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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Ein mühsamer Marsch von etlichen Stunden durch die Wüste führt zu den nächsten Welwitschien. Sie finden sich vereinzelt oder in Gruppen von dreißig bis fünfzig, und zwar nordwärts bis zu dem Flusse San Nicolau unter 14 Grad südlicher Breite, südwärts bis weit in das Damara-Land hinein. Eine Pflanze, die unter so absonderlichen Verhältnissen ihr Dasein fristet, muß in der That auch ganz eigenartig, den Bedingungen angepaßt sein. Sie hat die andauernde Dürre, die Gluth der Tropensonne und des übermäßig erhitzten Sandes wie die jäh eintretende nächtliche Abkühlung zu ertragen. Die Welwitschie ist ein Baum von rübenähnlicher Gestalt, der sich bis zum Wipfel in die Erde geflüchtet hat und seine Wurzeln in die Tiefe hinabsendet, wo noch ein wenig Feuchtigkeit vorhanden ist. Selbst die größten Exemplare ragen kaum einen Fuß über den Boden auf. Der freistehende Obertheil zeigt bei den jüngeren eine mehr oder minder ausgeprägte Zweitheilung, welche im Alter mehr und mehr verschwindet und sich in einer muldenähnlichen Einsenkung verliert. Sehr alte Welwitschien nehmen daher die Form eines nach der Mitte vertieften Tisches oder eines umgekehrten, des Stieles beraubten Hutpilzes an und ihr Aussehen erinnert eher an alles Andere als an eine Pflanze.

Nach den Keimblättern entwickeln sich die beiden zwei Meter und darüber lang werdenden Blätter, welche die Pflanze niemals abwirft oder ersetzt, selbst wenn sie im Laufe der Jahrzehnte an den Enden gänzlich zerfasern und vertrocknen. Diese sonderbaren Blätter oder blattartigen Lappen stehen einander gegenüber, sind mattgrün, lederartig und spalten sich mit zunehmendem Alter in ihrer ganzen Länge in viele Streifen, welche wie leicht gewellte oder geringelte Bänder sich um die Pflanze ausbreiten. Auf dem oberen Rande des Stammes sprossen die orangefarbenen, Tannenzapfen gleichenden Blüthen und Fruchtstände auf mehrfach verzweigten Stielen hervor.

Die größte von Dr. von Danckelman mitgebrachte Welwitschia, welche der Sammlung der Universität Leipzig überwiesen wurde, besitzt ohne Wurzeln ein Gewicht von 25 Kilogramm. Noch größere Exemplare sind aus der Umgegend von Mossamedes seit einiger Zeit weggeholt und als Sitzplätze im Garten eines portugiesischen Arztes aufgestellt, andere sind sorglos vernichtet worden. Alle Welwitschien zeigen ein kränkliches Aussehen; junge Pflanzen finden sich äußerst selten. So scheint dieses wunderbare Gewächs, gewissermaßen ein noch lebender Zeuge vergangener Zeiten, dem Aussterbem entgegen zu gehen.


Das Auge des Gesetzes. (Mit Illustration) Was heute so spät noch los sein mag da drinn’ in dem etwas zurückgelegenen, sonst so ruhigem Wirthshaus? Geburtstag des Wirthes oder eines Stammgastes, Tanzkränzchen oder Stiftungsfest? Ei, das müßte doch der stock- und säbelbewaffnete Herr Rottenmeyer wissen, ist er doch im ganzen Städtchen bekannt, wie wohl Keiner außer ihm! Und da sollte ihm ein so wichtiges Ereigniß, wie eines der hier genannten, nicht zu Ohren gekommen sein, ihm, dem Rottenmeyer, dem allzeit offenen Auge des Gesetzes, dem kein Winkelchen der engsten Gasse und kein einziges Menschenkind im ganzen Städtchen verborgen war? Rein nicht möglich! Da muß es sich um etwas Anderes handeln. Herr Rottenmeyer, der schon an dem Häuschen vorübergegangen war bis an die vorspringende Ecke, hielt schnell inne und horchte um sich. Hm, da wird doch nichts Geheimes im Spiele sein? Thür verschlossen, Fenster verriegelt – sehr verdächtig! Aber wartet, einen Wächter des Gesetzes überlistet man nicht und am wenigsten einen Rottenmeyer. Da macht man Kehrt und schaut sich um, und wo das Auge nicht reicht, da wird das Ohr zu Hülfe genommen. Alsbald steht Herr Rottenmeyer dicht unter dem Fenster und horcht. Sein Verdacht steigert sich merklich, denn allerlei dumpfe Laute vernimmt er von jedenfalls mindestens vier oder mehr Männern, und dazwischen Klopfen und Lachen ... Herr Rottenmeyer räuspert sich bedenklich. Da muß man sehen können, murmelt er vor sich hin, und mit großer Genugthuung entdeckt er eben ein paar runde Oeffnungen in dem einen der Fensterläden, die ihm alsbald Aufklärung geben sollen. Die eine Hand auf’s Knie gestützt, die andere gegen den Laden gelehnt, den derben Rohrstock aber unter dem Arm, so lugt er gespannt hinein in das verdächtige Zimmer. Und richtig, da drinnen werden allerlei heimliche Pläne geschmiedet, so heimlich, daß jeder der Männer sich hütet, sich selbst auch nur dem einen oder andern der Anwesenden zu verrathen. Das Auge des Gesetzes aber überschaut die Situation bald, und über die etwaigen gemeingefährlichen Bestrebungen dieser Männer schnell beruhigt, sucht es nur noch zu ergründen, ob es sich nicht täusche oder ob es wirklich auch den gestrengen Herrn Bürgermeister bei gemüthlichem Scatspiel vor sich sehe!

Das Auge des Gesetzes.
Nach dem Oelgemälde von Carl Kronberger.


Großmutters Gehülfin. (Mit Illustration S. 316.) Schon lange steht die kleine Enkelin dort neben dem Sessel der Großmutter; still und träumerisch sieht sie zu, wie die fleißige Hand der betagten Näherin Stich um Stich die für die alten Augen nicht mehr leichte Arbeit weiter fördert. Sie schaut und sinnt, und in ihrem Herzen lebt und webt nur der eine Gedanke, wie schön es sein müsse, auch so schaffen und arbeiten zu können, so still und freudig wie hier die Großmutter. Vorläufig freilich hat’s damit noch Zeit, denn die herzustellende Arbeit ist wohl noch zu schwer für die kleine Zuschauerin. Aber helfen kann sie, und sie thut es freudig: das Nadelöhr ist gar zu klein, und das Auge der Großmutter ist nicht mehr sicher genug, als daß sie den feinen Faden noch sollte hindurchleiten können, – da kann die Enkelin einspringen, diensteifrig, aufmerksam und liebevoll!


„Haarüh!“ Heine schreibt in seinen Memoiren (siehe S. 231 in Nr. 14 dieses Blattes), er wisse nicht, ob dieses Wort der Rufname von Michel’s Esel oder nur ein Stichwort gewesen sei. Viele nichtrheinische Leser werden es ebenso wenig zu deuten wissen, wie Heine. – Den letzteren geschieht, bei dem Interesse, das die „Memoiren“ erregen, vielleicht ein Gefallen, wenn wir ihnen dieses „Homonym“ von Heine’s Rufnamen Harry erklären. – Derselbe besteht eigentlich aus zwei Worten: aus „Haar“ und „Ueh“. Das erste heißt in der rheinischen Volkssprache so viel wie: „Nach links!“, das zweite ist ein Ermunterungszuruf an den Esel und lautet am Rhein auch noch: „Jüh!“ Es will so viel sagen, wie: „Vorwärts!“ Wenn ein Fuhrmann z. B. sein Gefährt – und das scheint bei Michel stets der Fall gewesen zu sein – auf der rechten Seite der Straße vor einem Hause stehen hat und er will nach Besorgung seiner Geschäfte nunmehr weiter fahren, so tritt er an die linke Seite seines Thieres und ruft ihm ein „Haarüh!“ zu, um es nach der Straßenmitte zu lenken und es zugleich zum Anziehen zu ermuntern. – Damit erklärt sich das für Heine’s frühe Jugend so verhängnißvoll gewordene tragisch-humoristische Homonym aus Michel’s Munde hinreichend. – Um auch das Pendant zum „Haarüh!“ zu geben, fügen wir noch an, daß in der Fuhrmannssprache „Hoit!“ das Entgegengesetzte von „Haar!“ sagt, also: „nach rechts!“ Hätte der rheinische Sandfuhrmann damals nur immer nach rechts fahren können, um zur Straßenmitte zu gelangen, so hätte gewiß das „Haarüh!“ durch Heine’s Memoiren nicht eine komische Berühmtheit erlangen können, da der Michel in dieser Lage dann sicher stets ein „Hoitüh!“ seinem Grauchen zugerufen hätte. X.     




Auflösung der Dechiffrir-Aufgabe in Nr. 18:


Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.



Auflösung des Bilder-Räthsels in Nr. 18:
Erst besinnen, dann beginnen.



Auflösung des zweisilbigen Räthsels in Nr. 18: 0 Landwehr.




Inhalt: Salvatore. Napoletanisches Sittenbild. Von Ernst Eckstein (Fortsetzung). S. 309. – Aus Heinrich Heine’s letzten Tagen. Die Mouche – Frau Caroline Jaubert. Von Eduard Engel. S. 312. – Altdeutsches Tanzlied. Nach Neidhard von Reuental (um 1220). Mit Illustration. S. 313. – Die höheren Töchterschulen. Ein Wort für unser Haus. Von Ferdinand Sonnenburg (Schluß). S. 315. – Eine Besteigung des Aetna. Von Ferdinand Avenarius. S. 317. Mit Illustrationen S. 317, 319, 320, 321 und 322. – Blätter und Blüthen: „Gesellschaft der Waisenfreunde“. Von Fr. Hfm. S. 323. – Eine südafrikanische Wüstenpflanze. Mit Abbildung S. 323. – Das Auge des Gesetzes. Mit Illustration S. 324. – Großmutters Gehülfin. S. 324. Mit Illustration S. 316. – „Haarüh!“ – Auflösung der Dechiffrir-Aufgabe in Nr. 18. – Auflösung des Bilder-Räthsels in Nr. 18. – Auflösung des zweisilbigen Räthsels in Nr. 18. S. 324.



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_324.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2024)