Seite:Die Gartenlaube (1884) 336.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

herrscht Munterkeit und Lebensfrische; die Verwickelungen sind einfach, aber ansprechend, die Lösung ist heiter und ungezwungen, der Dialog nicht geistsprühend, aber jovial und lebendig. Diese Spiegelbilder unseres Officierslebens zeigen in Ton und Haltung, wie sehr dasselbe sich verfeinert und veredelt hat seit der Zeit, als Julius von Voß die liederlichen Fähnriche und Lieutenants der unglücklichsten Epoche der preußischen Geschichte mit ihrem ganzen haarsträubenden Cynismus auf die Bühne brachte.

Bei „Krieg im Frieden“ hatte sich Franz von Schönthan als Mitarbeiter betheiligt: ein Autor, der vorher einige waghalsige, aber lustige Schwänke, wie „Sodom und Gomorrha“, verfaßt hatte und später in „Ein Schwabenstreich“ und „Roderich Haller“ in die Bahn des solideren, aber etwas mit Chargen bevölkerten Lustspiels einlenkte. In beiden Stücken spielen literarische Interessen und Fragen mit, aber sie sind vom Standpunkte der seichtesten Belletristik behandelt. Vergleicht man damit die geistvolle Behandlungsweise solcher Themata in der Bühnenliteratur unserer jungdeutschen Epoche, so sieht man, daß unser Theater seit jener Zeit auf ein tieferes geistiges Niveau herabgedrückt worden ist.

Neben dem Lustspiele und dem Lustspielschwanke führt die Posse noch immer ein auskömmliches Leben, obschon ihre Glanzzeit vorüber ist. Die Berliner Possendichter Jacobson, Mannstein, Wilken, Treptow bewegen sich noch immer im Geleis von Kalisch und Emil Pohl: doch ist die Zeit des soi-disant classischen Coupletwitzes vorüber und derselbe sickert ziemlich dürftig in den Rinnen der alten Schablone fort.

Wie indeß in den Schwanklustspielen oft Stoffe aufgegriffen sind, die in die Posse gehören, so wird man umgekehrt in den Possen oft durch ganz glückliche Lustspielmotive überrascht, die aber natürlich hier verpuffen, weil sie in keiner Weise durchgearbeitet sind. Die frühere Ausstattungsposse findet jetzt nur noch einen beschränkten Kreis; die Ausstattungsstücke haben einen ernsteren Ton, und es überwiegt das balletartige Ensemble wie „Frau Venus“ und „Excelsior“ mit Blumenthal’s poetischer Illustration, wie diese Zugstücke des Berliner Victoriatheaters beweisen.

Neben der breiten Masse der Lustspieldichtung in Prosa geht indeß auch, wenngleich nur sporadisch, das stilvolle Lustspiel, das Lustspiel in Versen einher, welches nach spanischen Mustern, mit epigrammatischem Federballspiel und poetisch facettirten Belustigungen des Witzes eine meist in Maskenscherzen verlaufende Handlung begleitet. Hier ist tonangebend und im Ganzen bisher vereinsamt der Nibelungendichter und -Rhetor Wilhelm Jordan, der seine Lustspiele „Die Liebesleugner“ und „Durch’s Ohr“ trotz ihres vornehmen Tons mit Erfolg auf die Bühne gebracht hat.

Die dramatische Production der jüngsten Zeit ist regsam; es fehlt auch nicht an neu auftauchenden Talenten; doch das Publicum ist im Ganzen kühl und spröde geworden auch dem Besseren gegenüber. Es fehlt der begeisterte Zug, welcher z. B. die jungdeutsche Epoche charakterisirte. Oper und Operette stehen im Vordergrunde des Interesses: die erstere mit verschwenderischer Pracht und zugleich mit dem Anspruche des Kunstwerkes der Zukunft, die alleinberechtigte Bühnendichtung zu sein. Das recitirende Drama hat einen schwierigeren Stand als früher, doch es wird diese Uebergangsepoche überwinden und von den Ausschreitungen und Irrthümern derselben Nutzen ziehen.


Volksirrungen in der Sprache.[1]

Maulwurf und Heuschrecke. – Liebstöckel und Tausendgüldenkraut. – Sündfluth, Wetterleuchten. – Kegelschieben, Schur, Treff. – Schönbartspiel, Kümmelblättchen. – Flitterwochen. – Friedhof. – Zu guter Letzt.

Kaum hat der Frühling siegreich den Winter aus dem Felde geschlagen, kaum hat der fleißige Gärtner den Boden seines Gartens umgeackert und in musterhafter Weise durch Harke und Walze geebnet, so ist auch schon mit dem Frühling „das Verderben erwacht und lauert nicht länger verborgen; denn plötzlich bricht aus dem Hinterhalt der Feind“ – aller Ebenen der ohne Rücksicht auf äußere Schönheit des Bodens und auf die noch so zarten Pflänzlein seine Erdhügel aufwirft und nicht selten dadurch eine große Anzahl der Lieblinge des betriebsamen Gärtners und Landmannes, – der Maulwurf. Und treibt er sein Zerstörungswerk denn wirklich mit dem „Maule“, wie sein Name zu sagen scheint und wie vielleicht manch ein wackerer Landmann annehmen wird? Nicht genug, daß die Gelehrten dem widersprechen und uns beweisen, daß der kleine Bösewicht die Erde keineswegs mit dem Maule, sondern mit den Schaufeln seiner Vorderfüße aufwirft, müssen wir das ursprüngliche Vorhandensein des Wortes Maul in seinem Namen überhaupt in Abrede stellen. Das altdeutsche Wort moltworf, das über multwurf, mûlwurk zu unserm Maulwurf wurde, will nur ein Thier bezeichnen, welches die molte, d. h. die Erde, aufwirft, gleichviel mit welchen Werkzeugen es dabei arbeitet. So ist der Maulwurf nichts als der Erdaufwerfer.

Nicht weniger Unrecht als dem Maulwurf thut man gemeiniglich einem andern Garten- und Wiesenthierchen, der Heuschrecke, bei deren Namen man wohl an den Schrecken denkt, den das plötzlich aufspringende Geschöpf dem stillen Wanderer einjagt. Eine boshafte Zeit hat sie sogar der ihr ursprünglich innewohnenden Mannheit beraubt, während noch das so gefühlvolle Lied des Bruder Studio

„Was ein g’rechter Heuschreck is,
Sitzt im Sommer auf der Wies,
Auf der Wiese muß er singen,
Allweil hin und wieder springen, etc.“

dem Männlichen im Geschlechte des Thierleins gerecht wird. Ja noch mehr, das hochpoetische Lied führt uns sogar durch seine Hervorhebung der Thätigkeit des schreckhaften Springers auf das dem zweiten Theile des Wortes zu Grunde liegende Zeitwort schrekken = springen, hüpfen. Der hewiskrekkeo (hewi = Gras, Heu) ist also durchaus nichts weiter als ein ganz unschuldiger Grashüpfer, dem man sehr mit Unrecht etwaige Erschreckungsgelüste zumuthet.

Besonders viel sprachliche Irrungen des Volkes lassen sich in seinen Pflanzenbenennungen nachweisen; aus der reichen Zahl seien nur zwei hervorgehoben. Wie poetisch klingt nicht der Name Liebstöckel! Ein Blumenstöckchen der Liebe scheint es zu sein und ist doch im Grunde nichts anderes, als eine Wortentstellung der lateinischen Benennung der Pflanze ligusticum (das heißt in Ligurien heimisch) und seiner Nebenform levisticum. Schon im Mittelhochdeutschen heißt es lübestecke und öfter noch liebstuckel, woraus denn unser Liebstöckel entstanden ist. – Doch was ist dies Alles verglichen mit der Entstehung des deutschen Namens der Herba Centauria, des Tausendgüldenkrautes! Diese Benennung hat eine förmliche Geschichte ihrer Entstehung. Den lateinischen Namen trägt die Pflanze zu Ehren des Kentauren Chiron, des Kroniden, der, in allen Wissenschaften, besonders aber in der Arzneikunde wohl erfahren, in seiner am Pelion gelegenen Höhle viele Heldenjünglinge und Göttersöhne unterrichtet hat; so den Herakles, den göttlichen Asklepios, den Jason und endlich den „Renner“ Achilles. Eine Zeit, welche den heilkundigen Kentauren nicht mehr kannte, zerlegte sich die Benennung seiner Pflanze in centum (hundert) und aurum (Gold) und schuf sich so ein Hundertguldenkraut. Indeß war dies Wort eine mehr gelehrte als volksthümliche Schöpfung. Die Zahl Hundert ist nie so volksthümlich im Gebrauch gewesen, wie Tausend, welches namentlich dazu diente, hyperbolische Mengebezeichnungen in Zahlen auszudrücken. Noch heute ruft der Verliebte: Tausend Grüße send’ ich Dir; wie wenig volksthümlich würde es klingen? wenn er sagte „hundert Grüße“, und „ich grüße Dich viel tausendmal“ singt das schöne Mendelssohn’sche Lied. So ist auch in unserem Worte aus hundert tausend geworden, so aus der Pflanze des alten Kentauren irrthümlich und doch so schön unser liebliches, auch poetisch verklärtes Tausendgüldenkraut.

Noch die Puttkamer’sche Orthographie läßt dem Schreibenden die Wahl zwischen der Schreibung Sündfluth und Sintfluth, und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_336.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)