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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Hand die seine ergreifen würde, da verlor er auf Augenblicke die Lust und den Muth, – und die Schattenseiten der so leuchtend gemalten Idee traten zum ersten Mal deutlich in sein Bewußtsein. Auch Maria hatte sich noch nicht völlig erholt. Der Gedanke der Trennung, die Aussicht auf die bevorstehenden Kämpfe und ein leiser Zweifel an dem Gelingen – das Alles kam jetzt zusammen.

Sie bezwang ihre Anwandelungen zuerst. Mit beiden Armen den Geliebten umschlingend, bat sie ihn um genaue Mittheilung alles Dessen, was der Polizei-Aspirant mit ihm geplant hatte.

Salvatore erzählte es ihr der Wahrheit gemäß. Nur den Namen des Mitverschwornen enthielt er ihr vor: er nannte ihn Carlo Grisi. Der Polizei-Aspirant hatte dem leichtbethörten Apulier die dauernde Nothwendigkeit dieser Täuschung glaubhaft gemacht. Gesetzt, man verhöre Maria, so sei es unter allen Umständen besser, wenn der Name Nacosta, der natürlich sofort bei den Verhandlungen genannt werden würde, ihr thatsächlich unbekannt sei. Das erleichtere ihr die Rolle der Unbefangnen.

Maria lauschte mit verhaltenem Athem. Daß Monsignore De Fabris in die verlangte Audienz gewilligt und sich bereit erklärt hatte, das verwegne Project mit Salvatore und dem Polizei-Aspiranten bis in’s Einzelne durchzusprechen – das gab für die Zingarella den Ausschlag. Nun war es ja zweifellos, daß ihr Geliebter nicht nur klug, sondern auch ehrlich und als wackrer Patriot, als gut katholischer Christ handelte! Seine Eminenz selber gab ihm so zu sagen die Weihe – und den Segen, der den Erfolg verbürgte!

„Nun aber noch Eins,“ flüsterte Salvatore, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. „Was ich jetzt noch zu sagen habe, das ist – neben der Sehnsucht, Dich noch einmal in die Arme zu schließen – der Hauptgrund, weshalb ich Dein Kommen wünschte. Schreiben konnte und mochte ich’s nicht, weil das Gefahr bringt. Höre also, und versprich mir, daß Du gehorchen willst! Es ist unumgänglich, Maria, daß Du sofort nach Bekanntwerden meines Angriffs auf Monsignore De Fabris die größte Entrüstung zur Schau trägst; denn die Aussichten des Erfolgs – so sagte mir der Polizei-Aspirant – müssen gehäuft werden, und nicht eifrig genug können wir Sorge tragen, daß man das Attentat wirklich für das hält, für was wir es ausgeben. Die Partei der ‚Freiheitsfreunde‘ ist so wie so gleich mit Verdächtigungen zur Hand. Früher schon, vor neun oder zehn Jahren, als ein ähnlicher Fall sich ereignete – das heißt: ein echter, nicht ein gemachter – haben sie ohne Weitres behauptet, die Regierung habe das Attentat sich bestellt. So wird man auch diesmal jede leiseste Möglichkeit aufgreifen, um das Nämliche in Umlauf zu setzen, und deshalb, Maria, muß Alles geleistet werden, was die Echtheit unsrer Komödie wahrscheinlich macht. Da meine ich denn – so hart mir’s ankömmt – es gäbe kaum ein glaubhafteres Mittel, als wenn Du sofort nach empfangner Kunde scheinbar unsere Beziehungen lösest!“

Angstvoll blickte sie zu ihm auf.

„Ich ...?“ stammelte sie mit bebender Lippe. „Ich soll ...?“

„Ja, Maria! Auch mir widerstrebt es, – aber bedenke doch! Hältst Du der Welt gegenüber nach wie vor an mir fest, so kömmst Du, ohne es zu wollen, zuletzt auf den Standpunkt, das Attentat entschuldigen oder gar billigen zu müssen. Von diesem nachträglichen Gutheißen bis zur Mitwissenschaft ist in den pfiffigen Köpfen der Untersuchungsrichter kein weiter Schritt. Auch wär’s doch natürlich, wenn ich im Ernst ein solches Verbrechen beginge, daß Du Dich lossagtest ...“

„Niemals!“ rief Maria voll Leidenschaft. „Was auch geschähe, ich würde Dich lieben – lieben bis in den Tod.“

Sie warf sich an seine Brust.

„Diese Liebe wird Dir die Kraft geben,“ hub er nach einer Pause wiederum an, „das durchzuführen, was ich verlange. Zingarella, Du Holde, Du Einzige – was kümmert Dich das jammervolle Gerede der Welt? Selbst während Du Dich scheinbar von mir gelöst hast, werden unsere Herzen stündlich Zwiesprache halten; Du umschwebst mich im Traum; Du bist mein, wie ich Dein bin! – Aber Du mußt Dich fügen. Sieh’, Maria: und wenn Du nur das Eine erreichst: daß die Polizei Dich mit Fragen verschont! – Du glaubst nicht, wie’s die Leute verstehn, ihren Opfern die Seele aus der Tiefe der Brust zu holen! Ich werde nicht ruhig sein im Kerker von Pizzo Falcone, wenn Du nicht schwörst –“

„Was Du willst!“ sagte sie seufzend.

Nun entwarf er ihr, den Weisungen Emmanuele Nacosta’s folgend, einen Verhaltungsplan.

Sie versprach, ihn gewissenhaft durchzuführen; sie sagte zu Allem Ja; mehr als je befand sie sich unter dem Bann dieses räthselhaften, unwiderstehlich-machtvollen Menschen.

Plötzlich erhob er sich.

„Komm, es ist dunkel geworden!“ sprach er und bot ihr die Hand, um sie emporzurichten. „Bist Du müde?“

„Müde? Bei Dir?“

„So nehmen wir den Weg am Gestade entlang. Der Durchbruch unter dem Bergrücken ist mir zuwider. Jede Stunde der Freiheit muß ich jetzt auskosten! Vielleicht noch in dieser Woche ...“

„Laß doch!“ wehrte sie zärtlich. „Die Sache ist durchgesprochen – nun vergiß, was leider Gottes unabänderlich ist! Fort mit all’ den trüben Gedanken! Plaudern wir lieber von dem, was darnach kömmt! Wenn wir nun Alles erlangt haben, was Du Dir vorgesetzt – wohin wirst Du mich führen? Capri – so lieb ich’s habe – ist ein Gefängniß für Dich: der Adler kann nicht unter den Sperlingen horsten. Neapel – das fühl’ ich im Voraus – wird mir verhaßt sein, tödtlich verhaßt. Ich weiß nicht, warum; aber es ist so. Wohin also?“

Nun erging sich Salvatore Padovanino in den wildesten Phantasmen; sein beweglicher Geist erbaute die unerhörtesten Luftschlösser; Ein goldener Traum entspann sich lebensvoll aus dem andern. Die unmöglichste Welt rollte sich vor den begeisterten Blicken der Lauscherin aus: sie schweiften durch die Märchengelände Utopiens ...

Endlich, da schon die Lichter der Chiaja über den Golf blinkten, machten sie Halt. Das ferne Geräusch der unermeßlichen Stadt schleuderte sie aus den Himmeln ihrer Verzückung.

„Maria,“ rief der Apulier, „wenn wir so hätten fortwandern dürfen! Wie eine stürzende Bergwand scheint sich die Zukunft über mich herzuwälzen! Morgen schon muß ich Dich lassen – und Tags darauf diese Begegnung!“

„Sei nicht thöricht!“ bat sie mit erkünstelter Leichtblütigkeit. „Fürchtet sich mein Salvatore vor dem Antlitz des Cardinals, – vor den Goldgemächern seines Palastes? Und wär’s der König, Du dürftest ihm aufrecht entgegentreten: denn Du bist hoheitsvoll und herrlich wie er!“

„Für Dich, Du Süße! – Uebrigens – was die Goldgemächer betrifft – ich vergaß, Dir’s zu sagen, aber mich wundert’s, daß Du nicht von selber auf die Idee kommst! Sieh’ mal, – wie kann ich den Monsignore in seinem Palast besuchen, wo Dutzende von Bedienten, Kammerherren und Wachen mein Erscheinen bemerken würden? Carlo Grisi hat dies besser erwogen! Seine Eminenz giebt mir an drittem Orte ein Stell-dich-ein, – drunten auf Santa Lucia im Albergo zum ‚Goldnen Kreuz‘.“

„Im ‚Goldnen Kreuz‘?“ wiederholte Maria. Dann ward sie schweigsam. Ein plötzlich erwachter Gedanke schien sie lebhaft in Anspruch zu nehmen.

„Was hast Du?^ frug der Apulier.

„Ich erwog, ob es nicht dennoch möglich gewesen wäre, Dich im Palast zu empfangen. Indeß, Du magst Recht haben. Jetzt aber – nicht wahr, Geliebter? – kein Wort mehr! Hier links auf der Steile kommen die ersten Landhäuser.“

Rascher als zuvor schritten die Zwei nun bergab.

In den Anlagen der Villa Reale spielte die Militärmusik. Eine bunte, lebensfrohe Gesellschaft wimmelte unter den Lorbeerbäumen und Steineichen.

Bis gegen elf Uhr führte Salvatore sein Mädchen auf und nieder an der Brüstung des Strandes; dann bestiegen sie, von plötzlicher Uebermüdung ergriffen, ein Fuhrwerk und erreichten den ‚Leon Bianco‘, als der Pförtner eben das Thor schloß. Ein letzter Kuß – und Maria stieg die Treppe hinan, während sich Salvatore vor das nächste Kaffeehaus setzte und noch bis Mitternacht dem Ungestüm seiner Gedanken nachgab.

Der folgende Tag war für das liebende Paar zauberisch.

Sie speisten zusammen auf der Veranda eines vornehmen Restaurants; das letzte Goldstück mochte vergeudet werden: es kam ja nun die Zeit der Entbehrung! – Und wie plauderten sie von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_311.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2021)