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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Während wir aber von dem hohen Standpunkt durch das Trümmerwerk zurück vor das Burgthor wandeln, mag sich wohl unserem Herzen ein Vergleich aufdrängen, der uns das Auge trübt. Unwillkürlich denkt man an Albert’s Lied von der Repser Burg:

„Aus Gartengrün und Aehrengarben,
In hoher trotziger Gestalt,
Erhebt der Berg, gefurcht mit Narben,
Die Felsenstirne von Basalt.

D’rauf ruht, dereinst dem Feind zum Hohne,
Und blickt in’s Land so kühn, so weit
Die thurmgeschmückte Mauerkrone –
Ein Zeuge der vergangnen Zeit.

O Felsenburg! mit ernstem Mahnen,
Zeigst du in die Vergangenheit,
Ein Grabesdenkmal uns’rer Ahnen;
Ein Bild vielleicht auch uns’rer Zeit.

Weh’, wenn wir diesen Mauern gleichen,
So trüb erhellt vom Abendschein,
Ein öder Bau voll Trümmerleichen,
Ein still zerfallendes Gestein!“

Gottlob ist noch keine Furcht vonnöthen, daß dieses traurige Bild zur Wahrheit werde, wie bitter wir auch die Zustände der Gegenwart im alten Sachsenlande beklagen müssen. Gerade diese Bauernburgen sind die lautesten Zeugen für die Unverwüstlichkeit eines Volksstammes, der seit siebenhundert Jahren den fürchterlichsten Kriegsstürmen von außen und unsäglichen Bedrängnissen im Innern getrotzt hat. Jede dieser Bauernburgen hat ihre blutige Geschichte. Man wird nur schwer ein zweites Völkchen von der Macht der Sachsen aufstellen, das an Kämpfen und Drangsalen Gleiches bestanden hat und doch noch besteht. Wie oft haben sie in ihren Kämpfen gegen Walachen und Türken, ja selbst gegen die Ungarn und ihre eigenen Gewalthaber auf Leben und Tod gefochten, wie oft haben die Bewohner weiter Strecken nichts als das nackte Leben in ihre Dorfcastelle oder Bergburgen gerettet, wie oft ist ihr Hab und Gut in Flammen aufgegangen, und sie mußten Alles, vom verwüsteten Feld bis zu Haus und Hütte von Neuem bauen, – und immer blühte neues Leben aus allen ihren Ruinen. Wahrlich, wir Deutsche dürfen stolz sein auf ein solches Volk deutschen Stammes und Namens. Aber auch den Ungarn gebührte es und stände es gar wohl an, die Geschichte dieses tapferen Völkleins mit gerechtem Stolze der Geschichte Ungarns einzuverleiben. Wenn der Magyar seine Ritterlichkeit auf das Glänzendste vor aller Welt bethätigen will, so muß er vor Allem die Tapferkeit ehren und würdigen, und wenn er seine Geschichte nicht selbst erniedrigen will, so muß er es dankbar rühmen und preisen, daß mehr als einmal der sächsische Heldenmut, die tüchtige Bewaffnung und Kriegführung der Sachsen die ersten Anstürme der schlimmsten Feinde Ungarns aufgenommen, mehr als einmal sich für Ungarn geopfert hat. Eine ritterliche Nation darf solche Blätter ihrer Geschichte nicht vergessen, der wahre ritterliche Sinn wird lieber einem tapferen Gegner die Hand zum Bunde reichen, als seinen Stolz darin suchen, diesen Gegner zu knechten, seiner angeborenen geistigen Würde zu berauben und ihn zu dem feilen Haufen zu werfen, der sich – gesinnungslos und feig oder um schnöden Vortheils willen jede beliebige Nationalität aufprägen läßt. Wir möchten uns sehr gern der Ueberzeugung freuen, daß diese Ritterlichkeit in dem tapfern Volke der Magyaren noch zum Sieg gelangt, ihm zur höchsten Ehre. Friedrich Hofmann.     


Das neueste deutsche Bühnendrama.

Von Rudolf von Gottschall.
III.[1]

Wie Putlitz, so verfolgten auch Leopold L’Arronge und Ernst Wichert in ihren Dramen eine Richtung, welche sich an diejenige von Roderich Benedix anschließt, während, wie wir gesehen, Paul Lindau und Hugo Buerger der neufranzösischen Sittenkomödie Gefolgschaft leisten.

L’Ärronge kommt von der Berliner Posse her und unterscheidet sich von Benedix gerade darin, daß er diese Herkunft nicht verleugnen kann und in seine Stücke einzelne oft sehr wirksame possenhafte Motive verwebt. So verdankt sein „Doctor Klaus“ einen nicht geringen Theil des großen Erfolges den Scenen im Sprechzimmer des Doctors, wo dessen Kutscher als Stellvertreter agirt und mit seinen Pfusch- und Wundercuren das Publicum höchlich ergötzt. Aehnliche komische Scenen und Motive finden sich in den „Sorglosen“, dem „Compagnon“ und andern Stücken, während Benedix mit einer gewissen Peinlichkeit alle Wirkungen verschmähte, die ihm aus der Lustspielsphäre herauszufallen schienen. Davon abgesehen hat aber L’Arronge mit Benedix den sittlichen Ernst gemein, den Trieb, die Menschen zu bessern und zu bekehren, indem er ihnen den Spiegel vorhält, in welchem sie ihre Fehler und Schwächen erblicken. Und zwar hat L’Arronge mit besonderer Vorliebe die verfehlten Erziehungsmethoden der Eltern, ihren Leichtsinn oder ihre allzugroße Strenge, ihre Affenliebe und grenzenlose Nachgiebigkeit satirisch gegeißelt. Seine Dramen bilden ein Album der pädagogischen Auswüchse und Krankheiten, und so anerkennenswerth dessen Tendenz ist, so kann doch durch die mannigfachsten Arabesken die Einförmigkeit derselben nicht ganz verdeckt werden.

Den ersten Schritt aus der Berliner Posse zum Volksdrama that L’Arronge mit „Mein Leopold“, einem Stücke, das als ein glücklicher Wurf bezeichnet werden muß. Obgleich noch behaftet mit dem gesanglichen Aufputze der Posse, entfaltet sich dasselbe doch zu einem Charaktergemälde mit tüchtiger gediegener Charakteristik: der in seinen Sohn kindisch verliebte Vater, der ihn durch Verwöhnung und Verzärtelung in’s Verderben stürzt, der wackere Schuhmachergeselle mit der göttlichen Grobheit, der soliden bürgerlichen Moral, das Vatersöhnchen selbst und seine brave Schwester: das sind tüchtige mit festem Griffel ausgeführte Zeichnungen, und auch die Scenen aus dem Volksleben sind frisch ohne schwankartige Aufdringlichkeit.

In dem Lustspiele „Hasemann und seine Töchter“ hat L’Arronge das letzte Band abgestreift, das seine Erzeugnisse an die Berliner Gesangsposse knüpfte; hier gab es weder Couplet, noch Gesang, obschon Papa Hasemann in seinen Coursbüchern und bei seinen Eisenbahnmalheurs reichlichen Stoff für derartige musikalische Ergüsse finden konnte. Die Töchter des Herrn Hasemann werden von der Mutter verzogen, bis es dem Vater zu bunt wird und er mit starker Hand das Steuerruder des auf den Wellen treibenden Familienschiffes ergreift. Es geschieht dies nicht ohne eine Art von gewaltsamem Ruck, bei welchem der Charakter etwas aus den Fugen geht. In den „Wohlthätigen Frauen“ wird die Vereinsmanie der Mütter gegeißelt, welche darüber ihre Kinder vernachlässigen, in „Haus Lonei“ die finstere Strenge der Väter, welche die Söhne zur Verzweiflung bringt: dies Stück hat ernste, fast tragische Reflexe. Im „Compagnon“ sehen wir einen allzu zärtlichen Vater, der bei seiner verheiratheten Tochter eine parasitische Existenz führt und dem jungen Ehepaare in jeder Hinsicht zur Last fällt: kurz, die Stücke von L’Arronge sind ein pädagogischer Spiegel, für Väter und Mütter und solche, die es werden wollen.

In „Die Sorglosen“ wird die Eitelkeit der Familien an den Pranger gestellt, die über ihre Verhältnisse hinaus leben und sich dabei noch von allerlei Hochstaplern düpiren lassen. L’Arronge tritt überall mit der handgreiflichsten moralischen Tendenz auf, weiß aber die bittern Pillen des Reformpredigers mit allerlei heiterem Ueberguß zu verzuckern. Dies gilt besonders von seinem „Doctor Klaus“, in welchem Stücke zwar auch der schwache und verblendete Vater nicht fehlt, in dessen Mittelpunkt aber ein tüchtiger bürgerlicher Charakter steht, welchem Pflichterfüllung das höchste Gesetz ist.

Ernst Wichert hat nie dem Cultus der Posse an den Ufern der Spree und der Panke gehuldigt; er lebt in der Stadt der

  1. Vergl. Nr. 3 und 12 dieses Jahrgangs.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_334.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)