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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

nicht aus einander setzen. Sie haben für die Mehrzahl der Leser schwerlich Interesse, und selbst wenn die Wissenschaft Recht hat, vermag sie an der staatlichen Feststellung des neuen Wappens doch nichts zu ändern.

Der alte Reichsadler hält mit dem rechten Fange (vulgo Klaue) den Reichsscepter, in dem linken Fange den Reichsapfel. Der neue Adler hält nichts in den Fängen, sondern streckt dieselben aus einander.

Dagegen trägt er auf dem Brustschilde den gekrönten preußischen Adler, und dieser, der preußische Adler, hat in der rechten Klaue den Scepter und in der linken den Apfel, und auf der Brust trägt er das Wappenschild der Grafen von Hohenzollern, das mit Silber und Schwarz geviert ist, das heißt oben links und unten rechts Silber, und unten links und oben rechts Schwarz. So ist denn der jetzige Reichsadler zugleich eine Art bildliche Darstellung der Geschichte des preußische Herrscherhauses während der Stadien der Grafen von Hohenzollern, der Könige von Preußen und der deutschen Kaiser. Um das Wappen schlingt sich die Kette des Schwarzen Adlerordens. Aus der Kaiserkrone quellen unten zwei breite, mit Arabesken verzierte goldene Bänder hervor, welche nach rechts und links ab- oder herausfliegen.

Alles Uebrige ist aus der Zeichnung zu ersehen.

Damit sind denn die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Adler des alten heiligen römischen Reiches deutscher Nation und dem des gegenwärtigen „Deutschen Reiches“ nachgewiesen.

Zur Vervollständigung muß ich noch etwas über die deutsche Krone und über die deutschen Reichsinsignien sagen.

Was Kaiser Karl den Großen anlangt, so trägt derselbe auf gegenwärtig noch vorhandenen und als echt beglaubigten Siegeln, Münzen und Medaillen nicht eine Krone, sondern einen Lorbeerkranz, und dies stimmt überein mit der geschichtlichen Ueberlieferung, daß der Papst Leo, welcher im Jahre 800 Karl den Großen zu Rom als Imperator Romanus krönte, ihm hierbei eine römische Lorbeerkrone aus Gold auf das Haupt gesetzt hat. Unter den späteren Reichskleinodien hat sich jedoch diese Lorbeerkrone nicht vorgefunden.

Das „heilige römische Reich deutscher Nation“ ist erst im Jahre 962 unter Otto dem Großen gegründet worden. In demselben hat es, wie uns die goldene Bulle Kaisers Karl IV. (1356) belehrt, dreierlei verschiedene Kronen gegeben, nämlich:

1) die goldene,
2) die silberne und
3) die eiserne Krone.

Die erste war die eigentliche Reichskrone und wurde deshalb auch die römische oder die kaiserliche Krone genannt, die „Corona Romana“ oder „Corona Imperii“. Die zweite ist die Krone des deutschen Königs, wie das Reichsoberhaupt hieß, so lange es der Papst noch nicht gekrönt hatte. Sie wird die „Corona Regni“, die Krone des Königreichs oder die „Corona Aquensis“, die Krone von Aachen, genannt. Denn in der That wird sie seit 1262 bis heute in dem Aachener Stift aufbewahrt. Die dritte, die eiserne Krone, bedeutet die Herrschaft über Mailand und über das lombardische Königreich, dessen Schicksale ja bekannt sind. Sie wird die Mailänder Krone (Corona Mediolanensis) oder die Lombardenkrone (Corona Lombardica) genannt. Oesterreich hat heute noch einen Orden, welcher nach dieser „Corona di Ferro“ genannt wird, obgleich der Besitz der Stadt und des Landes, als dessen Emblem die eiserne Krone gilt, seit 1859 auf Italien übergegangen.

Die goldene Kaiserkrone, sowie die übrigen Reichskleinodien und Insignien befinden sich zur Zeit, das heißt seit 1796, im Besitze von Oesterreich.

Früher war die freie Reichsstadt Nürnberg mit deren Aufbewahrung betraut. Da das heilige römische Reich deutscher Nation eine Wahlmonarchie war und es daher keine unabänderliche kaiserliche Residenz gab, da ferner auch der jeweilige Kaiser eigentlich kein festes Domicil hatte, sondern bald da und bald dort Residenz hielt, da endlich auch der Sitz des Reichstags zum Oefteren wechselte (Ende des 15. Jahrhunderts z. B. tagte er am Bodensee in der damaligen freien Reichsstadt Lindau, wo er die Reichsjustizgesetze zu Stande brachte, die leider nur sehr unvollständig zum Vollzuge gelangten): so war es nöthig, für die Reichskleinodien einen unabänderlichen und permanenten Bewahrer, einen vertrauten und getreuen Inhaber, einen „Trustee“, wie die Engländer sagen, zu haben, welcher erhaben war über den Wechsel der Zeiten und der Personen. Und das war die allergetreueste Stadt Nürnberg.

Sie bewahrte nicht nur die Krönungsinsignien, die Krone, den Kaisermantel, den Reichsapfel, das Reichsschwert (das „gladium Caroli Magni“) etc., sondern auch die dazu gehörigen heiligen Schriften, die mit kostbaren Miniaturen versehenen Meßbücher und die Reliquien, welche sich theils auf die Kreuzigung Christi, theils auf das Martyrthum der Apostel bezogen, namentlich also die Kerkerketten von Johannes, Paulus und Petrus, sowie das Fragment von der Krippe des Heilands, den hölzernen Spahn des Kreuzes und die Marterwerkzeuge der Kreuzigung, wie Nagel, Lanze etc.

Jährlich am zweiten Feiertage nach Ostern, schreibt Herr von Weech, wurde dem Volke auf dem Marktplatze das „Heilthum“ gewiesen, das heißt die Reichskleinodien wurden vorgezeigt, welche seit dem Jahre 1424 der Stadt zur Aufbewahrung anvertraut waren. Das war ein großes Fest, zu dem auch von auswärts die Massen des andächtigen und neugierigen Volkes herbeiströmten, um so mehr, als die mit dem Feste verbundene Messe der Landbevölkerung zu mancherlei Einkauf erwünschte Gelegenheit bot. Man weiß, daß im Jahre 1463 an jenem Tage 1266 Wagen und Karren die Stadtthore passirten. (Man ersieht daraus, daß man damals schon eine Art von Verkehrsstatistik hatte; freilich wurde ihre Grundlage durch Thor- und Brückenpassagezölle gebildet.) Da waren denn auch große Vorbereitungen nöthig. Die Straßen wurden sorgfältig gereinigt, jene in der Nähe des Marktes mit Ketten abgesperrt, um keinem Fuhrwerk den Durchgang durch die gedrängten Massen zu gestatte; ein großes Schaugerüste ward aufgeschlagen, auf dem unter freiem Himmel die Kostbarkeiten ausgestellt wurden.

Was mag da das Volk hin- und hergewogt sein auf dem weiten Marktplatze, wenn der Zug sich langsam von der Heilig-Geist-Kirche her bewegte, und wie feierlich mag der Anblick gewesen sein, wenn die Priester in ihren kostbaren Gewändern das Gerüste bestiegen, während alle Glocken erklangen, und wenn dann ein Bischof, der dazu gebeten war, oder gar ein päpstlicher Legat, der etwa eben durchreiste, die Messe sang! Da hob wohl ein alter Großvater den neugierigen Enkel hoch empor, um ihm alle die Herrlichkeit zu zeigen und zu erklären, den Nagel, die Lanze und den Spahn vom Kreuze des Herrn, das Stück von der Krippe Christi, Glieder von den Ketten, mit denen Petrus, Paulus und Johannes einst gefesselt waren, das Schwert Karl’s des Großen, seine Krone, sein Scepter, seine Kleider und andere heilige und kostbare Gegenstände. Aber nicht allein die Freude an den frommen Spielereien durchdrang und beherrschte diese Massen, sondern ihnen trat bei dieser feierlichen Scene doppelt kräftig das Gefühl vor die Seele, daß sie Glieder eines großen staatlichen Ganzen seien, und das weitere: daß ihrer Stadt vor allen Gemeinwesen des deutschen Reichs die Ehre zugetheilt sei, die Hüterin der Insignien dieses Reichs zu sein.

So schreibt der verdiente deutsche Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber Geheime Archivrath von Weech in Karlsruhe; dessen ebenso gelehrtes als volksthümliches Werk „Die Deutschen seit der Reformation, mit besonderer Berücksichtigung der Culturgeschichte“ (Leipzig, B. G. Teubner) dem deutschen Volke auf das Angelegentlichste empfohlen zu werden verdient. Neben seinen inneren Vorzügen genießt es auch äußere, nämlich unter Anderem auch den, sehr schön ausgestattet und namentlich mit zahlreichen Portraits nach geschichtlich beglaubigten Originalen und mit Bildern nach bewährten Meistern der Gegenwart illustrirt zu sein. Dies nur beiläufig.

Man würde aber irren, wenn man annehmen wollte, die alte Kaiserkrone habe sich stets ruhig in Nürnberg befunden, wo auf der die monumentale Stadt überragenden Höhe nicht nur jene kaiserliche Burg, in der so Mancher der alten Kaiser zeitweise residirte, sondern auch die Burg der Burggrafen emporragt, von der das Geschlecht der Hohenzollern, die jetzige kaiserliche Dynastie, ihren Ausgang genommen.

Wie die alten Kaiser kaum eine feste Residenz hatten, sondern fast immer auf Reisen und auf Kriegszügen waren, so ging auch die alte Kaiserkrone zuweilen auf Reisen. Einen sehr interessanten Beleg hierfür hat der alte Freiherr von Aufseß, der Stifter des „Germanischen Museums“ in Nürnberg, aufgefunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_234.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2020)