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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

unterm Arm haltend, je zwey und zwey, begaben sie sich hinter einen Baum, wo schon ein eiserner Spaten bereit stand, und mit diesem Spaten schaufelte einer von ihnen in wenigen Augenblicken eine tiefe Grube. Jetzt trat Sefchens Großvater heran, welcher seinen rothen Mantel nicht wie die andren abgelegt hatte, und langte darunter ein weißes Paquet hervor, welches sehr schmal aber über eine brabanter Elle lang sein mochte und mit einem Bettlaken umwickelt war; er legte dasselbe sorgsam in die offne Grube, die er mit großer Hast wieder mit Erde zudeckte. Das arme Sefchen konnte es in seinem Versteck nicht länger aushalten, bei dem Anblick jenes geheimnißvollen Begräbnisses sträubten sich ihre Haare, das arme Kind trieb die Seelenangst von dannen, sie eilte in ihr Schlafkämmerlein, barg sich unter die Decke und schlief ein.[1]

(Schluß folgt.)




Ein armes Mädchen.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Frau von Ratenow hatte gleich nach dem Essen ihren Wagen bestellt. Er hielt, zur großen Verwunderung ihres Sohnes, vor der Freitreppe.

„Wo willst Du hin, Mütterchen?“ fragte er, als die alte Dame im Pelz – der Herbsttag war kühl – und in ihrer Nebelkapuze aus der Hausthür trat, gefolgt von einer Dienerin mit Decken und Fußsack.

„Spazierenfahren!“ entgegnete sie kurz.

Moritz antwortete nicht, er kannte zu genau ihre Art; sie hatte irgend etwas Besonderes vor. Er half ihr respectvoll in den Wagen, mußte sich aber ein Lächeln verbeißen; es war ja ein zu gräuliches Wetter, das die Mutter zu einer Spazierfahrt verlockt haben sollte.

Der Wagen rasselte vom Hofe; Frau von Ratenow war noch immer beschäftigt sich warm einzuhüllen. Am Stadtthor warf sie die Decken wieder ab, und sah aus dem Fenster. „Fahr die Chaussee nach Büstrow zu, Jochen, ein bischen rasch aber.“

Das Gefährt rollte auf der bezeichneten Chaussee hin; die jungen Obstbäume zu beiden Seiten derselben flogen vor den Blicken der einsamen Frau vorüber, der Herbstwind fauchte durch die leise klirrenden Wagenfenster; weit, weit in der Ferne hob sich der Büstrower Kirchthurm über eine Eichwaldung empor. Es sah Alles so unfreundlich aus, so herbstlich müde unter dem wolkenverhangenen Himmel, und Jochen fuhr weiter. Dicht vor Büstrow ließ Frau von Ratenow halten.

„Ist das der Bennewitzer Weg?“ fragte sie.

„Jawohl, gnädige Frau.“

„Fahr zu, Jochen.“

Jochen lenkte ein und fuhr rasch, denn eben fielen die ersten Regentropfen; und daß es eine regelrechte Husche werden würde, das sah man den schwarzen Wolken an. Nach zehn Minuten hielt Jochen vor dem stattlichen alten Giebelhause. Ein Diener sprang herzu und half der Angekommenen beim Aussteigen.

„Ich bin’s, Seeben,“ nickte sie dem verwunderten alten Manne zu. „Ist der Herr zu Hause?“

„Jawohl, belieben Frau Baronin nur einzutreten.“

„Kannst ein wenig ausspannen, Jochen,“ befahl sie dem Kutscher, und nun betrat sie das Haus. Es war ihr wohlbekannt von früher, aber es überraschte sie dennoch wieder durch seine wohnliche Anmuth und durch seine vornehmen Verhältnisse. Was hatte der Bennewitzer im Laufe der Jahre aus diesem vernachlässigten alten Fachwerkhause geschaffen! Was war überhaupt aus der sogenanten Sandbüchse für ein Prachtgut geworden unter seiner Leitung!

„Die dumme Else!“ murmelte sie, als sie in einem Salon stand, so elegant, gediegen und behaglich, wie nur ein Mensch seine Umgebung gestalten kann, der über Geschmack, Schönheitssinn und reiche Mittel zu verfügen hat.

„Ich werde den Herrn gleich benachrichtigen,“ flüsterte der Diener und rückte einen der lichtbraunen Seidenfauteuils zum flammenden Kamin, „er ist eben einen Augenblick beschäftigt.“

Frau von Ratenow setzte sich und betrachtete das große Bild über dem Kamin. „Seine erste Gattin,“ sagte sie zu sich. „Hegebach hatte immer Geschmack,“ dachte sie weiter und schaute auf die Frauengestalt, die ihr aus dem Rahmen entgegenzutreten schien; eine edelschöne Gestalt im leichten weißen Kleide, den Kopf etwas zurückgewandt, so daß das Antlitz im Profil sich zeigte; im Hintergrunde sah man Haus Bennewitz aus Bäumen auftauchen. Auf dem Kaminsims zu Füßen des Bildes prangte eine Jardinière voll köstlicher duftender Rosen.

Er habe sie wohl sehr geliebt, dachte die sinnende Frau, und ob es nicht schwer sei für eine Nachfolgerin, wenn sie die Aufmerksamkeiten des Gatten noch mit der Verstorbenen theilen müsse. Na, er wollte ja nicht heirathen!

Sie fuhr empor aus ihren Gedanken; aus dem Nebenzimmer scholl lautes Sprechen, gleich darauf öffnete sich die Thür und eine Frau im Alter von etwa vierzig Jahren trat in den Salon, gefolgt von einem schlanken bildhübschen Jungen von ohngefähr fünfzehn Jahren. Sie schritten stumm grüßend an Frau von Ratenow vorüber, die mit sehr gemischten Gefühlen ihnen nachsah, halb staunend, halb verdutzt. Sie machte plötzlich eine Bewegung mit dem Kopfe und murmelte: „Ach so!“, als hätte sie eben etwas Wichtiges, wenn auch nicht gerade Angenehmes entdeckt. Es war ihr mit einem Male sehr ungemütlich zu Sinne, als ob sie höchst unnützer Weise hierher gekommen, als ob sie und Alles, was sie gewollt, entsetzlich überflüssig sei.

Da stand der Bennewitzer schon vor ihr und zog ihre Hand an seine Lippen.

„Meine beste Frau von Ratenow, was verschafft mir die seltene Ehre Ihres Besuches?“

„Ja, das fragen Sie einmal, Hegebach! Nicht wahr, es ist wunderlich von mir, Sie so plötzlich zu überfallen?“

„Reizend ist es, gnädige Frau!“

Er drückte sie wieder in den Sessel und nahm ihr gegenüber Platz.

„Ich will mich auch nicht lange aufhalten, Hegebach; ich glaube fast, ich störte Sie in – in einem wichtigen Moment.“

„Durchaus nicht, die Sache hat völlig Zeit,“ erwiderte er.

„Es ist ein hübscher Knabe, Hegebach.“

„Der hier eben vorübergegangen?“ fragte er. „Ah, ein prächtiger Junge!“

„In der That!“ pflichtete sie bei. Dann schwiegen sie, der Bennewitzer war zur Klingel gegangen.

Nun kehrte er zurück. „Ich bin glücklich, daß Sie gekommen sind, Gnädigste,“ begann er, „ich wäre möglicher Weise sonst noch zu Ihnen gefahren. Ich bin unruhig und aufgeregt, Sie wissen ja, weshalb. Es ist inmmerhin ein Schritt, der doch wahrhaftig nicht gleichgültig zu nennen ist. So etwas Fremdes plötzlich neben sich stellen zu wollen, von ihm all das zu erwarten, was sonst nur die Bande des Blutes zu fordern berechtigt sind, Liebe, Nachsicht, Ehrfurcht; diesem fremden Wesen das geben zu müssen, sein zu wollen, was man den eignen Kindern gewesen – es ist


  1. Maximilian Heine hat diese ergreifende Scene in seinen „Erinnerungen an Heinrich Heine“ (Berlin 1868) in einem herzlich platten Bericht wiedergegeben. Da er um die Zeit, wo sein Bruder Heinrich das Verhältniß mit der Scharfrichterstochter hatte, kaum neun Jahre alt war, und da er das Ereigniß an einigen Stellen annähernd wörtlich den Memoiren ähnlich darstellt, so liegt die Annahme nahe, daß er die ganze Geschichte nach der Lectüre der Memoiren aus dem Gedächtniß niedergeschrieben, wie denn überhaupt manche der Anekdoten seines dürftigen Buches den Memoiren entnommen sein mögen, die er nachher verstümmelt hat. An derselben Stelle (Seite 227) weiß Maximilian – natürlich nur vom Hörensagen – zu erzählen, sein Bruder habe schon in seiner frühesten Jugend eine kleine Novelle geschrieben, in welcher „Sefchen“ und „die Hexe von Goch“ den Hauptinhalt bildeten. Das betreffende Manuscript sei mit vielen anderen Manuscripten des Dichters beim Brande Hamburgs verloren gegangen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_269.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)