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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


„Es lebe De Fabris!“ rief die erschreckte und erbitterte Menge. Im Handumdrehen war Salvatore zu Boden gerissen. Die Lazzaroni, die sich von jeher durch einen unwiderstehlichen Hang zur Bestialität ausgezeichnet, würden ihm übel mitgespielt haben, wenn Emmanuele Nacosta nicht im Namen des Polizei-Präsidenten ihren Angriffen Einhalt gethan und den Niedergeworfenen als seinen Gefangenen in Anspruch genommen hätte.

Die Equipage des Cardinals war inzwischen weiter gefahren, und zwar mit immer wachsender Schnelligkeit; denn auf Befehl Seiner Eminenz hatten die Kriegsleute blank gezogen und, als der Anblick der entblößten Säbel nichts fruchtete, einige der hartnäckigsten Bewundrer des großen Staatsmannes unsanft mit der flachen Klinge bearbeitet, so daß die Stauung bald überwunden war. Der Monsignore De Fabris, so schneidig er sich in seinen politischen Maßnahmen auch geberdete, war im Grunde ein ängstlicher und für seine persönliche Sicherheit äußerst besorgter Herr. Sobald die Kunde von dem Vorgefallnen sein Ohr erreicht hatte, war ihm das ganze enthusiastische Getümmel des napoletanischen Pöbels als heuchlerische Komödie erschienen, bestimmt, seine Aengstlichkeit einzulullen und so den Kugeln der Mordgesellen den Weg nach seinem Herzen zu bahnen.

Auf ein Signal des Polizei-Aspiranten traten zwei oder drei seiner Amtsgenossen, sämmtlich in der gewöhnlichen Tracht der Bürger, zu der Stelle heran, wo man den wilderregten Apulier nur mit Mühe am Boden hielt. Man verschnürte ihm die Hände mit Baststricken. Dann ward er auf die Füße gestellt. Emmanuele fragte ihn barsch, wie er heiße.

Salvatore gab keine Auskunft.

Jetzt kam einer von den Dragonern, die den Wagen des Cardinals escortirt hatten, mit hochgeschwungenem Säbel zurückgesprengt, – Alles gewaltsam zur Seite treibend. Bei der Gruppe der Polizisten angelangt, machte er Halt.

„Wer von Euch hat den Meuchelmörder gefaßt?“ rief er, zu Emmanuele Nacosta gewendet.

„Ich,“ gab dieser zurück.

„Gut. Seine Eminenz der Cardinal wünscht, daß Ihr ihm heute noch über den Vorfall Bericht erstattet.“

„Seine Eminenz ist allzu gütig,“ versetzte Nacosta. Ein helles Roth stieg ihm in das hagre Gesicht: diese glückliche Wendung, die ihn sofort mit dem Cardinal in persönliche Beziehungen brachte, überraschte ihn trotz der Tollkühnheit seiner Hoffnungen.

Der Dragoner entfernte sich. Salvatore Padovanino aber ward unter den maßlosesten Schimpf- und Wuthreden der Bevölkerung abgeführt nach dem Staatsgefängniß von Pizzo Falcone.

Die Stöße und Faustschläge der entrüsteten Lazzaroni hatte er mit höhnischem Gleichmuth ertragen; sie bewiesen ihm ja, wie vollkommen Alles geglückt war, wie augenscheinlich er Dem glich, was er vorstellen wollte: einem fanatischen Missethäter. Jetzt aber, als die schwere, eisenbeschlagene Thür hinter ihm in das Schloß fiel, als der Kerkermeister die wuchtigen Riegel vorstieß und dann fluchend davontappte – jetzt befiel den Apulier doch ein heimliches Mißbehagen, das Nichts zu thun hatte mit der äußeren Unwirthlichkeit seines Aufenthalts.

(Fortsetzung folgt.)




Die Ansteckungswege der Kinderkrankheiten.

Von Dr. L. Fürst (Leipzig).
1.0 Das Wesen der Ansteckung.

Das Kind vor Ansteckung zu schützen, ist, besonders zu Zeiten, in denen der Todesengel an so manche Thür klopft und aus manchem glücklichen Familienkreise ein Kind oder selbst mehrere mitgehen heißt, ein dringender, sehr natürlicher Wunsch der Mutter. In solchen Epidemieen tritt die Bitte um Aufklärungen und Belehrungen täglich an den Arzt heran; sein eigener Wunsch, zu rathen und zu helfen, zwingt ihm das Wort auf die Lippen, die Feder in die Hand und drängt jedes in ihm auftauchende Bedenken darüber zurück, daß sich der oder jener dünkelhafte, beschränkte Geist über die „populäre“ Form einer solchen Besprechung moquiren könnte. Populär im besseren Sinne heißt einfach, ohne die oft damit verwechselte, dem Hörer oder dem Lehrer wenig schmeichelhafte Trivialität, dem Fassungsvermögen und Verständniß auch solcher Kreise angemessen, die nicht zu dem betreffenden Fach gehören.

Gemeinfaßlich eine wissenschaftliche, theoretische Forschung darstellen zu wollen, eine Frage, die über den Horizont des Nichtarztes geht, für das praktische Leben so gut wie kein Interesse hat, wäre thöricht und nutzlos. Aber gemeinfaßlich muß eine Frage der öffentlichen und häuslichen Gesundheitspflege erörtert werden, die nicht nur von höchster Bedeutung für das Haus und die Gesellschaft, sondern auch ohne die Mitwirkung einsichtsvoller Eltern, Pflegerinnen und Kinderfreunde unlösbar ist. Wer für die Nothwendigkeit volksthümlicher Darstellung von Aufgaben der Volksgesundheitspflege kein Verständniß hat, wer nicht begreift, daß Regeln der Hygiene aus der Sprache der Wissenschaft und des Gesetzes in das Praktische übersetzt, zum Gemeingut der größten Kreise gemacht werden, in Fleisch und Blut aller Schichten der Bevölkerung übergehen müssen, wenn sie durchgreifend nützen sollen, dem ist überhaupt nicht zu helfen. Der gesunde Menschenverstand und das Mitgefühl sprechen lauter, als engherziges, verrostetes Vorurtheil.

Rechtfertigt sich aber schon im Allgemeinen die volksthümliche Besprechung von Fragen der Gesundheitspflege, um wie viel klarer und selbstverständlicher ist sie in Fragen der Kinder-Gesundheitspflege. Wo es sich darum handelt, Jedermann zur Theilnahme an dem Kampfe gegen die Ansteckung in Kinderkrankheiten aufzufordern, ist geheimnißvoll-vornehmthuende Reserve geradezu lächerlich. Hier wird es Pflicht, das Schweigen zu brechen und daran zu erinnern, daß die ärztliche Kunst ja gegenüber der zum Ausbruch gelangten Krankheit meist machtlos ist, specifische Mittel fast nicht besitzt und, wie erst jüngst einer der namhaftesten Kliniker zugestand, ihren Schwerpunkt in der Verhütung der Krankheit zu suchen hat. Hier ist ein Feld, auf welchem thatsächlich viel genützt werden kann, sobald die Familie den Arzt in dem für beide gemeinsamen Bestreben unterstützt, die Uebertragung der Krankheiten einzuschränken.

Der intelligente Arzt, der, getragen von höherer Auffassung seines Berufs, dessen Hauptaufgabe nicht im Heilen des einzelnen Falles, sondern im Bekämpfen der Krankheit erkennt, wird zum Apostel der Gesundheitspflege, wenn er, in Wort oder Schrift, die Lehren der Wissenschaft, die eigenen und fremden Erfahrungen, Vielen zu Gute kommen läßt. Wenn es wahr ist, „daß jeder Mensch durchschnittlich zwanzig Tage alljährlich durch Krankheit verliert“, so lohnt sich jedes Bemühen, das Erkranken zu verhindern, am Einzelnen und an der Gesammtheit. Man lernt – besonders angesichts von Epidemieen – selbst zugreifen, anstatt thatenlos die Hände in den Schooß zu legen, oder Alles Gott und der Behörde zu überlassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_330.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2021)