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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Breite erreichte! Und der Kölner Dom mit seinen 156 Meter hohen Thürmen, der Stolz der deutschen Baukünstler! Er konnte auf unserer Zeichnung nur durch einen kleinen schwarzen Strich von anderthalb Millimeter Höhe rechts von dem Berge, zwischen demselben und dem Dampfer, angedeutet werden.

Doch rufen wir unsere Phantasie zur Hülfe und steigen wir hinab in diese Tiefen!

Melanocetus Johnsoni.
Gefischt in der Tiefe von 4000 Metern.

Kochen und brausen dort die Strudel der Charybdis, von der uns der Dichter sang? Mit Nichten! Ewige Ruhe herrscht im Schooße der See. Die gewaltige Macht der sturmgepeitschten Wogen, die mit unbändiger Wuth thurmhoch an den Felsen der Küsten branden, dringt nicht in diese Tiefe; schon in der Entfernung von 150 Metern unter dem Meeresspiegel ist ihre Wirkung gänzlich gebrochen. Und nicht weiter reicht auch die lebenerweckende Kraft des Lichtes. Die „grüne“ und die „purpurne Finsterniß“ weicht bald dem völligsten Dunkel, und schon in der Tiefe von 50 Metern bleiben die empfindlichsten photographischen Platten unverändert. In den „Thälern des Meeresgrundes“ bleibt auch die Temperatur ewig gleichmäßig, denn der Kampf zwischen den wärmeren und kälteren Strömungen ist dort in der Regel ausgeglichen; naturgemäß sinken die specifisch schwersten Wasserschichten, das heißt diejenigen, welche die Wärme von 4° Celsius besitzen, auf den Grund, und so herrscht auch dieselbe gleichmäßige kühle Temperatur in allen bedeutenderen Meerestiefen. Das sind sonderbare Bedingungen für das Gedeihen lebender Wesen, und zu ihnen gesellt sich der ungeheuere Druck, den die Wassermassen ausüben, denn schon in der Tiefe von 1000 Metern lastet auf der Fläche von einem Quadratcentimeter eine Wassersäule, deren Gewicht 100 Kilogramm beträgt.

Aus diesem Grunde sehen wir das Pflanzenreich in einer Entfernung von 250 Metern unter dem Wasserspiegel verschwinden, und man dachte früher, daß auch für das Thierreich dort unten eine Grenze gezogen sei. Aber aus den Tiefen von 4000 und 5000 Metern förderten die Netze der Forscher zahllose Thiere zu Tage, wunderbare, oft gänzlich unbekannte Formen.

Da fand man zunächst eigenthümlich geformte Fische. Manche von ihnen haben Augen, und ihr Körper ist mit selbstleuchtenden, phosphorescirenden Flecken bedeckt, das sind die Laternen, mit deren mattem Licht die Bewohner der ewigen Finsterniß ihre Umgebung erleuchten! Die andern sind blind, und darum mit eigenartigen Tastorganen ausgestattet, und von einer Art könnte man sagen, daß sie über dem Maule einen regelrechten Finger besitzt. Unsere Abbildungen führen uns zwei der vielen Arten vor. Den eigenthümlich gebauten Macrurus australis, der in einer Tiefe von 4500 Metern gefischt wurde, und den noch sonderbareren Melanocetus Johnsoni. An den gewaltigen Rachen dieses Fisches schließt sich eine zur vorläufigen Aufnahme der Nahrung bestimmte Ausbuchtung, die viel größer ist, als der gesammte übrige Körper.

Holtenia Carpenteri.
Gefischt in der Tiefe von 5000 Metern.

Unter den Schwämmen finden sich seltene Exemplare, deren kieseliges Skelet mit Fäden von Asbest oder feinstem Glase durchwebt zu sein scheint. Die nebenstehende Abbildung zeigt uns eine Holtenia, die aus der Tiefe von 5000 Metern gehoben wurde. Wir sehen auf derselben die „Mundöffnung“, das osculum, bewaffnet mit zahlreichen Wimperorganen, durch die das Seewasser in die inneren Canäle des Thieres eingeleitet wird, um dieselben, der Nahrungsstoffe beraubt, durch die sogenannten Schornsteine zu verlassen.

Ungemein reichhaltig ist namentlich die niedere Thierwelt in den Tiefen vertreten! Bei glücklichem Fang waren die unermüdlichen Forscher an Bord des „Talisman“ kaum im Stande, die gehobenen Schätze zu classificiren, und bis heute sind die wissenschaftlichen Arbeiten noch lange nicht beendigt. Nur vorläufige Berichte sind erschienen, aus denen wir die kurzen Andeutungen schöpfen. Manche unter diesen Bewohnern der finsteren Abgründe sind oft mit bunten Farben geschmückt, die Krabben, die Seesterne und anderes Gethier schillerte dem staunenden Auge des Forschers bald in rothen, bald in grünen oder orangefarbigen und violetten Tönen entgegen.

Doch wir werden noch später, wenn ausführlichere Berichte erscheinen, Gelegenheit finden, unsere Leser über die Geheimnisse dieser Thierwelt zu unterrichten.

Für heute nur noch einige Worte über sonderbare mineralogische Funde auf dem Grunde des südlichen Meeres! Ueberraschend war das Auffinden von Steingeschieben in einer Entfernung von 700 Seemeilen von der Küste Europas. Die aus der Tiefe gehobenen Steine sind geschliffen und gerillt, und zwar in so ausgeprägter Form, daß man die Rillen unmöglich auf die Wirkung der Strömungen zurückführen kann. Man muß annehmen, daß in grauer Vorzeit Eisberge diese Steine hierher transportirt haben. Sie nahmen dieselben von den Gletschern Europas mit, von denen sie sich ablösten, und als die Eisberge hier im Atlantischen Ocean geschmolzen waren, sanken die Steine zu Boden. Nach Tausenden von Jahren hob sie der Mensch aus der Tiefe, und sie erzählen ihm heute ein Stücklein aus der Geschichte der Erde, aus der wunderbaren Eiszeit unseres Welttheiles.

Nach beendeter Expedition gingen ihre Mitglieder sofort an die wissenschaftliche Bearbeitung des gewonnenen Materials, und nachdem die Sammlung geordnet war, faßten sie den glücklichen Entschluß, dieselbe dem großen Publicum in einer Ausstellung vor Augen zu führen. Und sie ward von Erfolg gekrönt, diese seltene Tiefsee-Ausstellung. Aus Bescheidenheit wählten die Arrangeure nur einen kleineren Saal in dem Museum der Naturgeschichte zu Paris, aber das Publicum strömte dennoch in solchen Massen herbei, daß es, um Eintritt zu erlangen, eine Kette vor der Thür bilden mußte.

Doch mit den oben geschilderten Errungenschaften ist die Tiefseeforschung der französischen Gelehrten noch nicht abgeschlossen. Es werden Vorbereitungen getroffen, um in diesem Jahre wiederum eine neue Expedition auszurüsten.


Blätter und Blüthen.

Ludwig Spohr. Die Wiederkehr des hundertsten Geburtstages Nicolo Paganini’s hat die Erinnerung an diesen Wundermann auf der G-Saite von Neuem belebt. In der Gedächtnißskizze, die wir unlängst in der „Gartenlaube“ (1884, Nr. 7) dem großen Künstler widmeten, wurde hervorgehoben, welche Begeisterung Paganini überall in Europa durch seine unbegreifliche Kunstfertigkeit erregte, wie man unaufhörlich Gold und Lorbeeren an das Piedestal dieses „Gottes der Violine“ heranschleppte, um mit Castelli zu reden, und wie er zuweilen an einem einzigen Concertabende eine Summe einnahm, die dem Jahresgehalte eines Ministers gleich kommt. Sicherlich war es ein kühnes Wagniß für einen einfachen deutschen, mit der Kunst der Reclame und mit der halsbrecherischen Geigengymnastik des bewunderten Italieners unbekannten Künstler, sich mit Paganini zu messen, eine Concertreise Paganini’s in dessen eigenem Vaterlande zu durchkreuzen und sogar mit dem großen Virtuosen in Mailand in dem nämlichen Concerte aufzutreten. Und wer war dieser deutsche Künstler, welcher der blendenden Anziehungskraft des Italieners Paganini gegenüber den Ruhm der deutschen Kunst aufrecht erhielt? Wer war es, der durch die wunderbare Kraft und Seele seiner Bogenführung, durch die Würde, Innigkeit und klassische Hoheit seines Vortrages sich ruhmvoll neben der glänzenden Virtuosität Paganini’s behauptete? Es war Ludwig Spohr, dessen hundertjährigen Geburtstag die musikalische Welt am 5. April feiert.

Ludwig Spohr stand damals, als er sich im Jahre 1817 neben Paganini in Mailand hören ließ, im dreiunddreißigsten Lebensjahre und war ebenso alt wie sein großer italienischer College. In diesem für den Ruhm noch so jugendlichen Alter galten beide Künstler schon für die hervorragendsten Meister der Violine; aber freilich hatten sie Beide auch gleich früh angefangen zu lernen und zu üben, und die Geige war ihnen ein vertrautes Instrument schon zu einer Zeit, in welcher andere Knaben noch kaum den hölzernen Säbel regieren können, den man ihnen zum Spielen gegeben. Wie Paganini, so war auch Spohr die Liebe zur Musik angeboren, oder sie war ihm wenigstens anerzogen worden; sein Vater, der als Arzt in Braunschweig prakticirte, aber bald nach der Geburt seines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_242.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)