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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Altdeutsches Tanzlied


Altdeutsches Tanzlied.
Nach Neidhard von Reuental (um 1220).


Wohlauf! Der kühle Winter ist vergangen;
Die Nacht wird kurz, der Tag beginnt zu langen.
     Es naht die wonnigliche Zeit,
     Die Freuden aller Welt verleiht.

5
Die Vöglein singen helle; neu grünt des Waldes Kleid.


Die Mägdlein rufen sich zur lichten Heide:
Gespielin, komm zu holder Augenweide!
     Der Liebste wartet auf der Au,
     Der Anger blitzt von Morgenthau;

10
Da bricht er uns zum Kranze die Blümlein roth und blau –


Die Mutter schilt auf Tänzer und Genossen:
Du bleibst zu Haus! Dein Kleid halt’ ich verschlossen. –
     Ach laß mir’s, liebe Mutter mein!
     Spann ich nicht selbst den weißen Lein? –

15
Da zieht sie Rock und Gürtel mit Lachen aus dem Schrein.


Im Lindenschatten tanzt die Schaar der Jungen;
Die stolze Maid kommt lustig angesprungen.
     Bei Lachen, Lärm und Liederschall
     Wirft mit dem Liebsten sie den Ball

20
In ferne Blüthenthale klingt hell der Widerhall.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_313.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)