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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 18.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Salvatore.
Napoletanisches Sittenbild. Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


Jch bin Staatsdiener, wie bisher,“ sprach Marsucci, während ihn Nacosta mit halb neugierigen, halb spöttischen Blicken prüfte, – „nur ganz erheblich besser gestellt, – ich meine im Punkt des Gehalts; – und was die Leistung betrifft, nun, ich kenne kein Vorurtheil, und keinenfalls werde ich sagen können, daß ich mich überarbeite. Ich besitze sogar einen Titel, der ganz pathetisch klingt und manche Leute in größere Erregung versetzt, als wenn Ihr sämmtliche Würden und Titulaturen Seiner Eminenz des Cardinals herzählt. Was meint Ihr, Nacosta, wie sich das anhört: ‚Zweiter Gehülfe des wohllöblichen Nachrichters Seiner großmächtigen Majestät des Königs von Neapel und Sicilien‘ –?“

„Ihr scherzt!“ rief Nacosta zurücktretend. Der tief eingewurzelte Abscheu des Italieners gegen Alles, was nur von ferne mit dem entsetzlichen Amte des Henkers in Beziehungen steht, hielt auch diesen Menschen gebannt, der doch so starknervig war im Planen seines Verbrechens.

„Seid nicht kindisch, Nacosta!“ sagte Marsucci. „Das Geschäft nährt seinen Mann; aller Sorgen bin ich nun ledig; – und was die Redereien der Menschen betrifft, – pah, wer von all diesen Laffen, die sich bekreuzigen, wenn der ‚Verfluchte‘ vorübergeht, schenkt mir auch nur einen schimmligen Blech-Bajocco, wenn ich die Gelegenheit ausschlage und ehrbar weiter hungere? Verkehr mit dieser Sorte hatte ich so wie so nicht, und schließlich, wenn ich am Sonntag nach Piedigrotta hinüberlaufe und der Reihe nach so die Weinschenken abzeche, da sieht doch keine von den hübschen Dirnen mir an, was für ein Gewerbe ich treibe. Die paar Jahre, die man noch jung ist, will man genießen, und geht’s nicht auf geradem Wege, nun so wählt man den krummen. Denkt Euch nur: vierzig Goldgulden als Handgeld hat mir das Schatzmeister-Amt schon gestern bezahlt, während ich, streng genommen, erst von künftigem Monat ab im Dienst der Regierung stehe. Wo in aller Welt findet Ihr eine gleiche Coulanz? Nun, ich hab’s denn auch redlich vor! Nicht umsonst will ich der Popanz sein für sämmtliche alten Weiber Neapels! Die jungen, denk’ ich, sollen mich schadlos halten, und der famose Vesuv-Wein. Ihr werdet Augen machen! Und wißt Ihr, da ich aus Rom bin, und meine Sprache für die Leute hier fremd klingt, so spiel’ ich ab und zu ’mal den vornehmen Herrn – so bei den Engländerinnen, die sich nur ein paar Wochen lang hier herumtreiben und nicht viel in Berührung kommen mit der einheimischen Bevölkerung. Ich hab’ mir das Alles schon ausgemalt. Wir Römer sind so wie so die geborenen Cavaliere im Vergleich mit hier dem Lumpengesindel; ein römischer Bettler nimmt’s mit manchem dieser Principi auf, wenn er in die richtige Jacke gesteckt wird.“

Nacosta merkte wohl, daß Marsucci ein wenig bezecht war; dennoch tauchte ihm alsbald der Gedanke auf, ob er nicht hier schon in dem ehemaligen Geheim-Polizisten den Mann entdeckt habe, den er für sein Project mit Salvatore benöthigte.

Es schlug neun. Er mußte jetzt unbedingt nach dem Orte des Stell-dich-ein. Die Begegnung mit dem Apulier würde nur kurze Zeit beanspruchen; gegen dreiviertel auf Zehn konnte Emmanuele wieder zurück sein, – und bis dahin hatte die Nachtluft den erhitzten Kopf Marsucci’s vielleicht hinlänglich klar gemacht, um ein vorsichtiges Anlegen der ersten Sonde, wenn nicht mehr, zu ermöglichen. Der Haß, den er während der letzten Zeit auf Marsucci geworfen, ging plötzlich unter im Gefühl der Genugthuung über dies unverhoffte Zusammentreffen.

„Ihr habt Recht, Marsucci,“ sagte er lebhaft. „Die Vorurtheile der Narren, die sich uns in den Weg stellen, sind nicht werth, daß man um ihretwillen einen einzigen Paolo unverdient läßt. Ihr müßt mir noch mehr von der Geschichte erzählen, – wie Ihr’s fertig gebracht, und wo Ihr die – Studien gemacht habt, die doch erforderlich sind. Setzt Euch hier an den Ecktisch und nehmt ein Glas Limonade, aber wenn’s Euch recht ist, nichts von Wein oder so. Im Vertrauen: auch ich hab’ Euch Mancherlei zu erzählen, und ich bedarf Eures Rathes. Jetzt, da Ihr nicht mehr eifersüchtig seid auf den schlauen Emmanuele – ja, ja, Ihr seid es gewesen; redet mir, was Ihr wollt! – jetzt können wir Freunde sein, wirkliche Freunde. Eh’ eine Stunde vergeht, bin ich zurück. Ich will’s Euch bekennen: ich hab’ einen wichtigen Gang vor, und er hängt mit der Sache zusammen, die ich Euch mittheilen möchte. Es ist ein ernstes Geschäft, Marsucci, und Geld läßt sich dabei verdienen wie Heu.“

Während Marsucci vor dem nächsten Kaffee-Haus Platz nahm, wandte sich Nacosta mit eiligen Schritten nach dem Gestade von Santa Lucia.

Am südlichen Ende des quadergefügten Uferdammes, der hier in stumpfem Winkel einen kurzen Ausläufer in den Golf hinausschickt, lehnte eine hohe, dunkle Gestalt wider die Brüstung, – regungslos, wie aus Bronze gegossen. Trotz der Spärlichkeit der Beleuchtung – man war außerordentlich sparsam mit den städtischen Oellampen – erkannte Emmanuele sofort den Apulier; so hoch gewachsen war Keiner unter den Schiffsleuten, die sich sonst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_293.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)