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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

mit jedem Worte tiefer und seelenvoller – „ich könnte nicht glücklich sein, wenn ich mir sagen müßte, daß Du mir grollst, mir und Dem, den ich liebe.“

Sie nahm seine Hände zwischen die ihren.

„Willst Du, Alberto? Willst Du mir’s zugeloben? Ich bitte so flehentlich! Wenn Du mich wirklich lieb hast –“

„Mehr als mein Leben,“ raunte Alberto leidenschaftlich.

Er sah ihr zum ersten Male seit ihrem Erscheinen ganz und voll ins Gesicht, in die großen herrlichen Augen, und mit einem Male überkam’s ihn, wie ein überirdischer Bann. Er bedeckte ihre Hände mit Küssen.

„Ich gelobe Dir’s!“ stammelte er fieberhaft. „Du, Maria, sollst glücklich sein, wenn auch ich vor Weh und Elend zu Grund gehe. Dein Freund will ich sein, so lange ich athme, – treu, treu, Maria, – bis in den Tod! Du bist ja die Herrin, die mir befiehlt! Dir muß ich gehorchen!“

Unter den Wimpern Maria’s blitzte es feucht. Ein Lächeln wehmuthsvoller Befriedigung bebte über ihr Antlitz.

„Zingarella! Wo bleibst Du denn?“ erklang jetzt die Stimme ihres Verlobten, der die Barke vom Pflocke gelöst hatte.

„Ich komme! Also: gute Freundschaft, Alberto, für jetzt und allezeit!“

Ein letzter Händedruck, ein freundliches Nicken – dann eilte sie an’s Gestade.

„Ich habe ihm zugeredet, daß er sein junges Leben nicht so vertrauern soll,“ sagte sie zum Apulier. „Sein Vater sorgt sich um ihn, weil er allen Verkehr flieht, – und so nützte ich die Gelegenheit. Jetzt aber: hinaus in die See! Ich vergehe vor Ungeduld. Was Du mir unterwegs so flüchtig bedeutet hast, – ach, Salvatore . . .!“

„Ich erzähle nicht eher, als bis wir weit ab sind vom Ufer! Das ist mir jetzt wie ein Aberglaube, – und dann auch beinah’ wie eine Vorübung; denn wie ich Dir sagte: beim Zweiten, was ich im Sinn führe, heißt’s: die Zunge gehütet!“

Er hatte die letzten Worte geflüstert, als fürchte er selbst hier, in der Einöde der schweigenden Felsenküste, Verräther und Lauscher.

Jetzt stieß die Barke vom Strand. Mit kräftigem, gleichmäßigem Schlage theilten die Ruder Maria’s die blaugrüne Fluth. Salvatore saß am Steuer, das er bald darnach festband.

Von seiner Hütte aus folgte Alberto dem Fahrzeuge mit dem Blicke. Was hätte er Alles dahingegeben, wenn er an Stelle dieses verhaßten Fremdlings mit ihr hinaus hätte steuern dürfen in die Einsamkeit der freien, leuchtenden See! Seine erregte Einbildungskraft malte sich alle erdenklichen Scenen. Bald sah er sich in den Kahn gestreckt, wie ein Kind in der Wiege, sein Haupt in Maria’s Schooß gelegt – über sich nur die Sonne, den Himmel und ihre leuchtenden Augen. Dann wühlte plötzlich ein Sturm die Gewässer auf, und die Barke mit Zingarella und dem Apulier ward hin- und hergeschleudert, wie ein elender Spielball. Sie rief um Hülfe, und bleich und rathlos rang der noch eben so übermüthige Salvatore die Hände. Da – ein letzter Anprall – der Kahn schlug um, und er, Alberto, stürzte sich wie ein Pfeil in die rollenden Wogen. In kurzer Frist hatte er Maria erreicht. Sie lebte noch; ihr triefendes Haar legte sich wie liebkosend um sein Gesicht; Salvatore aber schrie noch einmal auf und versank – versank, um nie wieder aufzutauchen! Und nun war sie sein. Er trug sie in seine Hütte, er hegte und pflegte sie; er küßte sie auf den blühenden Mund, und sie umschlang ihn zärtlich im Ueberschwange des Dankes …

So träumte er, dem Fahrzeuge nachstarrend. Aber kein Sturm erhob sich von der weiten azurblauen Fläche; der Sturm tobte nur drinnen in seiner pochenden Brust.

Er legte die Hand vor die Angen und schritt dann, tief erschauernd, in die Hütte zurück.

Unterdeß erreichte die Barke einen Punkt, der die größere Hälfte der Südküste in weitem Panorama entrollte, – ein Anblick von unbeschreiblicher Großartigkeit: himmelhoch ragten die lotrecht aufsteigenden Felswände aus den Wassern empor; die schmale Niederung an der Bucht, wo die Hütte stand, war für das Auge verschwunden; eine einzige gigantische Mauer, scharf gezackt, und darüber der blaue Octoberhimmel – so erhob sich das Bild der Insel über den weißlichen Saum der Brandung.

Trotz der Gedanken, die ihn erfüllten, war Salvatore von der Erhabenheit dieses Anblicks erschüttert; seine Phantasie arbeitete unaufhörlich; seine Stimme klang hohl und feierlich, als er nun endlich anhub, von dem zu sprechen, was er der Geliebten eröffnen wollte.

„Zunächst das Leichtere,“ sagte er nachdrücklich. „Du weißt – denn ich sandte Dir oft genug die ‚Gazetta del Regno‘ – daß in Griechenland der Kampf wider die Ungläubigen auf’s Neue entbrannt ist. Gestern erst schifften sich am Uferdamme von Santa Lucia zwanzig vornehme Napoletaner ein, um theilzunehmen an diesem Gott wohlgefälligen Kriege. In der Osteria des Paolo Maddaloni traf ich nun vor einiger Zeit einen Sulioten, der mir besser als irgend sonst wer im Weichbilde Neapels Auskunft ertheilen konnte über Alles, was hier in Betracht kommt. Aus Frankreich, aus Deutschland, ja selbst aus England und Dänemark strömen die jungen Leute herzu, um mit Hand anzulegen bei der Niederwerfung der Heiden. Von Einem besonders erzählte mir der Suliote, von dem Sohne eines nordischen Bauern, der kaum einige Monate Dienste gethan auf einem griechischen Fahrzeuge, und jetzt wie ein Fürst glänzend und herrlich dastehe vor aller Welt; – der unermeßliche Schätze erworben und die Hand einer der reichsten Erbinnen von Korinth. Der Suliote zeigte mir das Bildniß des Mannes, und wie ich’s erblickte, da sagte ich mir: was Der vermag, das gelingt mir im Handumdrehen! Der Suliote – seinen Namen behielt ich nicht, denn er hat zehn oder zwölf Silben – versprach mir, Alles vorzubereiten, damit ich zu Anfang des nächsten Monats mit einigen dreißig Genossen nach einer der griechischen Inseln aufbrechen könnte; er bot mir sogar als eifriger Patriot ein Darlehn an, falls ich Geld brauche zur ersten Ausrüstung. Ich bat mir natürlich Bedenkzeit aus, denn ich wollte erst hören, was Du dazu sagst, – aber das hielt uns nicht ab, einen Plan zu entwerfen, der die unglaublichsten Erfolge verspricht. Ich zweifle nicht, Maria, daß ich binnen weniger Monate mehr erreicht habe, als jener nordische Bauernsohn; daß ich vielleicht schon zu Anfang des neuen Jahres zurückkehre – reich und mit Ruhm bedeckt. Nur der Gedanke, so weit hinweg zu sollen von Deiner Heimath, läßt mich noch schwanken. Was meinst Du, Maria?“

Die Zingarella schüttelte heftig den Kopf.

„Krieg – jenseits des Meeres . . .? Nein, Salvatore: der Einsatz scheint mir zu hoch. Zudem habe ich ein Vorzeichen, das mir abräth, – und Du selber hast mir’s gegeben. Wolltest Du nicht erreichen, was dem nordischen Bauernsohne geglückt ist? Zu den Gewinnen aber, die der erobert hat, gehörte auch die korinthische Erbin, – und wahrlich, das wäre ein schlechter Lohn, daß ich hier in Capri mich abhärmte und Todesangst für Dich litte, während Du, von einer Griechin bethört . . .“

„Zingarella!“ rief der Apulier.

„Ich scherze ja; denn ich weiß: mein Salvatore kann mir nicht treulos werden! Aber ich bleibe dabei: daß Dir die Wendung von der korinthischen Erbin so unterlief, obgleich sie doch gar nicht auf Dich und Deine Verhältnisse paßt, das nehme ich für ein Zeichen der Abmahnung. Ein Krieg mit den Heiden – das wäre zu viel der Umwege! Mag sein, daß Mancher bei dem wüsten Getümmel zu Geld und Gut kommt; aber die Andern, die elend zu Grunde gehen, beraubt und verstümmelt oder gar weggeschleppt in die Sclaverei, die nennt und kennt man nicht!“

„Also Du meinst, ich soll’s dem Sulioten ablehnen?“

„Rundweg!“

Salvatore holte tief und bedächtig Athem.

„So bleibt nur das Andere,“ sagte er; „aber dies Andere, ich weiß es im Voraus, wird Dich noch mehr erschrecken, als der Kampf mit den Türken. – Gleichviel: mein Entschluß ist gefaßt. Ich muß endlich an’s Ziel gelangen!“

„Ist die Sache so schwer und gefahrvoll?“

„Weder schwer noch gefahrvoll – aber so eigenartig, so unerhört . . . Und dann: Schlauheit wird sie schon kosten und große Geduld und Verschwiegenheit. Ja, wenn ich’s recht bedenke, so waltet auch eine Gefahr ob – allerdings nicht so –“

„Sprich nur ganz ohne Umschweife!“ unterbrach ihn Maria. „Wenn Du’s beschlossen hast – so wird’s wohl das Rechte sein.“

(Fortsetzung folgt.)




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