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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Der Maibaum.

Bilder aus dem steirischen Volksleben von P. K. Rosegger.


[„]Bauer,“ sagt der Kleinhäusler Poldel, „was kostet der Baum, der oben im Schachen steht, wo sich die Wege kreuzen – der junge hochaufgeschossene Fichtenbaum?“

„An dem das Vogelnest ist?“ entgegnet der Bauer.

„Schau, Bauer, hast Du ihn schon so genau beguckt?“

„Freilich, und mir scheint, Du hast’s auch gethan, Poldel. Vielleicht nimmst einen Andern.“

„Ich brauche einen, der gut steht.“

„Eh, das weiß ich, daß Du einen solchen brauchst. Für Welche denn, wenn man fragen darf?“

„Werden wir handelseins, Bauer, so sage ich Dir’s. Was das Bezahlen anlangt: einen Tag zum Kornschneiden hast mich, im Sommer wenn’s zeitig ist.“

„Eine Red’! Poldel, der Baum gehört Dein. Für meine Dreifaltigkeit thut’s auch ein anderer.“

So wird’s ausgemacht zwischen dem Großbauer und dem Kleinhäusler. Der Großbauer ist diesem weit über, an Bäumen und an Jahren. Er denkt nicht mehr dran, einem Dirndl den Maibaum zu setzen, er wendet seine Inbrunst bereits einem Andern zu und simulirt, wie er am ersten Maitage dem lieben Gott eine Aufmerksamkeit erweisen werde dafür, daß er es wieder Frühling werden lassen, daß er das Korn, welches im vorigen Herbst in die Erde gelegt wurde, wieder aus dem Grabe ruft, und daß er den Bauer diese erfreuliche Zeit noch einmal ließ erleben. Vor dem Hofe auf freiem Anger steht eine kleine Capelle mit dem Bildniß der heiligen Dreifaltigkeit. Der Bauer wird im Walde einen jungen schlanken Baum schlachten, wird ihn entrinden bis an den Wipfel, an diesem die grünen Zweige schmücken mit bunten Bändern und rothen Rosen aus Papier, und wird diesen Baum an der Dreifaltigkeits-Capelle aufrichten, daß es ein öffentliches Dankopfer sei, oder daß – wie einmal der Hegel-Natz so unziemlich gesagt hat – die Leute sehen: der Großbauer bleibe dem Herrgott nichts schuldig und er bezahle den schönen Mai mit dem noch schöneren Maibaum. Denn um die künstlichen Blumen und Bänder ist letzterer ersterem „über“.

Dieser Maihaum braucht das Tageslicht nicht zu scheuen; am Vorabende des ersten Mai wird er gelassen und sorgfältig aufgestellt, und setzt’s für die Arbeiter hernach ein gutes Vesperbrod. Und wenn dann in der Dämmerung die Fledermäuse hin- und herzufahren beginnen, sehen sie den Stamm, der so weiß ist, daß er ihren schwachen Augen weh thut. Also wär’s, wenn die Menschen Mai machen müßten: lauter kahle, trockene Stäbe, lauter dürren, buntbestrichenen Flieder! Aber den lieben Gott freut der gute Wille doch, und reicher und gewaltiger an Schönheit und süßer Pracht läßt er den Lenz entstehen in den Thälern und auf den Bergen.

Jetzt aber, der Kleinhäusler Poldel, der muntere lebfrische Bursche, der giebt seinem Maibaum eine andere Bedeutung und einen anderen Boden. Sein Maibaum muß wachsen über Nacht, wie Pilze wachsen nach einem Regen; keinen Spatenstich darf man hören, ohne alles Geräusch muß der schwere schlanke Stamm emporgehoben und in die Grube gesenkt werden. Im Rübelhof ist sie daheim, die Kleine! die Liebe! Der Poldel ist schon so weit mit ihr in Richtigkeit, nur will sie’s immer noch nicht recht glauben, daß es sein Ernst ist. Uebermüthige Burschen machen oft Späße mit solchen Dingen, und Mädchen, die drauf gehen, werden ausgelacht – und oft mehr als das.

Da kommt der erste Mai und mit ihm ein Landesbrauch, der dem Poldel Gelegenheit giebt, es öffentlich auszurufen: Er freit das Dirndl im Rübelhofe!

Im Walde oben, wo der Baum gefällt worden, wird er auch entschält – Alles ganz heimlich – nur der grüne Wipfel mit seinen weichen Zweiglein und Kreuzlein bleibt gar sorgfältig geschont und hat sich der Poldel viel Tabakgeld kosten lassen, um ihn mit rothen und blauen Seidenbändern zu schmücken, vielleicht noch ein Herz oder einen Reiter aus Lebkuchen oder dergleichen hinaufzuhängen. Beim Entschälen des Schaftes wird geachtet, daß hoch oben ein paar Rindenkränze dran bleiben, die wie Kronen gezackt werden.

Die Cameraden sind bestellt, und kommt die Nacht, so tragen sie diesen Baum hinab in das Thal, und am Rübelhofe, gegenüber dem Kammerfenster des Dirndl’s wird er aufgestellt. – Im Hause schläft Alles; der Kettenhund ist bestochen, die Arbeit wird mit Mühe vollbracht. Oft geräth es nicht, der Baum hängt, hängt nach einer Seite – das ist des Teufels. Noch öfter steht er gerade empor zum Himmel, und das ist – Gottlob – beim Poldel der Fall.

Nun – die Arbeit gethan – wird ein wenig geminnt. Der Bursche stellt sich an’s Fensterlein und macht mit halblautem Geflüster seinen Spruch:

„Mein Herz und mein Sinn
Ist im Kamerlein drin,
Wia stell’ ih’s denn an,
Daß ih nach eini kann?“

Junges Blut hat guten Schlaf, aber derlei weckt es doch. Nur ist das Dirndl im Rübelhof so schlau und meldet sich nicht, denn sie will noch mehr so Sprüchlein hören. Daher fährt er fort:

„Du herzi liabs Schatzerl,
Du Himelschlüssl,
Steh’ auf und mach auf
A kloanwinzigs Bissl.“

Inwendig ist ihr schon über die Maßen heiß, nach außen bewahrt sie immer noch die Ruhe.

Da singt er:

„Dirndl, bist stulz
Oder kenst mih nit,
Oder is däs
’s recht Fensterl nit?“

Jetzt giebt’s für sie kein Halten mehr, denn das letzte Liedel ist voll von Irrthümern. Sie kennt ihn recht gut und ist vor ihm auch nicht stolz, daher ist es wohl wahrlich das rechte Fensterl. Da giebt’s kein Halten. Ein klein wenig thut sie den Schuber auf und flüstert heraus:

„Ih bin nit stulz
Ih ken dih wul,
Du bist da Bua,
Der kema sul.“

Weiter zu horchen geziemt uns nicht. Es muß uns genügen zu wissen, daß in stiller Nacht der Maibanm seine Weihe erhält. Und was die Nacht huldreich verhüllte, der Maimorgen macht es freudig offenbär. Als das Dirndl das Fenster aufthut, damit die Mailuft hereinkann – deull Alles trachtet an diesem Morgen der Frische zu, „Mailuft schöpfen! Mailuft schöpfen!“ – da sieht sie’s: vor dem Fenster steht schlank und blank in der hellen Sonne das Ausrufungszeichen der Liebe!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_304.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2021)