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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

etwas Eigenes, gnädige Frau, und es ist nichts Leichtes, glauben Sie das?“

Die alte Dame nickte. Sie war noch immer in Gedanken bei dem hübschen Jungen, der da vorhin durch das Zimmer geschritten. Sie konnte auch den Zweifel nicht länger ertragen. „Verzeihen Sie, Hegebach,“ begann sie mit einem tiefen Athemzuge, „war das nette Kerlchen vielleicht einer der Candidaten für Ihre Sohnesstelle?“

„Wer?“

„Der mit seiner Mutter eben hier –“

„Ach, meine Gnädigste. Nein, nein! Ich bin zwar Vormund und habe ein reges Interesse an ihm, er war der beste Freund meines armen Heinrich, aber –“

„Verzeihen Sie, Hegebach!“

Frau von Ratenow schöpfte Athem.

„Aber ich habe bereits anderweitig Verhandlungen angeknüpft und erwarte stündlich Nachricht.“

Die alte Dame saß wieder wie auf Kohlen. „Nun, mein bester Hegebach, ich wünsche alles Glück!“ Sie erhob sich plötzlich, es war schon tiefe Dämmerung. „Ich möchte eilen, heim zu kommen; sie wissen nicht, wo ich geblieben bin. Es hat auch keinen Zweck noch zu verweilen, ich – Sie werden mir verzeihen, Hegebach, ich war gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen – ich – ich hatte einen Plan, nun ist das zu spät. Nichts für ungut, Hegebach.“

Er antwortete nicht, es war stille im Gemach, nur die schwere Seide rauschte, wie sie sich den Mantel zuknöpfte, und die Uhr tickte leise.

„Adieu, Hegebach; Sie wissen, alte Frauen steckeu ihre Nasen gern in anderer Leute Sachen, aber gut gemeint war es.“

Er folgte ihr stumm bis zur Thür. „Warum so eilig?“ fragte er endlich gepreßt, „wollen Sie nicht eine Erfrischung nehmen, gnädige Frau?“

Sie dankte; sie hatte die Hand schon auf den Drücker gelegt, dann wich sie einen Schritt zurück; der alte Diener trat mit der Lampe ein und überreichte dem Hausherrn eine Depesche.

„Noch einen Augenblick, Gnädigste,“ bat er dringend und öffnete, zum Lichte tretend, das Couvert. „Lesen Sie,“ sagte er dann, „ich bin wieder einmal unglücklich gewesen,“ und er gab ihr das Blatt.

Sie nahm die Lorgnette und las:

„Ablehnende Antwort, vergeblich zugeredet.
 von Rost.“

„Was soll das heißeu?“ fragte sie hastig.

„Einen Korb von meinem auserkornen Sohne!“ Er war blaß geworden.

Tante Ratenow starrte auf die Depesche, es flimmerte ihr vor den Augen; sie las den Abgangsort, sie las die Unterschrift, es war wie ein Jubelsturm in ihrem alten Herzen.

„Und es liegt Ihnen gerad etwas an Diesem?“

„An Diesem, just an Diesem,“ sagte er, „sehr viel!“

„Geben Sie mir Vollmacht, Hegebach; Sie kennen ihn kaum, lasseu Sie mich -“

„Ich kenne ihn fast gar nicht,“ bestätigte er, „mich bestimmte nur Eines, ihn zu wählen, das –“

„Hegebach!“ Die alte Frau trat auf den Mann zu, der da noch immer neben dem Tische stand, die Hand leicht aufgestützt, wie in tiefem Nachsinnen; „Hegebach!“ Sie wollte weiter sprecheu, aber sie fing plötzlich an zu weinen. Sie weinte vor Freude, und sie ärgerte sich sofort darüber, daß ihr die Thränen so unaufhaltsam aus den Augen drangen; es war ihr nichts unangenehmer, als wenn man sie auf einer Weichherzigkeit ertappte, und resolut trocknete sie sich die Thränen ab und begann zu schelten:

„Ich müßte Sie eigentlich sitzen lassen, Hegebach, wahrhaftig! Seh mir Einer an, so ein Heimlichthuer! So geht’s aber immer, mein Bester, wenn Zwei von dem sogenannten starken Geschlecht sich zusammenthun, um etwas sehr Kluges auszubrüten. Rost! Der mag schönes Zeug zusammengeschwatzt haben, einen bessern Abgesandten konnten Sie nicht finden! Und warum sollte ich denn von alledem nichts wissen? Beichten Sie gefälligst, Hegebach!“

Er lächelte. „Wir wollten Sie überraschen, Gnädigste, denn an Den hätten Sie doch nicht gedacht.“

„So?“ fragte sie, und unter Thränen lachte auch sie nun. „Aber trotzdem, die alte Ratenow muß wieder einmal das Beste thun bei der Sache.“

Ja freilich, das mußte sie. Moritz erfuhr am späten Abend noch mit Kopfschütteln, daß seine Mutter verreisen wolle, den nächsten Morgen. Und sie reiste, und sie kehrte wieder nach drei Tagen. Dann kam der Bennewitzer und dann verreisten sie gemeinschaftlich. Diesmal wußte man wenigstens wohin; es ging nach Berlin.

„Mama will dem Bennewitzer wohl einen Sohn verschaffen, weil es mit der Frau doch nichts geworden ist?“ erkundigte sich Frieda; „wenn ich mir nur Eins dabei erklären könnte, Moritz.“

„Und dieses Eine?“

„Ich glaubte bisher immer, daß Mama ihn unter die Haube bringen wollte, das hätte sie Else’s wegen gethan. Was sie nun aber davon hat, ihm bei der Adoption eines Sohnes behülflich zu sein, das ist mir räthselhaft! Es geht sie doch gar nichts an – nicht wahr, Moritz?“

Moritz war so ungalant, nicht zu antworten. Er pfiff nur leise vor sich hin.

Am Abend kam das junge Rost’sche Ehepaar. Draußen regnete und stürmte es, und dann saß es sich köstlich in Frieda’s blauem Boudoir.

Sie waren rasch von ihrer hochzeitlichen Reise heimgekommen; Annie kannte schon Alles, und das Wetter war schlecht; außerdem hatte Rost so merkwürdige Reiserouten verfolgt. Anstatt nach Wien, hatte er die junge Frau nach dem obscuren H. geführt, und da war er einen halben Tag lang spurlos verschwunden gewesen. „Um ein Pferd zu kaufen,“ hatte er Annie nachher gesagt, denn bei Cavaleristen hätten die Pferde-Angelegenheiten sogar in den Flitterwochen ihre unbestrittene Berechtigung. Und dann – Annie erzählte es halb lachend, halb ärgerlich – hätte er seine Reisepläne noch damit gekrönt, daß der Unmensch sie nach Berlin geführt; „nach Berlin, das ich so genau kenne, wie mein Vaterstädtchen. Da riß mir aber die Geduld!“

„Uebrigens, wir sahen auch Ihre Frau Schwiegermama,“ setzte sie wie fragend hinzu.

„Freilich, Mama hat eine geheime Mission dort.“ Und Frieda schüttelte den Kopf.

„Der Bennewitzer war auch in Berlin,“ sagte Annie wieder.

„Auch Bernardi läßt sich allerseits empfehlen,“ fügte der junge Ehemann hinzu, und setzte den Kneifer auf, um Frieda anzusehen.

„In Berlin?“ rief diese mit ungeheucheltem Erstaunen.

Und Moritz lachte leise vor sich hin. Dann beurlaubte er sich; er wollte die heimkehrende Mutter vom Bahnhofe abholen.

„So, mein Jung,“ sagte diese, als sie eine Stunde später neben dem Sohne im Wagen saß, der rasch durch den dunklen Winterabend der Burg zurollte, „nun kommt’s in die Reihe. Aber Mühe hat’s gekostet nach allen Richtungen hin; was glaubst Du, Moritz, bis an den Kaiser mußte Hegebach gehen. Haben die Menschen spitzfindige Gesetze ausgeklügelt, um sich unter einander das Leben schwer zu machen! In ein paar Wochen hat der Bennewitzer einen Sohn, Moritz, und was für Einen!“




Es wurde Winter.

Das kleine Herrnhuter Dorf lag einsam unter den kahlen Bäumen; man konnte durch die entblätterten Aeste deutlich die fernen Berge sehen; die hatten schon Schnee auf den Gipfeln. In den Stuben des Pensionates knackten die Thüringer Buchenscheite in den Oefen, und die Lampen mußten zeitig angezündet werden.

Else von Hegebach kam eben aus der Schulstube. Um sie herum und an ihr vorüber stürmten wohl dreißig kleine Mädchen, sprangen mit wahrer Wonne in dem frisch gefallenen Schnee des Gartens umher, und sogleich begann ein hitziges Gefecht mit Schneebällen. Das junge Mädchen blieb in der Hausthür stehen, sah zu, wie das stiebte und flog und wie das traf, und hörte, wie sie jauchzten, die Kinder. Ueber ihr blasses Gesicht zog ein Lächeln, so hatte sie es einst auch gemacht. Sie schöpfte tief Athem in der kräftigen Schneeluft; das thut gut nach der dumpfen Schulstube.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_270.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2021)