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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von0 Eduard Engel.
Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten. 

VII.

Die meisten Klienten meines Vaters waren Frauen und zwar alte, und auch in späteren Zeiten, selbst damals als seine Umstände sehr unglänzend zu seyn begannen, hatte er eine solche Klientel von bejahrten Weibspersonen, denen er kleine Pensionen verabreichte. Sie standen überall auf der Lauer, wo sein Weg ihn vorüberführen mußte, und er hatte solchermaßen eine geheime Leibwache von alten Weibern, wie einst der selige Robespierre.

Unter dieser altersgrauen Garde war manche Vettel, die durchaus nicht aus Dürftigkeit ihm nachlief, sondern aus wahrem Wohlgefallen an seiner Person, an seiner freundlichen und immer liebreichen Erscheinung.

Er war ja die Artigkeit in Person, nicht bloß den jungen sondern auch den älteren Frauen gegenüber, und die alten Weiber, die so grausam sich zeigen, wenn sie verletzt worden, sind die dankbarste Nazion, wenn man ihnen einige Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit erwiesen, und wer in Schmeicheleyen bezahlt sein will, der findet in ihnen Personen, die nicht knickern, während die jungen schnippischen Dinger uns für alle unsere Zuvorkommenheiten kaum eines Kopfnickens würdigen.

Da nun für schöne Männer, deren Spezialität darin besteht, daß sie schöne Männer sind, die Schmeicheley ein großes Bedürfniß ist und es ihnen dabey gleichgültig ist, ob der Weihrauch aus einem rosigten oder welken Munde kommt, wenn er nur stark und reichlich hervorquillt, so begreift man, wie mein theurer Vater, ohne eben darauf spekulirt zu haben, dennoch in seinem Verkehr mit den alten Damen ein gutes Geschäft machte.

Es ist unbegreiflich, wie groß oft die Dosis Weihrauch war, mit welcher sie ihn eindampften, und wie gut er die stärkste Porzion vertragen konnte. Das war sein glückliches Temperament, durchaus nicht Einfalt. Er wußte sehr wohl, daß man ihm schmeichle, aber er wußte auch, daß Schmeicheley, wie Zucker, immer süß ist, und er war wie das Kind, welches zu der Mutter sagt: schmeichle mir ein bischen, sogar ein bischen zu viel.

Das Verhältniß meines Vaters zu den besagten Frauen hatte aber noch außerdem einen ernsteren Grund. Er war nämlich ihr Rathgeber, und es ist merkwürdig, daß dieser Mann, der sich selber so schlecht zu rathen wußte, dennoch die Lebensklugheit selbst war, wenn es galt, anderen in mißlichen Vorfallenheiten einen guten Rath zu ertheilen. Er durchschaute dann gleich die Position, und wenn die betrübte Klientinn ihm auseinandergesetzt, wie es ihr in ihrem Gewerbe immer schlimmer gehe, so that er am Ende einen Ausspruch, den ich so oft, wenn alles schlecht ging, aus seinem Munde hörte, nemlich: „in diesem Falle muß man ein neues Fäßchen anstechen.“ Er wollte damit anrathen, daß man nicht in einer verlorenen Sache eigensinnig ferner beharren sondern etwas Neues beginnen, eine neue Richtung einschlagen müsse. Man muß dem alten Faß, woraus nur saurer Wein und nur sparsam tröpfelt, lieber gleich den Boden ausschlagen und „ein neues Fäßchen anstechen!“ Aber statt dessen legt man sich faul mit offenem Mund unter das trockene Spundloch und hofft auf süßeres und reichlicheres Rinnen.

Als die alte Hanne meinem Vater klagte, daß ihre Kundschaft abgenommen und sie nichts mehr zu brocken und, was für sie noch empfindlicher, nichts mehr zu schlucken habe, gab er ihr erst einen Thaler und dann sann er nach. Die alte Hanne war früher eine der vornehmsten Hebammen, aber in späteren Jahren ergab sie sich etwas dem Trinken und besonders dem Tabakschnupfen;[WS 1] darum ward die Frau überall abgeschafft.

Nachdem mein Vater nun reiflich nachgedacht, sagte er endlich: Da muß man ein neues Fäßchen anstechen, und diesmal muß es ein Branntweinfäßchen sein; ich rathe Euch, in einer etwas vornehmen, von Matrosen besuchten Straße am Hafen einen kleinen Liquörladen zu eröffnen, ein Schnapslädchen.

Die Ex-Hebamme folgte diesem Rath, sie etablirte sich mit einer Schnapsboutique am Hafen, machte gute Geschäfte und sie hätte gewiß ein Vermögen erworben, wenn nicht unglücklicherweise sie selbst ihr bester Kunde gewesen wäre. Sie verkaufte auch Tabak, und ich sah sie oft vor ihrem Laden stehen mit ihrer roth aufgedunsenen Schnupftabaksnase, eine lebende Reklame, die manchen gefühlvollen Seemann anlockte.

Zu den schönen Eigenschaften meines Vaters gehörte vorzüglich seine große Höflichkeit, die er, als ein wahrhaft vornehmer Mann, ebenso sehr gegen Arme wie gegen Reiche ausübte. Ich bemerkte dieses besonders in den oben erwähnten Sitzungen, wo er, den armen Leuten ihre Geldtüte verabreichend, ihnen immer einige höfliche Worte sagte.

Ich konnte da etwas lernen, und in der That mancher berühmte Wohlthäter, der den armen Leuten immer die Tüte an den Kopf warf, daß man mit jedem Thaler auch ein Loch in den Kopf bekam, hätte hier bei meinem höflichen Vater etwas lernen können. Er befragte die meisten armen Weiber nach ihrem Befinden und er war so gewohnt an die Redeformel: „ich habe die Ehre“, daß er sie auch anwandte, wenn er mancher Vettel, die etwa unzufrieden und patzig, die Thüre zeigte.

Gegen die alte Flader war er am höflichsten und er bot ihr immer einen Stuhl. Sie war auch wirklich so schlecht auf den Beinen und konnte mit ihrer Handkrücke kaum forthumpeln.

Als sie zum letzten mahl zu meinem Vater kam, um ihr Monathsgeld abzuholen, war sie so zusammenfallend, daß ihr Enkel, der Jupp, sie führen mußte. Dieser warf mir einen sonderbaren Blick zu, als er mich an dem Tische neben meinem Vater sitzen sah. Die Alte erhielt außer der kleinen Tüte auch noch eine ganz große Privattüte von meinem Vater und sie ergoß sich in einen Strom von Segenswünschen und Thränen.

Es ist fürchterlich, wenn eine alte Großmutter so stark weint. Ich hätte selbst weinen können, und die alte Frau mochte es mir wohl anmerken. Sie konnte nicht genug rühmen, welch ein hübsches Kind ich sey, und sie sagte, sie wolle die Muttergottes bitten, dafür zu sorgen, daß ich niemals im Leben Hunger leiden und bey den Leuten betteln müsse.[1]

Mein Vater ward über diese Worte etwas verdrießlich, aber die Alte meinte es so ehrlich; es lag in ihrem Blick etwas so geisterhaftes aber zugleich frömmiges und liebreiches, und sie sagte zuletzt zu ihrem Enkel: geh, Jupp, und küsse dem lieben Kinde die Hand. Der Jupp schnitt eine säuerliche Grimasse, aber er gehorchte dem Befehl der Großmutter: ich fühlte auf meiner Hand seine brennenden Lippen, wie den Stich einer Viper. Schwerlich

  1. „Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
    Ich mußte lügen, ich mußte borgen
    Bei reichen Buben und alten Vetteln –
    Ich glaube sogar, ich mußte betteln“

    klagt Heine in einem seiner „Lazarus“-Gedichte (Band XVIII, S. 147).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [im Manuskript geht es weiter:] da in ihrer rothen Nase immer Thauwetter war und der Tropfenfall die weißen Bettücher der Wöchnerinnen sehr verbräunte, so ward die Frau überall abgeschafft.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_250.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)