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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

als wolle er den Sterblichen, die sich ihm nahten, Muth in das zaghafte Herz flößen! Wie gern hätte sie jetzt ihren Lauscherposten hinter dem Vorhang verlassen, um hinüberzueilen und voll dankbarer Inbrunst die ringgeschmückte Hand Seiner Eminenz an die Lippen zu pressen! Wie gern hätte sie dem Erlauchten zu wissen gethan, daß auch sie eingeweiht war in den großen patriotischen Plan, daß sie die That ihres Geliebten billige, daß sie ihn selig preise, Unannehmlichkeiten und Kümmernisse ertragen zu dürfen im Dienste des hochwürdigen Cardinals Monsignore De Fabris!

Jetzt erwähnte Marsucci auch den Betrag der Belohnung, die er dem Retter des gefährdeten Vaterlandes in Aussicht stelle. Die gewaltige Ziffer, so klar und so ohne Rückhalt versprochen, wirkte auf den Apulier vollends betäubend. Das wog ja hundertfältig die Entsagungen auf, die ihm oblagen, die Kämpfe und Prüfungen! Was eine solche Ernte verhieß, war kein Opfer zu nennen! Er schwur sich heilig und theuer, die Rolle, die der Monsignore ihm zuertheilt hatte, mit eiserner Consequenz durchzuführen, und so zu verdienen. was ihm halb wie geschenkt vorkam ...

Die Unterredung währte an die zwanzig Minuten. Dann verließ der Apulier mit Emmanuele das Zimmer. Marsucci blickte hinter dem Ueberlisteten mit einem boshaft-spöttischen Grinsen her, das von Maria zum Glück nicht bemerkt wurde, denn jetzt hatte sie nur noch Augen für die hoheitsvolle, edle Gestalt ihres Geliebten.

Als die Thür sich geschlossen hatte, erhob sich der Pseudo-Cardinal aus dem Sessel, durchmaß ein paarmal, die Hände reibend, die Stube und machte dann unter dem Wandfenster Halt. Sorglich, um ja kein Geräusch zu machen, stieg Maria von ihrer Höhe herab und setzte sich auf den Schemel. Sie schloß die Augen. Ein leuchtendes Zukunftsbild zog an ihrer Seele vorüber. Glückselig lächelnd sank ihr Haupt nach rückwärts wider den Eichenschrank. So entschlummerte sie.

Nach geraumer Zeit drehte sich in der Kammerthür der Schlüssel. Es war Giulietta, die ihre Gespielin in Freiheit zu setzen kam. –

Halb noch schlaftrunken fuhr Maria empor.

„Santa Madonna!“ rief sie. „Du hast mich erschreckt, daß ich zittere.“

Dann, mit gedämpfter Stimme:

„Ist er fort? Der ... der Signore aus dem Calabrischen?“

„Noch nicht,“ flüsterte Giulietta. „Aber er sitzt bereits mit Dem, der ihn angemeldet, draußen vor der Loge des Pförtners und wartet auf ein Cabriolet. Briefe sind eingetroffen, ich glaub’ aus Florenz, daß er heute noch reisen muß.“

Die Zingarella nickte still vor sich hin.

„Sag’, Giulietta,“ hub sie nach einer Weile an, „Ihr kennt ihn nicht, den Herrn aus Calabrien? Der Wirth zum Beispiel – der kennt doch die halbe Welt –“

„Nein,“ fiel ihr Giulietta in’s Wort; „er hat zwar seinen Namen genannt, der Padrone aber entsinnt sich nicht ...“

Maria athmete auf. Die Sache war also Geheimniß geblieben. Inmitten ihrer sonnigen Träume nämlich hatte sie plötzlich eine bange Vision gehabt. Sie sah ihren Salvatore mit Ketten beladen in der Gerichtshalle, – und der Wirth vom Albergo zum „Goldnen Kreuz“ trat vor und sagte aus, er habe damals in dem mantelumwallten Fremdling, der sich für einen Kaufherrn aus Calabrien ausgegeben, den Monsignore De Fabris erkannt; er habe die Unterredung Seiner Eminenz mit Salvatore belauscht; das Alles sei abgekartet – zum großen Schaden des Allgemeinwohls, zum Verderben des Staates. Und nun sprach der Gerichtshof ein mitleidsloses Verdict aus, – nicht allein über Salvatore, sondern auch über den hochmögenden Cardinal ...

„Bist Du meinem Apulier begegnet?“ fragte Maria nach einer Weile.

„Nein,“ sagte Giulietta. „Du hattest ja auf’s Strengste befohlen ... Uebrigens, die Wahrheit zu reden. es hat mir an Zeit gefehlt, sonst hätt’ ich’s doch wohl drauf angelegt. Männer wie Salvatore sieht man nicht alle Tage. Du brauchst nicht eifersüchtig zu werden,“ fügte sie lachend hinzu. „Mein Herz ist unbetheiligt; jch liebe ihn nur mit den Augen! Das kommt von den Malern her, die wir auf Capri beherbergt haben! Die stellen sich oft wie närrisch, und vergehn vor Bewundrung, und wenn man sich einbildet, sie erobert zu haben, dann war es nur künstlerisch ... Na, jetzt aber ernsthaft: was hast Du erlauscht? Ist’s Wahrheit – oder hast Du Dir’s eingeredet?“

Maria erwog, daß die Fortsetzung ihrer Erfindung nicht mehr zweckmäßig sei. Im Gegentheil: der Eindruck, den ihre spätere Lossagung von Salvatore herbeiführen würde, war um so lebhafter, je unauflöslicher sie bis dahin mit ihm verknüpft schien.

So erklärte sie denn, ihre Vermuthung sei ein Irrthum gewesen; Salvatore sei treu und ehrlich wie je; nicht um eine Heirath habe es sich gehandelt, sondern um rein geschäftliche Dinge, um eine glänzende Stellung, die man ihrem Bräutigam angeboten – und was ihr sonst in den Sinn kam.

„Siehst Du,“ triumphirte Giulietta, „es ist doch ein wahres Sprüchwort, daß die Eisersucht eine doppelte Binde über den Augen trägt! Ich wußte es ja! Wie wäre es auch nur möglich, eine Perle wie Dich zu verlassen, um verächtliches Gold zu heirathen!“

So plauderte sie noch fünf Minuten lang, während Maria, von dem unbestimmten Gefühl beherrscht, daß sie gut thäte, sobald als möglich das Haus zu verlassen, eine lebhafte Zerstreutheit bekundete.

„Geh’ nur ganz gelassen und gleichgültig die Treppe hinab,“ sagte Giulietta, als sie endlich auf den Corridor traten. „Kein Mensch wird sich um Dich bekümmern, und schließlich wär’ es doch auch kein Unglück, wenn man erführe, Du habest hier eine Jugendgespielin aufgesucht!“

„Ich möcht’ es vermeiden. – Und nochmals, Giulietta: nicht wahr: Du schweigst, wie das Grab?“

„Ich schwör’ es Dir zu, Maria! Leb’ wohl, – und glückliche Fahrt! Grüß’ mir das trauliche Capri! Ach, Du glaubst nicht, wie ich manchmal vor Sehnsucht vergehe! Aber es hilft Nichts.“

Die Mädchen küßten sich. Langsam stieg Maria die Stufen hinab.

Da sie kein Geld mehr besaß, trat sie zunächst unweit der Chiaja in den Laden eines Juweliers und verkaufte die goldene Nadel, die sie im Haare trug. Dann begab sie sich zu Fuß nach Resina, wo sie durch Zufall eine günstige Fahrgelegenheit nach Sorrent fand. Ein befreundeter Schiffer ruderte sie von dort nach der Insel hinüber.




7.

Drei Tage später ereignete sich unweit des Teatro San Carlo jener denkwürdige Auftritt, der ganz Neapel auf Wochen hinaus in die größte Erregung stürzte.

Seine Eminenz der Cardinal Monsignore De Fabris hatte, von seinem Privatsecretär begleitet, in der bekannten vierspännigen Kalesche seine Wohnung verlassen, um dem Gesandten einer befreundeten Großmacht einen Besuch abzustatten. Wie stets, wenn die Equipage des Cardinals sich zeigte, war die Straßen entlang, durch die ihn der Weg führte, ein lebhaftes Gedränge entstanden. Das niedere Volk, das den Monsignore vergötterte, streckte von allen Seiten grüßend die Hände aus und erfüllte die Luft mit donnernden Jubel- und Hochrufen, die Seine Eminenz mit einem freundlichen Winken der rechten Hand erwiderte, ohne sich aus den behaglichen Kissen des Wagens vorzubeugen.

In der Nähe des Carlo-Theaters staute sich die immer wachsende Menschenmenge so stark, daß weder die beiden Vorreiter, noch die vier Dragoner zur Rechten und Linken der Equipage im Stande waren, ihrem Gebieter freie Bahn zu verschaffen. Im langsamsten Schritt ging es durch die schmale Mündung einer der Straßen, welche von Nordosten her auf die Piazza einlaufen.

Da, unmittelbar an der Ecke des menschenerfüllten Platzes, erkrachte ein Schuß. Eh’ noch die Menge wußte, was dieser Schuß zu bedeuten hatte, sah man bereits die hagere Gestalt des Polizei-Aspiranten Emmanuele Nacosta mit einem hochgewachsenen, blassen, auffallend schönen Jüngling verzweiflungsvoll ringen. Der Jüngling, kein Anderer als Salvatore Padovanino, hielt noch die rauchende Reiterpistole in der krampfhaft geschlossenen Faust, augenscheinlich bemüht, den zweiten Schuß wider die Brust seines wüthenden Angreifers zu entladen.

„Hülfe!“ schrie der Polizei-Aspirant. „Hülfe! Man ermordet den Cardinal!“

Jetzt, da die Mündung der Reiterpistole sich beinahe senkrecht nach oben gekehrt hatte, krachte ein zweiter Schuß, glücklicher Weise ohne Jemanden zu verletzen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_328.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2021)