Seite:Die Gartenlaube (1884) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

forderten nämlich die Negerhäuptlinge von den schwarzen Waarentransporteuren der Factoreien einen Tribut, wenn sie, mit Waaren aus dem Innern des Landes kommend, ihre Dörfer passirten. Dem energischen Einschreiten des Commandanten, welcher sich in Begleitung einiger Officiere an’s Land begab, gelang es, drei Häuptlinge zur Raison zu bringen, während der King Lawson renitent verblieb und den schriftlich erneuerten Vertrag nicht unterzeichnen wollte.

Am 2. Februar lichtete die „Sophie“ wieder die Anker, um die fünf Meilen von Little Popo entfernte Ansiedelung Grand Popo zu besuchen. Hier erwartete die Deutschen eine Ueberraschung, welche die „Sophie“ zur schleunigen Rückkehr nach Little Popo zwang. Nach ihrer Abfahrt von letzterem Ort hatten die Neger des King Lawson das Leben und Eigenthum der Deutschen bedroht; sie hatten den Verkehr zwischen dem deutschen Dampfer „Carl Woermann“ und den Ansiedlern gehindert und letztere selbst gezwungen, in ihre am Strand belegenen Factoreien zu flüchten. Einem Deutschen, Herrn Randad, war es gelungen, noch ein Pferd zu besteigen und im Galopp nach Grand Popo zu reiten, um dem Commandanten der „Sophie“ Meldung von der Revolte zu machen und um Beistand zu bitten. Schon während der Rückfahrt wurden an Bord Vorbereitungen zur Landung eines Expeditionscorps getroffen. Die Mannschaften wurden mit Nackenschleiern, mit Limonade gefüllten Feldflaschen und mit je 40 scharfen Patronen versehen. Am frühen Morgen des nächsten Tages wurde das aus 120 Mann inclusive den Unterofficieren und Officieren bestehende Expeditionscorps auf den vom Dampfer „Carl Woermann“ bereitwilligst zur Verfügung gestellten Brandungsbooten glücklich durch die hohe Brandung bei der Hamburger Factorei gelandet[.]

Unter dem Commando des ersten Officiers der Corvette, Capitainlieutenant Trützschler von Falkenstein, begannen nach vorher festgesetztem Kriegsplan die Manöver. Aufgabe des Corps war es, den König Lawson mit seinem Premierminister gefangen zu nehmen, hierbei so viel wie möglich Blut zu schonen und nur im Nothfall zu feuern. Eine Abtheilung unter Führung des Lieutenants z. S. von Usedom bestieg einige den Deutschen gehörende Lagunenboote, um den Bewohnern des von zwei Seiten von Wasser umgebenen Hauptdorfes Bagi, woselbst der König in einem großen bereits baufälligen, jedoch mit überraschendem Luxus ausgestatteten Lehmwandgebäude residirte, den Wasserweg zur Flucht abzuschneiden.

Ein andres Detachement unter Capitainlieutenant von Trützschler marschirte um das am Strand liegende Dorf Little Popo herum und umstellte in Bagi von allen Seiten des Königs Palais. Von verschiedenen Richtungen waren einige Schüsse gefallen, jedoch ohne zu treffen. Der Premierminister und die Diener des Königs versuchten vergeblich zu entfliehen. Das Wohngebäude des letzteren mußte gewaltsam geöffnet werden und nun erst verstand sich der König nach kurzem Parlamentiren dazu, den Weg zum Landungsplatz anzutreten, um dort zu hören, was ihm der Commandant zu sagen habe. Der König stieg alsbald in eine Sänfte, und gefolgt von seinen Ministern und zahlreichen Negern ging es in pomphaftem Zug zum Landungsplatz. Als jedoch der Zug die Grenze zwischen dem Negerdorf und den deutschen Ansiedelungen erreicht hatte, wollten die zahlreich herbeigeeilten Eingeborenen beiderlei Geschlechts ihren König verhindern, weiter zu ziehen.

Neger Albert Wilson.
Nach einer Photographie von A. Walther in Wilhelmshaven.

Besonders ungeberdig zeigten sich die heulenden und schreienden Negerweiber, sie wurden aber durch Marinesoldaten, welche mit aufgepflanztem Bajonett den Zug umgaben, am Durchbrechen desselben verhindert. Ein Leibdiener des Königs, der sich nahe herandrängte und den Revolver zog, um ihn auf einen Unterlieutenant abzufeuern, wurde noch im rechten Augenblick durch die Kugel eines Matrosen niedergestreckt. Die Kugel hatte des Negers linke Brust durchbohrt und ihn sofort getödtet. Nun räumten die Schwarzen unter Mitnahme ihres Todten sehr eilig den Platz.

Ohne weitere Schwierigkeiten fand nun das Einschiffen der afrikanischen Majestät mit seinen Ministern statt. Andern Tages wurden die übrigen Negerhäuptlinge an Bord berufen und in Gegenwart der deutschen Colonisten die Verträge einer nochmaligen Revision unterzogen, worauf dem König Lawson eröffnet wurde, daß man ihn freilassen werde, falls er einen passenden Ersatzmann zu stellen vermöchte. Hierzu erbot sich ein Verwandter von ihm, Namens Albert Wilson, dessen achtzehnjähriger Sohn den Vater nicht verlassen und mit ihm die Gefangenschaft theilen wollte. Außerdem wurde noch ein Mulatte Namens Gomez, ein einflußreicher und begüterter Anhänger des Königs, als Geisel zurück behalten, während letzterer wieder an’s Land gesetzt und dort von den Seinen mit Freuden empfangen wurde. Mit einigen anderen Negerfürsten, insbesondere dem König Jamble aus Abanaque, gab es in den darauffolgenden Tagen noch Verhandlungen, die bei der entwickelten Energie der Deutschen zu befriedigendem Ende geführt wurden.

So hatte die Besatzung des deutschen Kriegsschiffes im Augenblick hoher Gefahr für die dortigen Deutschen noch rechtzeitig eingreifen können. Die Geiseln wurden nicht etwa als Bürgschaft für eine Contributionssumme mit nach Deutschland genommen, sondern als Bürgschaft für das Wohlverhalten der Schwarzen von Little Popo und für das Einhalten der Verträge während der Zeit, da an der dortigen Küste kein deutsches Kriegsschiff weilt. Das Kanonenboot „Möve“ hat nunmehr in Kiel die Geiseln wieder an Bord genommen, um sie in ihre Heimath zurückzubringen. Genanntes Schiff wird an der westafrikanischen Küste längere Zeit Station machen, um die Deutschen und ihr Besitzthum gegen jeglichen Uebergriff zu schützen.

Hinzuzufügen bleibt noch, daß die Geiseln, übrigens die intelligentesten Leute ihres Stammes, in Wilhelmshaven, Berlin, Hamburg und Kiel Gelegenheit genug gehabt haben, sich von der Macht des deutschen Reiches, welche sie so geringschätzig beurtheilt, zu überzeugen. Es ist anzunehmen, daß sie mit anderen Gesinnungen erfüllt in ihre tropische Heimath zurückkehren und ihre Landsleute darüber aufklären, daß nicht nur Englands Einfluß groß ist.

Für die deutsche Colonialbewegung dürfte die oben skizzirte Reise der Kriegscorvette „Sophie“ von großer Bedeutung sein. Der schlichte Bericht wirkt mehr als hundert Reden und Flugschriften. Die Geschichte spricht deutlich aus den Ruinen von Groß-Friedrichsburg und weckt in allen Herzen die Frage, ob nicht endlich die Zeit gekommen ist, wo ein kühner Staatsmann das Vermächtniß des großen Kurfürsten antreten muß. Wir sehen in Deutschland eine mächtige Agitation und hören den lauten Ruf nach endlicher Lösung der Colonialfrage! Hier öffnet sich ein großes Wirkungsfeld für Alle ohne Rücksicht auf Parteistellung, und das hohe Ziel dünkt uns erreichbar ohne kriegerische Verwickelungen und Opfer an Menschenleben. Man darf nur diejenigen nicht im Stiche lassen, die bereits zu handeln begonnen haben. Mit dieser Zuversicht scheiden wir heute von dem alten brandenburgischen Fort, um neue lebenskräftige Schöpfungen aufzusuchen.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_351.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2024)