiten zu sofortiger Unterdrückung weit besser am Platze gewesen wäre, nämlich in Aegypten selbst, gegen das die Bewegung zunächst gerichtet war.

Von Khartum wurden wohl einige hundert Mann Soldaten gegen die Aufrührer abgeschickt, aber die Soldaten wurden entweder zurückgeschlagen, oder sie machteu gemeinsame Sache mit dem Mahdi, traten zu ihm über und lieferten ihm dadurch Gewehre und Munition. Schon gingen seine Sendboten nach allen Himmelsgegenden und riefen die Beduinenstämme zur Mithülfe, verhießen allen himmlischen Lohn und nannten nun auch dreist den wahren Grund der Empörung: die Abschüttelung des verhaßten christlich-europäischen, hier speciell des englischen Jochs und der nicht minder verhaßten Paschawirthschaft in Kairo – und noch immer trafen Telegramme des Gouverneurs von Khartum beim Khediv ein: die Sache sei von keiner großen Bedeutung, und man werde der Aufständischen schon Herr werden. So war der Frühling 1883 herangekommen, und nun schlug plötzlich die lang verhaltene Gluth in hellen Flammen auf und warf einen solchen Feuerschein über die Länder, daß auch die blödesten Augen sehend wurden.

Die Empörung war nämlich in eine neue überaus gefährliche Phase getreten, denn, wie anfangs nach Westen, so hatte sie sich jetzt auch unaufhaltsam nach Osten verbreitet, die Takastämme ergriffen und war über Kassala nordöstlich hinauf bis nach Suakin[1] an das Rothe Meer gelangt. Die Herrschaft des Khedivs über den ganzen unermeßlichen Süden seines Reichs stand jetzt in Frage, und Armeen waren nöthig und bedeutendes Kriegsmaterial, um ihn siegreich zu behaupten; Geld natürlich in erster Reihe, und es fehlte in Kairo an Allem. Die Schwäche der ägyptischen Regierung kam hinzu, die sich schon früher von den Engländern die Hände hatte binden lassen. Aber eben diese Engländer, welche doch die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im Lande als Grund ihres Protectorats vorgeschützt, blieben unthätig, und Herr Gladstone gab von seinem Cabinet in Downingstreet aus die Weisung, lieber den Sudan ganz fallen zu lassen und sich nur auf die Vertheidigung der Küstenstädte des Rothen Meeres zu beschränken. Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Aegyptenland. Doch hatte man wenigstens den Trost, daß der englische General Hicks, der bereits mit dem (gut oder schlecht, wie es eben gehen wollte) neuorganisirten ägyptischen Heer von etwa 7000 Mann am Weißen Nil stand, das Feld nicht widerstandslos räumen werde. Er hatte schon im Sommer 1883 zwischen Kana und Duem mehrere Gefechte mit den Insurgenten siegreich bestanden

  1. Die Schreibweise dieses Ortsnamens schwankt in der europäischen Presse, wie dies bei orientalischen Wörtern zumeist der Fall ist. Die Einen nennen die Stadt Suakim, die Andern Sauakin.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_182.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2020)