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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

liegende Thalwand sehen, die uns von riesigen Baumkronen und von schlanken, aus der Tiefe aufsteigenden Palmenwipfeln verhüllt wird!

Also hinunter in die Schlucht, wo zwischen tausendjährigem Moder und schwarzen Humusschichten, halb verfaultem Wurzelwerk und umgestürzten Stämmen, unter üppigen Baumfarnen, Calladien, Heliconien und anderen Prachtpflanzen der Trupenwelt ein dunkelbraunes Wasser sickert, das wir trotz des brennenden Durstes nicht zu trinken wagen, und jenseits wieder hinauf bis zu einer Höhe, welche der soeben verlassenen gleichkommt, nur um zu sehen, daß wir doch von vornherein das Richtige getroffen und daß die jenseitige Thalwand noch steiler sei, als die diesseitige, und so klettern wir freudigen Muthes und schweißtriefender Stirn wieder zurück.

So geht es Tag für Tag, bis nach manchen Zwischenfällen glücklich die Endstation erreicht ist, woselbst in einsam gelegener Bauhütte, vielleicht im Zelt oder unter einem mit Palmblättern gedeckten „Rancho“ die Resultate zusammengestellt, Plan und Nivellement definitiv festgelegt und die Kostenanschläge ausgearbeitet werden.

Kostenanschläge! Welchem Techniker, der praktisch thätig gewesen, zieht sich bei diesem Worte nicht das Herz zusammen!

Ich kannte einen alten Baurath, der manche Straße durch unsere heimischen Berge geführt hatte und der jüngeren Leuten auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen folgenden Rath zur Beherzigung für’s Leben mitzugeben pflegte: „Wenn Sie einen Kostenanschlag für eine Straße und Eisenbahn zu machen haben, so rechnen Sie alle Posten so dick wie möglich; dann schlagen Sie 50 Procent dazu und multipliciren das Resultat mit Zwei. Wenn dann die Verhältnisse einigermaßen günstig liegen, wenn Sie thätig und sparsam bei der Ausführung sind, so kann Ihnen eine ‚Belobigung‘ kaum entgehen, und vielleicht springt sogar ein Orden heraus; im entgegengesetzten Falle aber stehe ich für Nichts!“

Beim Straßenbau in Brasilien.
Originalzeichnung von F. Keller-Leuzinger.

Welche Norm aber würde der alte Herr für transatlantische Verhältnisse aufgestellt haben, wo bei der dünngesäeten Bevölkerung die Nothwendigkeit, armselige tausend Arbeiter an einem Punkte concentriren zu müssen, nicht nur die Löhne, sondern auch die Preise der Lebensmittel auf eine vorher ungeahnte Weise in die Höhe treibt und alle Berechnungen über den Haufen wirft! Mit allen diesen Schwierigkeiten hatten auch die Erbauer der Minasstraße zu kämpfen, aber nach hartem siebenjährigen Ringen konnten sie mit zufriedenem Blick auf das vollendete Werk schauen. Die Straße ist zum Theil auch ein Werk deutschen Fleißes und darf darum unser Interesse besonders in Anspruch nehmen.

An ihrem Bau war der großherzoglich badische Bau-Inspector Joseph Keller thätig, der in seinem engeren Vaterlande die erste Anlage des Mannheimer Hafens, die Eisenbahn von Mannheim nach Heidelberg, sowie von Karlsruhe nach Rastatt, den größten und wichtigsten Theil der Rheinrectification, sowie verschiedene Straßen im nördlichen Theile des Schwarzwaldes entworfen und ausgeführt hatte. – Er ging mit vierjährigem Urlaub nach Brasilien und quittirte, als die badische Regierung ihm eine weitere, zur Vollendung der Minasstraße dringend nothwendige Verlängerung desselben nicht zugestehen zu können glaubte – den badischen Staatsdienst, in dem er während zwanzig Jahren unermüdlich thätig gewesen. –

Die Straße beginnt in Petropolis, begleitet die Ufer der Piabanha bis nahe vor deren Einmündung in den Parahyba bei Tres Barras, überschreitet auf einer eisernen Gitterbrücke von drei, je 51 Meter langen Spannweiten (also an Ausdehnung ungefähr der Straßburg-Kehler Rheinbrücke zu vergleichen) den Parahyba, ersteigt eine andere Wasserscheide, um in kürzester Linie nach der Parahybuna zu gelangen, deren Thal dann bis nach Juiz de Fóra, dem damaligen Endpunkte der Straße, verfolgt wird.

Die Gesammtlänge zwischen Petropolis und Juiz de Fóra beträgt 147 Kilometer; die Erhebung der genannten Endstationen über den Meeresspiegel ist eine nahezu gleiche, das heißt beiderseits etwa 700 Meter, während der tiefste Punkt, der Parahyba-Uebergang, etwa 100 Meter über dem Meere liegt.

Auf der 7 Meter breiten Straße findet sich alle 10 bis 12 Kilometer eine Station mit entsprechenden Wohn- und Lagerräumen, sowie Stallungen.

Die Baukosten beliefen sich im Ganzen auf 12,000 Contos de Reis, das heißt nach dem damaligen Wechselstande auf etwa 30 Millionen Mark. Bedeutende Schwierigkeiten, respective Kosten, machte das Zusammenbringen der nöthigen Arbeiterzahl, die im Ganzen zwischen 4000 und 6000 Mann schwankte und zur einen Hälfte aus gemietheten Sclaven (für die Erdarbeiten), zur andern aus freien Leuten (Deutschen, Portugiesen und wenigen Brasilianern) für Zimmer-, Stein- und Schmiede-Arbeit bestand.

Ein eigenthümliches, in mehr als einer Hinsicht interessantes Moment bei diesem Straßenbau nach der Provinz Minas-Geraës

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_300.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)