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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

soviel, wie ich brauche; dazu kommen die Extragelder ... Ja, Zingarella, zum Vergnügen thät’ ich das auch nicht, denn ich liebe die Freiheit wie Du: – aber der liebe Junge geht vor, das ist nun nicht anders, – und wenn die Schwester nicht mal soviel drangeben will für den Bruder, dann wär’s ja mit der Menschheit ein Jammer!“

„Du treue Seele!“ sagte Maria gerührt. „Freilich, wenn der Junge den Arm nicht gebrauchen kann, so ist’s ja wohl Eure Schuldigkeit, daß Ihr seht, wie er weiter kommt.“

„Natürlich! Davon redet man gar nicht! Zudem, Du hast keine Ahnung, wie freudig man sich ius Unleidlichste findet, wenn man sich sagen darf: Es ist zum Besten Derer, die man im Herzen trägt. Siehst Du, anfangs, wenn ich mir vorstellte: so im Gasthaus – jedem Hansnarren, der die Klingel zieht, Rede stehn, und dann für die kleine Münze, die abfällt, schönen Dank sagen, wie die Bettelkinder am Hafen – das war mir schrecklich! Nun aber bin ich schon dran gewöhnt, noch eh’ ich Einzug gehalten, – und ich sage mir: das ist ehrliche Arbeit, so gut wie daheim! Aber nun laß doch hören, Maria – da wir doch mal in’s Plaudern gerathen – was führt denn Dich über den Golf? Du siehst recht darnach ais, als wär’s etwas Großes – so ernst und gedankenvoll! Freilich, Du triffst den Apulier, und das reicht ja schon aus, um Dir den Athem zu nehmen!“

Die Falte zwischen den Brauen Maria’s vertiefte sich. Ein wenig unsicher gab sie der Gespielin Antwort auf ihre Frage.

„Mein Verlobter,“ sagte sie, „hat mir letzthin geschrieben, es sei wahrscheinlich, daß er zu Ende des Monats einen Posten in Frosinone erhielte. Eh’ es dann soweit ist, daß wir heirathen, vergeht wohl der Winter, und da verlangt’s ihn, mich noch einmal zu sehn vor der Abreise.“

„Weßhalb kommt er denn nicht nach Capri?“

„Er war ja vor Kurzem erst da – und jetzt hat er Allerlei vor ... Uebrigens, ob das mit Frosinone was wird, das liegt noch sehr in der Schwebe. Du brauchst’s nicht aller Welt zu erzählen! Hörst Du, Giulietta?“

„Wie werd’ ich denn! Im ‚Goldnen Kreuz‘ bekomm ich so wie so nur Fremde zu sehn! Und wo steigst Du denn ab?“

„Im ‚Leon Bianco‘ an der Via de’ Preti.“

„Wo ist das?“

„An der Grenze des Ostviertels. Ein bescheidnes Albergo, – aber das ‚Goldne Kreuz‘ übersteigt noch vorläufig unsere Verhältnisse.“

Die königliche Stadt mit ihren fünf Castellen rückte näher und näher. Ischia und Procida verschwanden hinter der Spitze des Posilippo. Noch zehn Minuten, und die Anker rasselten über Bord.

Die Zingarella hatte jetzt für Giulietta nur einen letzten flüchtigen Gruß. Am Uferdamme gewahrte sie die hohe Gestalt des Apuliers, schön und gebietend wie je, bleich, aber deshalb nur um so hinreißender. Er winkte ihr zu; er sprang voll Ungeduld in die Barke, die jetzt gerade vom Strand stieß, – unbekümmert um den Widerspruch der beiden zerlumpten Schiffer, die sich auf die Hafenordnung beriefen. Beim Herabsteigen half er seiner Verlobten mit der Ritterlichkeit eines vornehmen Cavaliers, küßte ihr schweigend die Hand und führte sie, als die Barke gelandet war, zu dem Einspänner, den er gemiethet hatte.

Beide kümmerten sich keine Secunde lang um Giulietta, die als eine der Letzten in das menschenüberfüllte Ruderboot sprang, leicht und geschmeidig, wie eine Gazelle, und dann am Ufer zehn Minuten lang mit dem Facchino feilschte, der ihr Gepäck nach dem ‚Goldnen Kreuz‘ bringen sollte.

Das Corricolo setzte sich in Bewegung. Die Zingarella, die seit mehreren Jahren den Strand ihrer heimathlichen Insel nicht verlassen hatte, starrte sprachlos in das bunte Gewühl der prächtigen Uferstraße, in dieses Chaos von rollenden Fuhrwerken und hastenden Menschen. Wie von Dank erfüllt, drückte sie ihrem Salvatore die Hand; es war ihr, als bedeute das ungewohnte Corricolo den Siegeswagen, auf dem der Geliebte sie hinausführen würde an das glorreiche Ziel seiner Pläne. Von sich selbst aus begehrte sie eigentlich Nichts, als die Gemeinschaft mit ihm: so groß jedoch war die Macht, die Salvatore über ihr ganzes Fühlen und Wollen ausübte, daß sie nachgerade mit seinen Augen ins Leben sah und sich für die ungestüme Rastlosigkeit eines Strebens begeisterte, dessen Beweggründe ihr unverständlich und fremd blieben.

Nach einer Weile bog das Corricolo ab. Man durchkreuzte einige Gassen und Gäßchen, und dann den unregelmäßigen freien Platz vor einem altersgrauen Palast, an dessen gothischem Thorweg eine glänzende Equipage hielt.

„Der Palazzo Seiner Eminenz,“ flüsterte Salvatore. „In den Polstern dieser Kalesche ruht sich’s noch etwas bequemer als auf den harten Kissen unseres Corricolo. Kommt Zeit, kommt Rath! Bis dahin aber wollt’ ich meiner Herzallerliebsten doch einen Vorschmack geben von den Genüssen der Gransignori. Traurig genug, daß die Braut Salvatore Padovanino’s in der verstaubten Höhle des ‚Leon Bianco‘ Logis nimmt, anstatt in einem der großen Gasthäuser von Santa Lucia; da hab’ ich’s denn zum wenigsten eingerichtet, daß die wonnige Zingarella nicht zu Fuß gehen mußte!“

Und behaglich aufathmend legte er sich zurück wider die Lehne. Wie allen Südländern, galt ihm das Fahren als der Inbegriff einer wahrhaft lucullischen Lebensführung.

Im „Weißen Löwen“ fand Maria ein besseres Unterkommen, als sie gehofft hatte. Die Padrona zollte der auffälligen Schönheit des jungen Paares unwillkürlich ihren Tribut. Das kleine Zimmer war freilich kahl, die zerbröckelnden Fliesen des Fußbodens hauchten eine kellerartige Dumpfheit aus, und der Kalk an den Wänden splitterte: aber das Ganze war für napoletanische Verhältnisse doch reinlich und ordentlich, und der Imbiß, den die Beiden im Wirthszimmer einnahmen, stand dem nicht nach, was Maria in der Heimath gewöhnt war.

Während sie aßen, ward nur von gleichgültigen Dingen geredet. Salvatore, dem der Verräther Nacosta immer und immer wieder die peinlichste Vorsicht empfohlen, hatte sich das Gelübde geleistet, von Dem, was er mit Maria zu reden hatte, nicht eher anzufangen, bis er sie hinausgeführt hätte auf die einsame Landstraße zwischen Fuorigrotta und Bauli. Hier in Neapel, wo jede Wand ein Spion war, fühlte er sich gedrückt und beängstigt.

Die Villen des Posilipp glänzten im Abendlicht, als die beiden Verliebten über die Chiaja schritten. Arm in Arm betraten sie den schwärzlichen Tunnel – für Maria ein Gegenstand unbehaglich-öder Empfindungen. Das klappernde Geräusch der Wagen und Fußgänger, das in betäubender Dumpfheit an den Felswölbungen widerhallte, wirkte beklemmend; sie schmiegte sich fester an Salvatore, der sich gleichfalls eines sonderbaren Gefühls nicht zu erwehren vermochte. Immer gruft-ähnlicher ward die finstere Umgebung; die vereinzelten Oellampen blendeten, aber erhellten nicht; die vorüberkommenden Menschen sahen aus wie die Schatten von Abgeschiedenen. Da Maria nach einer Weile sich umkehrte, lag der Eingang ebenso wie der Ausgang als ein weißlich blitzender Punkt in unabsehbarer Ferne.

Sie beschleunigte ihre Schritte.

„Wenn die schmale Oeffnung sich schlösse!“ flüsterte sie. „Wenn der Berg über uns zusammenstürzte!“

Und wie sie das sprach und ihr schönes Haupt zärtlich an die Schulter ihres Geliebten schmiegte, da blieb es unentschieden, ob sie mehr an die Felsmassen des Posilipp oder mehr an den Plan dachte, dessen finstere Irrwege sie mit Salvatore durchwandern sollte. Eine unsägliche Bangigkeit überkam sie, ein heimliches Schaudern, das nicht eher wieder nachließ, bis sie im wachsenden Felsspalt die Häuser von Fuorigrotta erblickte.

Die weite Ebene jenseits des Bergrückens lag bereits im Schatten der ersten Dämmerung, als das Paar die Landstraße nach Bauli betrat. Rechts und links in den Weizen- und Maisfeldern, wo sich die Reben nach alt-römischer Weise von Baum zu Baum rankten, herrschte das tiefste Schweigen. Die ganze langgestreckte Chaussee hinab gewahrte man kein lebendes Wesen. So machten sie nach einigen hundert Schritten Rast auf der Böschung, dicht am Stamm eines der mächtigen Ahornbäume, die hier eine Stunde weit die schönste Allee der campanischen Landschaft bilden, und begannen ihre Besprechung, aller sonstigen Gewohnheit zum Trotz, mit schmerzlichen Seufzern.

Salvatore, von der Stimmung der Zingarella beeinflußt, hatte in dem dumpfigen Tunnel gleichsam einen Vorgeschmack jener Tage und Wochen bekommen, die er auf Pizzo Falcone verbringen würde, und als er sich sagen mußte, daß im Verließ dieser Veste ihm kein so reizendes Haupt an der Schulter lehnen und keine zärtliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_310.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2021)