Seite:Die Gartenlaube (1884) 285.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

beschrieben ist – eine Brücke aus Ochsenhäuten! Zu diesem Ende werden sämmtliche Thiere unter unglaublichen Schwierigkeiten auf dem engen Raume in knietiefem Schmutze abgeladen, die zur Bedeckung der kostbaren Ladung dienenden getrockneten Häute herunter genommen und vorsichtig eine nach der andern, dachziegelartig, über und neben einander, fein säuberlich auf den lieblichen Brei gelegt. Kein Professor der Physik hätte die Aufgabe, auf halbflüssiger Unterlage mittelst elastisch nachgebenden Platten durch Vertheilung der Last und Benützung des hydrostatischen Gegendruckes eine gangbare Passage zu schaffen, besser zu lösen vermocht, als diese braunen Burschen es thaten.

Aber welche Arbeit, welche Anstrengung! – da zu gleicher Zeit auch die Kaffeesäcke auf trockener Unterlage in Sicherheit gebracht werden müssen und die „Couros“ ja zum Brückenbau unentbehrlich sind!

Da mußten denn die Packsättel selbst herhalten, die dicht neben einander auf die Seite gelegt eine Basis für die Säcke und Bambuskörbe abgaben, bis nicht nur die Thiere eines nach dem andern am Halfter über die schwankende Hautschicht geführt, sondern auch die Ladung selbst abtheilungsweise auf dem Rücken der Treiber herüber gebracht und die Thiere nach und nach wieder gesattelt und beladen werden konnten.

Wir beeilen uns, die Nothbrücke zu benützen, so lange sie noch intact ist, und suchen die nächste „Posada“ wenigstens noch vor dem Einbruche vollständiger Dunkelheit zu erreichen, um so mehr, da der Himmel seine Schleusen geöffnet und unsere Ponchos von Schmutz und Regen triefen.

Ein kaum genießbares, aus Carne secca (getrocknetem Fleisch), Bohnen und Mandiocamehl bestehendes Abendbrod und ein Schluck mit Schnaps stark versetzten Lissabon-Weines ist neben einem harten Lager mit feuchten Laken Alles, was wir zur Stärkung unseres Leibes für die Mühen der nächsten Tage zu erlangen vermögen.

Mag auch eine Scylla, gleich den beschriebenen, nicht jeden Tag zu passiren sein, so fehlt es doch nicht an Löchern, die gerade tief genug sind, daß unser Roß bis zur Brust darin versinke, und wie in der Libyschen Wüste bezeichnen Thierleichen und Gerippe den Pfad, der den hochtrabenden Namen führt: Estrada geral para a provincia de Minas-Geraës.

Aber selbst dann, wenn nach anhaltender Trockenheit in den Monaten Juni bis September ein Theil der „Fallgruben“ verschwunden war (die schlimmsten und tiefsten trockneten nie ganz aus), blieben auf der Hauptstraße des Reiches immer noch derartige technische Mängel an steilen Hängen und Steigen (wobei Höhen von 1000 und mehr Fuß oft ganz unnöthiger Weise erklommen werden mußten), an dürftigen Flußübergängen und schlechten Brücken, an ungenügendem Schutz für Menschen, Thiere und Ladung, daß die Uebelstände in Wahrheit unerträglich schienen.

Damals trat ein Deputirter in der Kammer auf, Dr. Manuel de Mello-Franco, um zu sagen: „Meus Senhores, eine solche Straße, wie diese Estrada geral, ist eigentlich nichts Anderes denn eine ‚Blocade‘, und nicht einmal in milderer Form, und wenn die kaiserliche Regierung für meine heimathliche Provinz Minas – die erste und beste des Reiches – in dieser Hinsicht Nichts thun will, so muß dieselbe ersticken.“ –

Aber die kaiserliche Regierung hatte schließlich ein gnädig Einsehen, und es kam unter Zinsengarantie von sieben Procent von Seiten des Staates eine Actiengesellschaft unter dem Namen Companhia União e Industria zu Stande, welche sich die Aufgabe stellte, wenigstens auf dieser ersten aller brasilianischen Verkehrslinien, auf der directesten Route von der Reichshauptstadt nach dem Innern des Landes, durch die reichsten Kaffeeplantagen und nach der durch ihre Bevölkerungszahl wie durch ihre Producte hochwichtigen Provinz Minas eine Normalstraße für Fuhrwerksbetrieb statt des entsetzlichen alten Saumthierpfades herzustellen.


Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von Eduard Engel.

Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten. 

IX.

Am anderen Morgen erschien dem Sefchen alles wie ein Traum, aber da sie hinter dem bekannten Baum den aufgefrischten Boden sah, merkte sie wohl, daß alles Wirklichkeit war. Sie grübelte lange darüber nach, was dort wohl vergraben seyn mochte, ein Kind? ein Thier? ein Schatz? – sie sagte aber niemandem ein Sterbenswort von dem nächtlichen Begebniß, und da die Jahre vergingen, trat dasselbe in den Hintergrund ihres Gedächtnisses.

Erst fünf Jahre später, als der Großvater gestorben und die Göcherinn ankam, um das Mädchen nach Düsseldorf abzuholen, wagte dasselbe der Muhme ihr Herz zu öffnen. Diese aber war über die seltsame Geschichte weder erschrocken noch verwundert, sondern höchlich erfreut und sie sagte, daß weder ein Kind noch eine Katze noch ein Schatz in der Grube verborgen läge, wohl aber das alte Richtschwert des Großvaters, womit derselbe hundert armen Sündern den Kopf abgeschlagen habe. Nun sei es aber Brauch und Sitte der Scharfrichter, daß sie ein Schwert, womit hundertmal das hochnothpeinliche Amt verrichtet worden, nicht länger behalten oder gar benutzen; denn ein solches Richtschwert sei nicht wie andere Schwerter, es habe mit der Zeit ein heimliches Bewußtsein bekommen und bedürfe am Ende der Ruhe im Grabe wie ein Mensch.

Auch werden solche Schwerter, meinen Viele, durch das viele Blutvergießen zuletzt grausam und sie lechzen manchmal nach Blut, und oft um Mitternacht könne man deutlich hören, wie sie im Schranke, wo sie aufgehenkt sind, leidenschaftlich rasseln und rumoren[1]; ja, einige werden so tückisch und boshaft ganz wie Unsereins und bethören den Unglücklichen, der sie in Händen hat so sehr, daß er die besten Freunde damit verwundet. So habe mahl in der Göcherinn eignen Familie ein Bruder den andern mit einem solchen Schwerte erstochen.

Nichtsdestoweniger gestand die Göcherinn, daß man mit einem solchen Hundertmordschwert die kostbarsten Zauberstücke verrichten könne, und noch in derselben Nacht hatte sie nichts eiligeres zu thun, als an dem bezeichneten Baum das verscharrte Richtschwert auszugraben, und sie verwahrte es seitdem unter anderem Zaubergeräthe in ihrer Rumpelkammer.

Als sie einst nicht zu Hause war, bat ich Sefchen, mir jene Kuriosität zu zeigen. Sie ließ sich nicht lange bitten, ging in die besagte Kammer und trat gleich darauf hervor mit einem ungeheuren Schwerte, das sie trotz ihrer schmächtigen Arme sehr kräftig schwang, während sie schalkhaft drohend die Worte sang:

„Willst du küssen das blanke Schwert,
Das der liebe Gott bescheert?“

Ich antwortete darauf in derselben Tonart: „Ich will nicht küssen das blanke Schwert – ich will das rothe Sefchen küssen!“ und da sie sich aus Furcht, mich mit dem fatalen Stahl zu verletzen, nicht zur Gegenwehr setzen konnte, mußte sie es geschehen lassen, daß ich mit großer Herzhaftigkeit die feinen Hüften umschlang


  1. Aehnliches findet sich in Brentano’s Erzählung: „Die Geschichte vom braven Casperl und dem schönen Annerl“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_285.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)