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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

konnte ich sagen, warum, aber ich zog aus der Tasche alle meine Fettmännchen und gab sie dem Jupp, der mit einem roh blöden Gesicht sie Stück vor Stück zählte und endlich ganz gelassen in die Tasche seiner Bux steckte.

Zur Belehrung des Lesers bemerke ich, daß „Fettmännchen“ der Name einer fettigdicken Kupfermünze ist, die ungefähr einen Sou werth ist.

Die alte Flader ist bald darauf gestorben, aber der Jupp ist gewiß noch am Leben, wenn er nicht seitdem gehenkt worden ist. – Der böse Bube blieb unverändert. Schon den andern Tag nach dem erwähnten Begegniß bey meinem Vater traf ich ihn auf der Straße. Er ging mit seiner wohlbekannten langen Fischerruthe. Er schlug mich wieder mit diesem Stecken, warf auch wieder nach mir mit einigen Roßäpfeln und schrie wieder das fatale Haarüh! und zwar so laut und die Stimme des Dreckmichels so treu nachahmend, daß der Esel desselben der sich mit dem Karren zufällig in einer Nebengasse befand, den Ruf seines Herren zu vernehmen glaubte und ein fröhlich wieherndes I-A erschallen ließ.

Wie gesagt, die Großmutter des Jupp ist bald darauf gestorben und zwar in dem Ruf einer Hexe, was sie gewiß nicht war, obgleich unsere Zippel steif und fest das Gegentheil behauptete.

Zippel war der Name einer noch nicht sehr alten Person, welche eigentlich Sibille hieß, meine erste Wärterin war und auch später im Hause blieb. Sie befand sich zufällig im Zimmer am Morgen der erwähnten Scene, wo die alte Flader mir so viele Lobsprüche ertheilte und die Schönheit des Kindes bewunderte. Als die Zippel diese Worte hörte, erwachte in ihr der alte Volkswahn, daß es den Kindern schädlich sei, wenn sie solchermaßen gelobt werden, daß sie dadurch erkranken oder von einem Uebel befallen werden, und um das Uebel abzuwenden, womit sie mich bedroht glaubte, nahm sie Zuflucht zu dem vom Volksglauben als probat empfohlenen Mittel, welches darin besteht, daß man das gelobte Kind dreymal anspucken muß. Sie kam auch gleich auf mich zugesprungen und spuckte mir hastig dreymal auf den Kopf.

Doch dieses war erst ein provisorisches Bespeien, denn die Wissenden behaupten, wenn die bedenkliche Lobspende von einer Hexe gemacht worden, so könne der böse Zauber nur durch eine Person gebrochen werden, die ebenfalls eine Hexe, und so entschloß sich die Zippel noch denselben Tag zu einer Frau zu gehen, die ihr als Hexe bekannt war und ihr auch, wie ich später erfahren, manche Dienste durch ihr Geheimniß und verbotene Kunst geleistet hatte. Diese Hexe bestrich mir mit ihrem Daumen, den sie mit Speichel angefeuchtet, den Scheitel des Hauptes, wo sie einige Haare abgeschnitten; auch andre Stellen bestrich sie solchermaßen, während sie allerley Abrakadabra-Unsinn dabey murmelte, und so ward ich vielleicht schon frühe zum Teufelspriester ordinirt.

Jedenfalls hat diese Frau, deren Bekanntschaft mir seitdem verblieb, mich späterhin, als ich schon erwachsen, in die geheime Kunst inizirt.[1]

Ich bin zwar selbst kein Hexenmeister geworden, aber ich weiß wie gehext wird,[2] und besonders weiß ich, was keine Hexerey ist.

Jene Frau nannte man die Meisterin, oder auch die Göchinn, weil sie aus Goch gebürtig war, wo auch ihr verstorbener Gatte, der das verrufene Gewerbe eines Scharfrichters trieb, sein Domizil hatte und von nah und fern zu Amtsverrichtungen gerufen wurde. Man wußte, daß er seiner Wittwe mancherley Arkana hinterlassen und diese verstand es, diesen Ruf auszubeuten.

Ihre besten Kunden waren Bierwirthe, denen sie die Todtenfinger verkaufte, die sie noch aus der Verlassenschaft ihres Mannes zu besitzen vorgab. Das sind Finger eines gehenkten Diebes und sie dienen dazu, das Bier im Fasse wohlschmeckend zu machen und zu vermehren. Wenn man nemlich den Finger eines Gehenkten, zumal eines unschuldig Gehenkten, an einem Bindfaden befestigt im Fasse hinabhängen läßt, so wird das Bier dadurch nicht bloß wohlschmeckender, sondern man kann aus besagtem Fasse doppelt, ja vierfach so viel zapfen, wie aus einem gewöhnlichen Fasse von gleicher Größe. Aufgeklärte Bierwirthe pflegen ein razionaleres Mittel anzuwenden, um das Bier zu vermehren, aber es verliert dadurch an Stärke.

Auch von jungen Leuten zärtlichen Herzens hatte die Meisterin viel Zuspruch und sie versah sie mit Liebestränken, denen sie in ihrer charlatanischen Latinitätswuth, wo sie das Latein noch lateinischer klingen lassen wollte, den Namen eines Philtrariums ertheilte; den Mann, der den Trank seiner Schönen eingab, nannte sie den Philtrarius, und die Dame hieß die Philtrariata.

Es geschah zuweilen, daß das Philtrarium seine Wirkung verfehlte oder gar eine entgegengesetzte hervorbrachte. So hatte z. B. ein ungeliebter Bursche, der seine spröde Schöne beschwatzt hatte, mit ihm eine Flasche Wein zu trinken, ein Philtrarium in ihr Glas gegossen und er bemerkte auch in dem Benehmen seiner Philtrariata, sobald sie getrunken hatte, eine seltsame Veränderung …

(Es folgt im Manuskript eine derbkomische Stelle, die sich der Wiedergabe hier entzieht.)[WS 1]

Die Meisterinn rettete dann den Ruf ihrer Kunst, indem sie behauptete, den unglücklichen Philtrarius mißverstanden und geglaubt zu haben, er wolle von seiner Liebe geheilt seyn.

Besser als ihre Liebestränke waren die Rathschläge, womit die Meisterinn ihre Philtrarien begleitete; sie rieth nemlich, immer etwas Gold in der Tasche zu tragen, indem Gold sehr gesund und besonders dem Liebenden Glück bringe. Wer erinnert sich nicht hier an des ehrlichen Jagos Worte im „Othello“, wenn er dem verliebten Rodrigo sagt: Take monney in your pocket![3]

Mit dieser großen Meisterin stand nun unsere Zippel in intimer Bekanntschaft, und wenn es jetzt eben nicht mehr Liebestränke waren, die sie hier kaufte, so nahm sie doch die Kunst der Göchinn manchmal in Anspruch, wenn es galt, an einer beglückten Nebenbuhlerin, die ihren eigenen ehemaligen Schatz heurathete, sich zu rächen.[WS 2]

Ich unterhielt die Bekanntschaft mit der Göcherinn, und ich mochte wohl schon in einem Alter von sechzehn Jahren sein, als ich öfter als früher nach ihrer Wohnung ging, hingezogen von einer Hexerey, die stärker war als alle ihre lateinisch bombastischen Philtraria. Sie hatte nemlich eine Nichte, welche ebenfalls kaum 16 Jahr alt war, aber plötzlich aufgeschossen zu einer hohen schlanken Gestalt, viel älter zu sein schien. Das plötzliche Wachsthum war auch Schuld, daß sie äußerst mager war. Sie hatte jene enge Taille, welche wir bei den Quarteronen in Westindien bemerken, und da sie kein Corset und kein Dutzend Unterröcke trug, so glich ihre enganliegende Kleidung dem nassen Gewand einer Statue. Keine marmorne Statue konnte freylich mit ihr an Schönheit wetteifern, da sie das Leben selbst und jede Bewegung die Rhythmen

  1. Gallicismus anstatt „eingeweiht“.
  2. Natürlich nur scherzhaft gemeint; aber Heine hatte allerdings die merkwürdigsten Studien über Hexenwesen gemacht, sein Buch „Elementargeistesr“ (Werke, Band VII) ist ein wahres Handbuch des Volksaberglaubens.
  3. „Thu’ Geld in deinen Beutel!“ Abgesehen von dem kleinen orthographischen Fehler in monney ist das Citat auch sonst nicht genau; Jago sagt: „Put money in your purse!“ – Heine citirte aus dem Gedächtniß; einen englischen Shakespeare habe ich in seiner Bibliothek, wie sie heute noch beisammen, nicht entdeckt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [Sie lautet:] eine seltsame Veränderung, eine gewisse Benautigkeit, die er für den Durchbruch einer Liebesbrunst hielt, und sich dem großen Momente nahe glaubte – aber ach! als er die Erröthende jetzt gewaltsam in seine Arme schloß, drang ihm ein Duft in die Nase, der nicht zu den Parfümerien Amors gehörte, er merkte daß das Philtrarium vielmehr als ein Laxarium agirte und seine Leidenschaft ward dadurch gar widerwärtig abgekühlt.
  2. [folgende Passage des Manuskriptes ist ausgelassen:] sich zu rächen, indem sie ihr Unfruchtbarkeit oder dem Ungetreuen die schnödeste Entmannung anhexen ließ. Das Unfruchtbarmachen geschah durch Nestelknüpfen; das ist sehr leicht, man begiebt sich in die Kirche, wo die Trauung der Brautleute statt findet, und in dem Augenblick wo der Priester über dieselben die Trauungsformel ausspricht, läßt man ein eisernes Schloß, welches man unter der Schürze verborgen hielt, schnell zuknappen; so wie jenes Schloß verschließt sich auch jetzt die Gebärmutter der Neuvermählten. Die Ceremonien welche bei der Entmannung beobachtet werden, sind so schmutzig und haarsträubend grauenhaft, daß ich sie unmöglich mittheilen kann. Genug der Patient wird nicht im gewöhnlichen Sinne unfähig gemacht, sondern in der wahren Bedeutung des Wortes seiner Geschlechtlichkeit beraubt, und die Hexe welche im Besitze des Raubes bleibt, bewahrt folgendermaßen dieses corpus delicti dieses Ding ohne Namen, welches sie auch kurzweg das Ding nennt; (die lateinsüchtige Göcherinn nannte es immer einen Numen Pompilius, wahrscheinlich eine Reminiscenz von König Numa dem weisen Gesetzgeber der gewiß nie geahnt wie schändlich sein Namen einst mißbraucht würde.) Die Hexe verfährt wie folgt: Das Ding dessen sie sich bemächtigt, legt sie in ein leeres Vogelnest und befestigt dasselbe ganz hoch zwischen den belaubten Zweigen eines Baumes; auch die Dinger, die sie später ihren Eigenthümern entwenden konnte, legt sie in dasselbe Vogelnest, doch so daß nie mehr als ein halb Dutzend darin zu liegen kommen. Im Anfang sind die Dinger sehr kränklich und miserabel, vielleicht durch Emozion und Heimweh, aber die frische Luft stärkt sie und sie geben Laute von sich wie das Zirpen von Zikaden. Die Vögel die den Baum umflattern werden davon getäuscht und meinen es seien noch unbefiederte Vögel, und aus Barmherzigkeit kommen sie mit Speis in ihren Schnäblein um die mutterlosen Waisen zu füttern, was diese sich wohlgefallen lassen so daß sie dadurch erstarken ganz fett und gesund werden und nicht mehr leise zirpen, sondern laut zwitschern. Drob freut sich nun die Hexe und in kühlen Sommernächten, wenn der Mond recht deutsch sentimental herunterscheint, setzt sich die Hexe unter den Baum, horchend dem Gesang der Dinger, die sie dann ihre süßen Nachtigallen nennt. Sprenger in seinem Hexenhammer, malleus maleficarum, erwähnt auch diese Verruchtheiten der Unholdinnen in Bezug auf obige Zauberey. Die Hexe begeht den Mannheitsdiebstahl aber meistens in der Absicht von den Entmannten durch die Restituzion ein sogenanntes Kostgeld zu erpressen. bei dieser Zurückgabe des entwendeten Gegenstands giebt es zuweilen Verwechselungen und qui pro quos die sehr ergötzlicher Art und ich kenne die Geschichte eines Domherrn, dem ein falscher Numa Pompilius zurückgeliefert ward, der, wie die Haushälterinn des geistlichen Herren, seine Nymphe Egeria behauptete, eher einem Türken als einem Christenmenschen angehört haben mußte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_251.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)