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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

und rückte nun südwestlich nach El-Obeid vor, dem Hauptquartiere des Mahdi, um dort einen entscheidenden Schlag zu führen. Aber bevor er hinkam, erreichte ihn das entsetzliche Schicksal: er selbst und sein ganzes Heer wurden von den Rebellen niedergemacht. Der Weg nach Khartum stand jetzt dem Mahdi offen, der aber vorzog – man weiß nicht recht, aus welchem Grunde – in Kordofan zu bleiben.

Ganz sichere Details über die Hicks’sche Niederlage fehlen noch immer und werden auch wohl nie, wenigstens von keinem Augenzeugen, zu uns gelangen, denn die Ueberlebenden, wenn es deren überhaupt gab, sind verschollen oder nachher umgekommen. Von einer anderen späteren Schlacht dagegen nördlich von El-Obeid, wo am 4. December 1883 fast ein ganzes Negerregiment von den Aufständischen niedergemacht wurde, liegen genauere Berichte vor, und zwar von englischen Officieren, welche die Wahlstatt besuchten und Skizzen davon, wie die beifolgende (auf Seite 185), nach Europa sandten. In jenen Ländern denkt man im Kriege an kein Begraben der Gefallenen; Tausende von Aasgeiern werfen sich auf die Leichen und lassen nach wenigen Tagen nur noch die Gerippe übrig, die an der sengenden Wüstensonne bleichen und vertrocknen. Ein mitleidiger Sturm verschüttet sie dann gelegentlich mit seinen Sandmassen.

Mittlerweile war der General Baker mit seinem neuen Gensd’armerie-Corps und einem sehr unzuverlässigen ägyptischen Regiment vor Suakin eingetroffen, um den in der Nähe landeinwärts liegenden Städten Sinkat und Tokar, die von den Beduinen belagert wurden, Entsatz zu bringen. Auch sein Schicksal vor Sinkat ist bekannt, und beide Städte fielen in die Hände der Insurgenten. So triumphirte zu Anfang dieses Jahres die Sache des Mahdi fast auf der ganzen Linie, denn die in verschiedenen Städten des Sudan und des Sennaar zerstreut liegenden und noch dazu wenig zahlreichen ägyptischen Garnisonen haben genug zu thun, sich ihrer eigenen Haut zu wehren. Suakin selbst ist vor der Hand nicht weiter bedroht, denn es liegt dicht unter dem Schutz der englischen Kanonenboote und man wird auch sonst keine Anstrengung scheuen, es zu halten. Diese Stadt ist der wichtigste ägyptische Hafenplatz am Rothen Meer, der fast den gesammten mittelafrikanischen Binnenhandel nach Arabien, zunächst nach Djedda, vermittelt und von den Engländern seit langem aus erklärlichen Gründen bevorzugt, das heißt mit scheelen Augen angesehen wird. In wenig Tagen gelangen die Dampfer von Suakin nach Aden, und Aden ist die Hauptetappe vom Suezcanal nach Indien ... wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, weiß auch, was wir damit sagen wollen.

So standen die Sachen im Januar dieses Jahres, als England, was es nur sechs Monate früher hätte thun sollen, sich endlich ermannte.

Die öffentliche Meinung in London und in ganz England, ja, man darf wohl sagen von Europa, sprach sich plötzlich in so lauter und einstimmiger Entrüstung aus, daß die empörten Wogen derselben nahe daran waren, den alten Gladstone von seinem Ministersitz hinwegzuschwemmen – nun mußte gehandelt werden und zwar energisch und schnell. Die Art und Weise, wie es geschah, war freilich seltsam genug und auf den ersten Blick fast abenteuerlich-romantisch.

Schon in der ersten Februarwoche nämlich durchflog ein Mann, ein einzelner Mann, in arabischer Tracht auf leichtfüßigem Reitkameel die unabsehbare nubische Wüste, seine wenigen Gefährten weit hinter sich lassend und sein treues Thier zu immer größerer Eile anspornend, als ob jede versäumte Minute ein unersetzbarer Verlust wäre, unaufhaltsam nach Süden zu, dem Ziel seiner Reise. Dieser Muthige war Gordon. Das englische Cabinet hatte ihn von Brüssel, wo er sich dem belgischen König für die Congo-Expedition zur Verfügung gestellt, telegraphisch nach London gerufen, wie einen Retter in der Noth, und zwar zur Stillung des Aufruhrs im Sudan. In wenig Stunden waren seine Instructionen ausgefertigt, mit unumschränkten Vollmachten für alle seine Handlungen und unter ausdrücklicher Gutheißung derselben im Voraus von Seiten der englischen Regierung. Die „Gefahr im Verzug“ mußte gewaltig drängen, um einen einzelnen Mann, seine Verdienste und Fähigkeiten mochten noch so groß sein, mit einer solchen Machtfülle auszurüsten. Es geschah dennoch; mithin der beste Beweis, in welch peinlicher Verlegenheit das englische Cabinet, und zwar durch eigene Schuld, sich befand. Als man darauf Gordon um das „Wie“ fragte, soll er geantwortet haben: „Entweder an der Spitze einer Armee oder allein.“ Eine Armee war nicht da, also ging er allein, und nach kaum acht Tagen stieg er bereits in Alexandria an’s Land. Er war übrigens dort kein Neuling, kein Fremder, wie ihm der Orient überhaupt, und zwar im weitesten Sinne genommen, bis nach Indien und China seit langen Jahren eine zweite Heimath geworden war.

Die Biographie dieses in mehr als einer Beziehung außerordentlichen Mannes ist überaus interessant; hier ist uns natürlich nur eine ganz flüchtige Skizze derselben gestattet. Charles George Gordon wurde am 28. Januar 1833 in Woolwich geboren; er stammt, wie er selbst sagt, aus einer Soldatenfamilie und wählte deshalb auch die militärische Laufbahn. Als junger Officier nahm er an der Belagerung Sebastopols Theil, wo Lord Wolseley Major in seinem Regimente war, und ging im Jahre 1860 mit der englisch-französischen Expedition nach China.

Einige Jahre später trat er sogar ganz in chinesische Dienste gegen die Aufrührer in der sogenannten Hung-Rebellion und erwarb sich so große Verdienste um die Unterdrückung des Aufstandes, daß ihn der Kaiser zum Mandarin erster Classe (von der Pfauenfeder und der gelben Robe) ernannte; das erhaltene Geschenk von 10,000 Pfund Sterling vertheilte er aber unter seine Soldaten. Im Jahre 1865 nach England zurückgekehrt, wo ihn das Volk sofort Chinese-Gordon, den Chinesen-Gordon, nannte, denn er war sehr populär geworden, trat er als Oberst wieder in die englische Armee und wurde Leiter und Inspector der Befestigungswerke von Gravesend, an der Themsemündung, in welcher Stellung er bis zum Jahre 1871 blieb. Diese sechs Jahre, die, im Vergleich zu den vorhergehenden ruhmvollen und glänzend bewegten, sehr still und einförmig waren, nennt Gordon selbst die angenehmsten seines Lebens, weil er dort ganz seinen menschenfreundlichen Neigungen und Plänen nachgehen konnte, die eine Haupteigenschaft seines Charakters ausmachen. „Sein Haus war Schule, Hospital und Armenküche, und man meinte weit mehr bei einem Missionair als bei einem Ingenieur-Obersten zu sein. Wer arm, krank oder sonst unglücklich war: an Gordon’s Thür klopfte Keiner vergebens. Vorzugsweise nahm er sich der Schiffsjungen an, ging in ihre Schule, um sie selbst zu unterrichten, besorgte ihnen in London gute Capitaine für die erste Reise, und stattete die ärmeren unter ihnen mit allem Nöthigen aus.“[1]

Der bekannte Afrikareisende und Eroberer Samuel Baker (ein Bruder des oben erwähnten Generals B.) war es, der im Jahre 1873 den Khediv Ismaïl auf Gordon aufmerksam machte, als es sich um eine geeignete Persönlichkeit handelte, dem überhand nehmenden Sclavenhandel im Sudan energisch entgegenzutreten und überhaupt in den dortige Regionen Ordnung und bessere Verwaltung zu schaffen. Wie sehr Gordon der Mann für diesen Posten war, zeigte er alsbald, schon durch Anlage eines Militärcordons von Khartum aus, den Blauen Nil hinauf, bis zu den Seen, wodurch der Sclavenhandel in den dortigen Gegenden scharf überwacht und mit Erfolg bekämpft wurde. Den vielen sonstigen Mißbräuchen in der gesammten Verwaltung konnte er allerdings nur in beschränktem Maße steuern, was ihm Verdrießlichkeiten aller Art und Feindschaften zuzog.

Bei der gesammten Bevölkerung dagegen war er sehr bald beliebt geworden, denn er verkehrte leutselig mit allen, sprach ihre Sprache und bequemte sich ihren Sitten an. Mit dem Sturz des Khedivs Ismaïl, im Jahre 1879, legte auch Gordon sein hohes Amt nieder, um es jetzt durch eine seltsame Verkettung der Umstände und unter weit ernsteren Auspicien wieder anzutreten.

Sein bloßes Erscheinen in Khartum, am 18. Februar, von dem dort Niemand eine Ahnung hatte, wirkte wie ein Wunder und wie eine Erlösung. Gleich am nächsten Tage ergriff er mit starker Hand die Zügel der Regierung und seine ersten Proclamationen riefen allgemeine Begeisterung hervor: Erlaß aller rückständigen Steuern (die Listen davon wurden auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt), Reduction aller Steuern auf die Hälfte, Aufschließung der Gefängnisse und Freilassung aller wegen geringer oder oft gar keiner Vergehen Eingekerkerter, offene Audienz für Jedermann ohne Ausnahme, Einsetzung einer Commission zur Prüfung und wenn möglich zur sofortigen Erledigung aller Bittgesuche,

  1. Vergl. „The story of Chinese Gordon by Egmont Hake. London 1884“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_183.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2020)