Seite:Die Gartenlaube (1884) 348.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Eine höchst interessante Schneckenaroidee, Philodendron bipinnatifidum (Fig. 4), ist vor Jahr und Tag von Dr. F. Ludwig in Greiz in den dortigen fürstlichen Gewächshäusern studirt worden. Es ist eine prächtige Blattpflanze mit großen, doppelt eingeschnittenen Blättern, ähnlich jener bekannteren Art mit durchlöcherten Blättern, Philodendron pertusum (Fig. 5), der wir häufig auf größeren Blumentischen begegnen. Auch bei dieser Aroidee entwickeln sich die von dem unteren kesselförmigen Theil der außen grünlichen, innen weißgefärbten Blumenscheide eingeschlossenen Stempelblüthen zuerst, und zugleich tritt eine so starke Erwärmung in der Hülle auf, daß sie von der Hand bereits in einiger Entfernung wahrgenommen wird. Das Aufblühen und die Wärme-Entwickelung begannen bei der Ludwig’schen Beobachtung gleichzeitig am Mittage, und die Wärme-Entbindung nahm dann zu und erreichte Abends 7 Uhr ihr Maximum, welches nahezu 38° betrug, während die Luft des Gewächshauses nur 15° Wärme besaß. Zu derselben Zeit, die auch hier mit dem Aufbrechen der Stempelblüthen zusammenfiel, verbreitete sich plötzlich aus dem Blüthenkessel ein äußerst starker, gewürzhafter, zwischen Zimmt und Muskat in der Mitte stehender Duft, welcher das ganze Gewächshaus erfüllte und in der Heimath der Pflanze jedenfalls dazu dient, die Schnecken zu benachrichtigen, daß das Nachtquartier geheizt ist.

Fig. 5. Philodendron pertusum.

Erst am Mittage des nächsten Tages, nachdem sich der Kessel mit den weiblichen Blüthen vollkommen abgeschlossen und die Wärme- und Duftentbindung beträchtlich nachgelassen hatte, brachen am oberen Theile des Kolbens die Staubgefäße auf, aber die Blumenstaubkörner traten nicht wie sonst in Form eines feinen Staubes, sondern kettenförmig an einander klebend hervor und bildeten zolllange Troddeln, die dem oberen Theile des Kolbens das Aussehen eines Greisenhauptes gaben. Diese Fäden können von Insecten nicht mitgenommen werden, aber in Berührung mit dem feuchten Körper der Schnecken lösen sich die Troddeln sogleich in einzelne Körner auf, die am Körper der Schnecken festhaften. Diese können sich nicht allzu lange in dem warmen Kesselraum aufhalten, denn derselbe füllt sich in Folge der starken, Wärme erzeugenden Athmung bald so vollständig mit Kohlensäure, daß ein hineingehaltenes glimmendes Hölzchen sofort darin erlosch. Die später kommenden Schnecken finden den Kessel, der vorher durch einen Spalt von unten her zugänglich war, geschlossen und können nur die Staubblüthen erreichen, von denen sie Blumenstaub mitnehmen. Sollten einzelne Schnecken in dem Kessel, bevor er sich schloß, zurückgeblieben sein, so müssen sie darin ersticken, und dies mag eine Art Nothwehr von Seiten der Pflanze sein, da die Schnecken sonst die jungen Fruchtanlagen verzehren würden.

Man sieht, diese Pflanzen bedurften gegen ihre Besucher, so nöthig ihnen dieselben auch geworden sind, doch einer gewissen Sicherung. Die Schnecken sind gefräßige Thiere, welche gern das Laub und die fleischigen Theile der von ihnen besuchten Pflanzen verzehren. Manche Aroideen geben dem Hunger ihrer Gäste die fleischige Blüthenscheide, die ja doch bald entbehrlich wird, preis, aber bei den meisten müssen sie sich an dem warmen Nachtquartier und einer kleinen Menge Nektar genügen lassen, denn dieselben entwickeln in ihren gesammten grünen Theilen einen Giftstoff von solcher Schärfe, daß es unmöglich ist, auch nur die geringste Menge davon zu genießen. Unsere gewöhnliche Zimmer-Calla enthält beispielsweise einen so scharfen Stoff in ihren Blättern, daß die geringste Menge, die man davon kaut, auf der Zunge ein stundenlang anhaltendes Stechen, wie mit Nadeln, verursacht.

Fig. 6. Colocasia esculenta, eßbares Caladium.

Bei einer westindischen Art, dem Caladium seguinum, ist dieser Giftstoff so bedenklicher Natur, daß Jemandem, der aus Unwissenheit von den Blättern kostete, Mund und Zunge derartig anschwellen, daß er kaum im Stande ist, zu sprechen, viel weniger etwas zu genießen. Auch in dieser unerhörten Schärfe, welche die vom spanischen und Cayenne-Pfeffer noch übertrifft, malt sich die Heißblütigkeit dieser Gewächse. Glücklicher Weise ist dieser auch in den an Stärkemehl reichen Wurzelstöcken und Knollen einiger Arten vorkommende Giftstoff so flüchtiger Art, daß er beim Rösten und Kochen derselben vollkommen verschwindet, weshalb dieselben ein Hauptnahrungsmittel für die Bewohner der Tropenländer, namentlich Südamerikas und der Südsee-Inseln abgeben. Der Taro, Colocasia esculenta (Fig. 6), wird zu diesem Zwecke vielfach wie die Kartoffel angebaut und treibt mächtige herzförmige Blätter, die in der Form denen der buntblätterigen Caladien unserer Gewächshäuser gleichen, aber die meisten derselben an Größe übertreffen.

Werfen wir zum Schluß noch einen Rückblick auf die geschilderten Verhältnisse, so müssen wir über die Umwege erstaunen, welche in der Natur mitunter eingeschlagen werden, um den für eine kräftige Nachkommenschaft unentbehrlichen fremden Blüthenstaub herbeizuschaffen. Nichts konnte zur Uebertragung des Blüthenstaubes bei diesen Gewächsen der Sümpfe, Ufer und feuchten Wälder geeigneter sein, als kleine Schnecken, deren Gefräßigkeit indessen durch besondere Mittel in Schranken gehalten werden mußte. Denn sonst würden die Schnecken ja nicht bis zu dem Blüthenstande emporklettern, sondern einfach am ersten Blatte zu fressen beginnen. Das mußte ihnen somit verleidet werden, dagegen mußte der am Ende eines oftmals ziemlich hohen Schaftes befindliche Blüthenkolben so ungewöhnliche Reizmittel entfalten, daß die langsamen Schnecken den für sie ungeheueren Weg nicht scheuen, um zu jenem Sehnsuchtsziele zu gelangen. Ein behaglich warmer Aufenthalt, ein prächtiger Duft, irgend eine Lieblingsspeise winkt ihnen da oben, und ohne rechts und links zu blicken, klettern sie an dem spiegelglatten Schaft in die Höhe; man wird dabei an jene Kletterstangen der Volksfeste erinnert, an deren Spitze duftende Würste und leckere Kuchenbündel hängen und die man hinterlistiger Weise mit schlüpfrigen Stoffen beschmiert hat, um das Erklettern zu erschweren. Sobald der Aroideenkolben[WS 1] seine flüchtigen Reize eingebüßt hat, hat auch die Schnecke da oben nichts weiter zu suchen, sie kriecht ebenso aufenthaltslos wieder hinab, um schnell einen benachbarten Kolben zu erklettern, der eben zu duften beginnt, und diese Eile kommt den Pflanzen zu Statten, die so den erforderlichen fremden Blumenstaub mit schnellster Schneckenpost erhalten. Kann es etwas Wunderbareres geben, als dieses Ineinanderleben der verschiedenen Naturwesen, welches wir den Lesern der „Gartenlaube“ nun schon in so vielen Beispielen vorgeführt haben?


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aroidenkolben
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_348.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)