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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Jetzt hörte sie die dünnen Bretter ächzen vor wuchtigem Drucke und hörte das Eisenwerk des Schlosses klappern und rasseln – und die nackten Sohlen gegen den Fuß des Kreisters stemmend, preßte sie die Arme, unter Schluchzen und Beten, mit der ganzen Kraft ihres jungen Körpers wider die wankenden Bretter.

Was half ihr Beten? Was half ihre Kraft?

Knirschend bog sich der Riegel – klirrend sprang er entzwei – in die Spalte der weichenden Thüre schob sich ein Fuß – ein Knie – ein tastender Arm – und nun – nun –

Nun klang an das Ohr des verzweifelnden Mädchens das laute Gebell eines Hundes – so nahe schon – nun schon in der Hütte – und „Festei! Festei!“ schrie es in herzzereißenden Lauten von Nannei’s Lippen.

Da wich an der Thüre die einwärtsdrückende Kraft, polternd fuhren die Bretter zurück in ihre Fugen – und unter dem jähen Ruck in die Kniee brechend, schlug Nannei mit voller Stirne gegen das dröhnende Holz.

Noch war sie nicht wieder auf den Füßen, da hallte von draußenher ein röchelnder Schmerzensruf – aufkreischend flog das Mädchen hinaus in die Stube – und während das heulende Bellen des Hundes, einem enteilenden Schritte folgend, von der Hütte sich entfernte, sah Nannei jenseits der Schwelle im Mondlicht Einen stehen – der hielt in hocherhobenen Händen die Büchse, die ihr krachendes Feuer gradauf in die Luft entlud – nun sank ihm das Haupt in den Nacken – es sanken ihm die Arme – die Büchse fiel klappernd auf die Steine – und der sie gehalten, brach zusammen mit dumpfem Schlage.

Es war nur ein Augenblick, während dessen Jammer und Entsetzen Nannei’s Glieder lähmten – dann klang es von ihrem Munde mit gellendem Wehschrei in die Lüfte: „Festei! Mein Festei! Mein armer Festei!“ – und noch war das schwebende Echo dieser Laute zwischen den mondbeglänzten Felsen nicht verhallt, da lag sie vor dem Hingestreckten schon auf beiden Knieen, hob mit zitternden Händen sein Haupt von den Steinen, und unter Schluchzen und Stammeln überströmte sie das bleiche, blutbegossene Antlitz mit Küssen und Küssen.

Nun kam auch der Hund zurück und umkreiste winselnd die jammervolle Gruppe.

Unter klagenden Worten des Schmerzes und der Liebe, unter schluchzenden Hülferufen hielt Nannei das Haupt des Geliebten an ihren Busen gepreßt, nicht achtend, daß sein warmes, rinnendes Blut ihr dünnes Linnen netzte und durchdrang.

„Festei! Festei!“ glitt es plötzlich in zitternder Freude von ihren Lippen.

Sie sah seine Augen offen, sah an seinem Blicke, daß er sie erkannte, und sah ein glückliches Lächeln seinen blassen Mund umspielen.




9.

Dichte Wolken umhüllten alle Bergspitzen, und vor einem kalten Winde flatterten unfreundliche Nebel quer über das Griesthal. Dicke Wassertropfen hingen an allen Büschen, aus denen sich ab und zu auch leichte weiße Dünste emporkräuselten.

Da war nun auf dem Wege, welcher in steilem Zickzack zum Trischübl emporführt, ein schlechtes, glitschiges Gehen.

Dem Wimbacher Jagdgehülfen machte das keine Sorgen, wohl aber der bunt aufgeputzten Weibsperson, die an seiner Seite ging und ein um das andere Mal mit einem ängstlichen Kreischen, das eigentlich mehr dem Blöken eines alten Schafes glich, den Arm des Jägers haschte. Man hätte auch ihre Züge und den Ausdruck ihres Blickes in den Bereich dieses Vergleiches ziehen können.

Nun that sie gerade einen langen, tiefen, wie ein recht gedehntes J…a lautenden Athemzug, aus dessen Art man schließen konnte, daß sie damit eine lange Rede geschlossen hatte.

Mit bedauerlicher Miene nickte der Jäger vor sich hin: „Mein Gott, mein Gott – jetzt kommt so ’was auch noch über das arme Deandl! Als ob ’s net an der letzten G’schicht’ schon g’nug g’habt hätt’!“

„J…a – da war halt jetzt nachher der Almbauer bei mir und hat mir die G’schicht auseinanderg’setzt. Das hab’ ich aber gleich g’sagt, daß ich am Trischübl net bleib’. J…a – morgen in aller Früh schon treib’ ich ’nunter auf d’ Griesalm. An der Zeit wär’s lang’ dazu – is ja heut’ schon der zwanzigste September.“

Der Jäger schien diese letzten Worte ganz überhört zu haben; plötzlich hob er den Kopf und legte seine Hand auf den Arm des Weibes. „Gelt, Wabei – sag’s ihr fein net g’rad so ’raus – weißt – sie könnt’ alles z’viel derschrecken.“

„J…a – ich will ’s ihr schon recht schon verblümeln,“ betheuerte Wabei. „Weißt – so schön – die soll schier gar nix merken.“

„No – da is’ nachher g’rad recht, daß wenigstens ich ihr a bißl a bessere Botschaft bringen kann. Weißt, mit’m Festei macht sich die Sach’ wieder – ja – macht sich schon!“

„Gelt – das is der Jäger, der droben gestochen ’worden is.“

„Ja.“

„Wohin denn?“

„No – von oben ’rein muß ihn der Lump an’ linken Schlaf hing’stochen haben. Da hat’s ihm den Knochen angesplittert, hat ihm ’runterwärts den ganzen Backen g’schlitzt und d’ Schulter hat’s ihm auch noch so a bißl derwischt.“

„J…a – mein – das is ja gar nix – da hab’ ich schon viel schönere Stich’ g’sehen,“ versicherte Wabei.

„Weißt – so ’was wär’ auch leicht in a vierzehn Tag’ wieder verheilt g’wesen, wenn man’s gleich richtig hätt’ verbinden können – aber nachher die Nacht da droben – und der Weg – Du! Da hättst Du auch g’nug! Mein – was hat das arme Deandl allein machen können – a bißl a Pflaster halt und an kalten Umschlag. No – und jetzt hat er halt so – so a Ding ’kriegt – a Knochenverentzündigung – sagt der Dokter – und – a Wochen a drei a vier kann’s dengerst noch dauern. Aber Gott sei Dank – er is schon aus der G’fahr.“

„J…a – wie is denn?“ frug Wabei, für die Dauer ihrer Frage am Wege sich verhaltend. „Hat man den Kerl noch net derwischt?“

„Na – gar nix is ’rauskommen!“ brummte der Jäger. „Von dem fremden Gewehr und von dem Rucksack mit demselbigen Hirschkalb, wo der Lump neben der Hüttenthür hat liegen lassen, da hat man kein Eigenthümer net derfunden. Derkennt – so, daß er drauf schwören möcht’ – hat ihn der Festei net, weil dem sein G’sicht ganz schwarz verstrichen war – und a bißl g’schwind is die G’schicht halt dengerst ’gangen – das heißt – weißt – an Verdacht hat er schon g’habt – ja – auf Ein’ von Dings enten – von – ah – von Saalfelden – Suttner Korbini heißt er. Wie aber d’Schandari[1] bei dem nachg’fragt haben, da hat er zwei Senner als Zeugen ’bracht, daß er in derselbigen Nacht am steinernen Meer in einer von sei’m Vatern seine Almhütten g’wesen is. Mein – so Kerl’ da – die schwören ja um a Maas Bier! Aber was kannst machen!“

„J…a – da kannst gar nix machen!“ wiederholte Wabei mit nachdenklich gesenktem Kopfe.

  1. Die Gensd’armen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_204.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)