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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

langweilig, und an Ort und Stelle haben sie schon lange aufgehört, Eindruck zu machen; da schreitet, hüpft, tändelt und walzt man mit Glanzstiefelchen und Atlasschuh witzelnd und lachend über die Tausende entstellter Leichen hinweg, die blühende Gräberstraße entlang die Marmortreppen hinan in die goldprangenden Lustsäle hinein, damit die Zahl der Opfer morgen um einige vermehrt werde. Und der Protagonist, der Entrepreneur, der Fürst Charles III., und sein Helfershelfer, der Intendant, der Herr Dupressoir, was sagen diese zu dem großen Todtentanz, der sie nun seit langen Jahren umwirbelt? O, die lassen die schönste und lustigste Musik dazu aufspielen und treten dann ohne Furcht, daß ihnen die Geister der Erschlagenen ihren Schlaf stören könnten, die verschiedenen klingenden Erbschaften an. Der Fürst stammt aus der Familie der Grimaldi, von der wir noch ein paar Anekdötchen erzählen werden, und deren Vorfahren sich durch Straßenräuberei, Piraterei und Falschmünzerei seit Jahrhunderten auszeichneten. Seine Diener aber tanzen des Goldes wegen nach seiner Pfeife, die er von Paris aus spielt.

Und dieses Monte-Carlo an der Küste des ligurischen Meeres, an der entzückenden Riviera di Ponente, ist ein Paradies, aber auch auf ihm ruht der alte Fluch eines Dämonen, und seine holden Blüthenbäume, Citronen, Orangen, Lorbeeren und Palmen umwindet in tausend Formen und schillernden Farben die alte Schlange der Versuchung, seine Rosen hauchen Gift, denn unter ihnen birgt sich die heimtückische Viper, und wen diese Schlange gebissen, der taumelt zur wahnsinnigen Anbetung des goldenen Kalbes nach dem Tempel der Fortuna, der inmitten des Gartens steht.

Hoch über der prangenden Sirenenklippe Monacos in den Steinen der Berge liegt ein stiller, einsamer Wallfahrtsort, „Notre-Dame de Laghet“; dorthin steigen die Armen des Volkes, die Genesungsbedürftigen, ihr Scherflein zu opfern, um gesund zu werden und getröstet heimzukehren; hier unten thront „Notre-Dame de Monaco“, Madonna Fortuna, in ihrem Tempel täglich von Tausenden von Wallfahrern aus allen Weltgegenden umlagert, die da zumeist gesund kommen, ihre gesammte Habe opfern, um krank und elend zu werden und in Verzweiflung heimzukehren, oder ihr Leben auf dem Platze zu lassen. Wie das heult, stammelt und flucht: „Grazia, Madonna! Grazia!“ Der Ungläubigste betet. Fortuna aber lächelt und wendet ihr Antlitz, sie kennt keine Grazie, keine Gnade. Und was da schillert und schimmert, gleißt und prangt an Bildern und Statuen, Marmor, Gold und Silber, das haben die „Mönche“ von Monaco aus den Opferpfennigen der fremden Wallfahrer errichtet, mit deren Blut verkittet.

„Ich habe hier Männer gesehen,“ – ich will einem leichtlebigen Franzosen, St. Genest[WS 1] (in seinem „Bride sur le cou“), das Wort geben – „Männer in weißen Haaren, gekommen, jenes Weltwunder zu beschauen; sie betraten die Spielsäle des Casinos mit Gleichgültigkeit, setzten ‚zum Spaß‘ ein paar Napoleons, nur um zu sehen, wie die Sache geht – eine Stunde darnach machten sie Anleihen bei ihren Freunden, schickten sie Depeschen über Depeschen in alle Himmelsgegenden.

Ich habe Damen gesehen, welche mich fragten: ‚Aber kann man wirklich hier eintreten?‘ – sie nahmen meinen Arm, um jene Säle mit dem Ausdrucke höchster Indignation zu durchschreiten – und am Abende fand ich sie an jene Tische gefesselt, zwischen einem fortgejagten Hôteldiener und einer Dirne, die um das Geld stritten und sich gegenseitig insultirten.“

In einem Spielhause sind Alle verrückt, denn Alle glauben an das Glück. Man läßt eine Marmorkugel sprechen: „Halt da! ich muß Nummer 36 aufsuchen, denn seit Langem habe ich sie nicht gesehen!“ und Alle, die stärksten Geister, Skeptiker, Schopenhauerianer und Andere, glauben es.

Wer nach der Corniche kommt, das ist die von Nizza über Monte-Carlo, Mentone nach San Remo und weiter laufende Küstenstraße, und Gelegenheit hat, ein wenig tiefer zu blicken, der wird sehen, wie der Ruin täglich wächst. Das ist ein Krebsgeschwür, das zu verbergen sich Niemand die Mühe giebt, mit dem man sogar in cynischer Weise kokettirt. Das verschleuderte Vermögen wäre ja schließlich nichts, wenn Einer mit Gewalt arm werden will, so thue er’s, das Uebel aber besteht darin, daß, nachdem man Geld und Vernunft verloren, man auch die Ehre darangiebt. Umsonst leugnet die hohe Direction, in deren Sold eine Menge lobpreisender Lohnschreiber stehen, den Schaden hinweg. Die Fäulniß ist da, aber über Fäulniß discutirt man nicht, man deckt sie einfach auf.

Welche Gegensätze zwischen der entzückenden Natur, welche sich um das Casino herbreitet, und dem Menschentreiben im Innern desselben! Hier draußen[1] ist der Himmel heiter, von milden Sternen durchglüht; die Decke des Saales drinnen ist vergoldet, aber das Gold ist falsch und getrübt durch Lampenrauch, durch den unreinen Athem der Menschen. Hier draußen weht der Duft eines ewigen Frühlings, Reseden, Magnolien, Lavendel und Rosen, eingeschlummert eine neben der andern, träumen unter dem Kusse des Schöpfers, dem frischen Thaue der Nacht, und hauchen den leisen Athem glücklicher Pflanzen aus; drinnen eine schwere drückende Schwüle von Eau de Cologne, von Patchouli und glimmenden Cigarren, von Gasflammen und schwitzenden Menschenleibern. Draußen das Geräusch der Wellen, die mit ihrem ewigen Kusse die Klippen des fernen Ufers rühren, das Flügelwehen des Nachtwindes, der leicht und zärtlich die breiten Blätter der schlanken Palmen liebkost und sich verliert in dem duftigen Gezweige der Geranienbüsche: das Schweigen einer Natur, die sprechen möchte, das traumgeflüsterte Wort einer Natur, die schlafen will. Drinnen das lüsterne Klappern und Klirren von Gold- und Silberstücken, und um das Gold her eine Handvoll menschlicher Fragmente, elende Trümmer der Hunderte im Meere des Lasters Gescheiterten, die um einen grünen Tisch her die letzten Funken eines müden und kranken, unter der Asche versunkenen Lebens verbrauchen!

Ja, grausamere Gegensätze vermögen die kühnsten Dichter nicht zu erfinden: draußen das Paradies, drinnen die Hölle; draußen Armidens Gärten, das größte Wunder Italiens, und in diesen Gärten hat der Mensch einen Stall gebaut, um seine schmutzigste Schande darin einzustellen; einen Stall, wo reiche gähnende blasirte Dummköpfe ihre Langeweile vertreiben wollen und Cocotten auf fremde Börsen speculiren.

Cocotten und – die Herren von Monaco und Monte-Carlo! Und daß dies für diese Herren ein Spiel ist, „bei dem man stets gewinnt“, ersieht man aus der Hinterlassenschaft des einzigen Mr. François Blanc, des menschenfreundlichen Gründers der Spielhölle (gestorben 1878): sie bestand aus sechszig, sage sechszig Millionen Franken! Und Millionen bezog und bezieht der Fürst, bezieht eine vom „Blute der Erschlagenen“ sich mästende noble Domestikenschaar, die man Administration nennt. Und da wagt es Monaco, wie eine liebe Unschuld vom Lande, das naive Sprüchwort von sich in Umlauf zu setzen:

„Monaco bin ich auf einem Stein,
Säe nicht, ernte auch nichts ein,
Dennoch will gegessen sein.“

Und wie es das anfing, ohne Arbeit zum Essen zu kommen, das berichtet die Geschichte des Landes. Die Heeren Grimaldi (der Name bedeutet im Italienischen auch Diebshaken oder Dietrich) waren anfangs (im 13. Jahrhundert) ungesetzliche, dann gesetzliche Piraten, dann Falschmünzer, dann Westentaschentyrannen, endlich Croupiers, aber Alles in Ehren und unter Frankreichs mächtiger Aegide.

Vor mir liegt eine alte Scharteke aus dem Jahre 1681; da erzählt ein gewisser Theodorus Hecht von dem Grimaldischen Piratensitz:

„In dem Meerhaffen müssen alle Schiff anländen, und die Wahren so sie führen verzollen, wenn man aber vorbeyfährt, so eylen gleich eine gute Anzahl Soldaten nach, und wenn sie das vorbey gefahrene Schiff erhaschen, so ist es mit Leib und Leben samt allem Gut verfallen.“

Diese Piraterie war durch Verträge mit Frankreich geregelt. Aehnliche Verträge regelten die Falschmünzerei: die Fürsten von Monaco prägten Sousstücke, die in Frankreich Cours hatten, aber nur die Hälfte werth waren.

Gegen jenes seeräuberische Zollrecht protestirten damals Genua, Nizza, Ventimiglia, die Herzöge von Savoyen, alle italienischen Fürsten, aber die monacaskischen Herren wußten sich sicher unter französischer Protection, und Ludwig XIV. nannte so ein Fürstlein seinen „aimé cousin le Prince de Monaco“, während dieses seine Nachkommen beschwor, „dem Allerchristlichsten Könige heilige Treue zu bewahren“. Der jetzige Fürst hat sie dem kaiserlichen und dem republikanischen Frankreich bewahrt. Er verkaufte die Hälfte seiner Nußschale im Jahre 1860 um vier Millionen

  1. Nach des Italieners Mantegazza Darstellung.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pseudonym von Emmanuel-Arthur Bucheron (1834–1902)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_215.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)