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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

In Constantinopel.

Eine Erinnerung an die Orientreise des österreichischen Kronprinzen.

Kronprinz Erzherzog Rudolf von Oesterreich ist ein begeisterter Verehrer des Morgenlandes und besitzt ein theilnehmendes Verständniß für seine Bewohner und deren Sitten. Bereits vor drei Jahren, kurz bevor er die Königstochter Stephanie von Belgien heimführte, unternahm er eine Reise nach dem Orient. Er besuchte die Stätten, welche das Heiligthum der gesammten Christenheit geworden sind, und ging von dort nach Aegypten, um in Kairo die Metropole arabischen Culturlebens kennen zu lernen. Die Ergebnisse jener Reise hat der fürstliche Autor in seinem Buche „Eine Orientreise“ niedergelegt. Wichtiger als diese war jedoch die zweite im verflossenen April unternommene Orientreise, auf welcher der Kronprinz in Begleitung seiner anmuthigen Gemahlin den Sultan in Constantinopel und die Höfe der kleinen Balkanfürsten besuchte. Dem freudigen Empfang, welcher dem österreichischen Kaisersohn in jenen Ländern von den Höfen wie von den Völkern bereitet wurde, ist allseitig, und wohl mit Recht, eine über den Charakter bloßer Höflichkeitsbezeugungen hinausgehende Bedeutung zugeschrieben worden.

Ankunft in Dolma-Bagdsche.
Nach einer Originalskizze unseres Specialartisten.

Das kronprinzliche Paar hatte für seine Reise die denkbar günstigste Zeit auserwählt. Die zweite Hälfte des April ist die Wonnezeit Stambuls, und es erstrahlt da die unvergleichliche Stadt in schönerem Glanze als je. Am Ostermontage Nachts verließ der Hofzug Wien und brauste, in großen Absätzen nur die bedeutendsten Städte, Budapest, Szegedin, Orsova, Verciorova, berührend, Varna zu. Im Hafen dieser Stadt harrte die kaiserliche Yacht „Miramar“ der Gäste, um sie nach Constantinopel zu bringen. Diese Yacht ist ausschließlich für Mitglieder des Kaiserhauses bei Fahrten auf hoher See bestimmt und mit größter Pracht und Eleganz eingerichtet. Mittwoch den 16. Abends dampfte die „Miramar“ von Varna ab und erreichte bei Tagesgrauen die Mündung des Bosporus.

Die Ufer von Asien und Europa rückten immer näher an einander, und von beiden Seiten grüßten malerische Landschaften die Gäste. Aus Cypressenhainen, aus den mit Lorbeerbäumen und Platanen beschatteten Buchten lugten Paläste, Kiosken und Dörfer hervor, tauchten von Zeit zu Zeit Schlösser und alte Ruinen auf, und an vorgeschobenen Punkten erhoben sich Castelle und Strandbatterien, mit schwerem Geschütz armirt. Die eisernen Schlünde entsandten heute kein Verderben, willkommenen Gästen zu Ehren drang der Donner ihrer Salven zu der „Miramar“ hinüber.

Diese „Ochsen“- oder „Rinderfuhrt“, so heißt auf deutsch der Bosporus, ist in der That eine der herrlichsten Landschaften des Orients. Und ihr Reiz wird noch erhöht durch die Bilder aus Sage und Geschichte, die hier vor der Seele des Wanderers auftauchen. Erinnert uns doch schon der Name dieser Meerenge an die griechische Sage von der schönen Io, die hier, in eine Kuh verwandelt, durch das Meer geschwommen. Dort tauchen in der Nähe des europäischen Leuchtthurmes die Kyanäischen Felsen auf, die Symplegaden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_352.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2024)