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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Gipfel des Olymp hin genießt. Hier verträumt der Sultan sein monotones Leben, im wahren Sinne des Wortes ein armer Mann, von einer unüberwindlichen Furcht vor Meuchelmördern gefoltert. Niemand betritt Yldiz-Kiosk ohne seine Erlaubniß. Daß er also darauf bestand, das kronprinzliche Paar bei sich wohnen zu lassen, war eine höchst bemerkenswerthe Artigkeit. Er ließ seinen Gästen ein neues Haus – Jeni-Kiosk – in nächster Nähe des Harems erbauen und auf das Prächtigste einrichten. Sie selbst erwartete er mit seinem gesammten Hofstaate am Tage der Ankunft im Thronsaale und empfing sie auf das Freundlichste. Die Kronprinzessin geleitete der Sultan zu einem Ehrensitze, stellte seinen Hof vor und ließ dann seine Gäste in feierlichem Zuge nach den für sie bestimmten Gemächern geleiten. Eine Rundfahrt durch die Straßen Constantinopels, welche die fürstlichen Gäste Nachmittags unternahmen, wobei einige Bazare besichtigt wurden, beschloß den ersten Tag in Stambul.

Der darauffolgende Freitag brachte den Gästen gleich eine imposante Ueberraschung, da sie dem „Selâmlik“, das ist dem Moscheengang, welchen der Sultan an jedem Freitage unternimmt, beiwohnten. Es ist dieser Gang eine religiöse Ceremonie, welcher der Sultan sich absolut nicht entziehen kann. Selbst der menschenscheue und ängstliche Abdul-Hamid wagt es nicht, hierin seinen eigenen Wünschen zu folgen, und zeigt sich an jedem Freitage, welcher der türkische Sonntag ist, dem Volke. Eine Art Truppen-Revue geht mit der religiösen Ceremonie Hand in Hand, indem zu beiden Seiten des Weges, welchen der Padischah nimmt, Truppen Spalier bilden. Sonst besucht der Sultan die Beschiktasch-Moschee: diesmal kam aber und zwar im letzten Augenblicke die Weisung, die Medschidje-Moschee herzurichten. Die Truppen bildeten längs des Weges Spalier, um die tausendköpfige drängende Menge abzuhalten. Gegenüber der Moscheenthür wurden Teppiche ausgebreitet und Möbel aufgestellt, auf welchen die Gäste Platz nahmen, weiter südwärts hatten einige Carossen mit der Sultanin-Valide und Damen des Harems Aufstellung genommen. Der Sultan ritt auf einem Araberschimmel durch die Reihe der Truppen und betrat dann die Moschee, in welcher er mehr als eine halbe Stunde im Gebete verweilte. Sodann ließ er die Truppen vor den Gästen defiliren, und damit war die Feierlichkeit zu Ende.

Das kronprinzliche Paar benützte seinen siebentägigen Aufenthalt in Constantinopel hauptsächlich zu Ausflügen und Besuchen. Mit dem Sultan kam es nur bei den Galadiners und dann bei dem Abschiede zusammen; sonst genoß es die vollste und ungebundenste Freiheit. Keine Stadt der Welt, Rom vielleicht ausgenommen, bietet soviel des Interessanten und Sehenswürdigen als Stambul. Fast zwei Jahrtausende ununterbrochenen Culturlebens haben dort ihre Spuren zurückgelassen, denen das Auge nun auf Schritt und Tritt begegnet. Die Aja Sophia, das „Wunder der Erde“, allein verlohnt der Mühe gesehen zu werden. Und wem wäre es nicht bekannt, daß Constantinopel unbestritten, was die Lage anbelangt, als die schönste Stadt Europas gilt?

Die fürstlichen Gäste genossen denn auch reichlich von den Freuden, welche die paradiesische Umgebung darbietet, und durchstreiften sie nach allen Seiten. Sie besuchten Scutari, die Friedhofstadt Stambuls, setzten nach den Genueser Schlössern am Bosporus über, bestiegen den Mont Géant mit seinem Hünengrabe, besichtigten Beikos und noch viele andere der reizend gelegenen Umgebungen der Stadt. In nachhaltiger Erinnerung wird dem hohen Paare jedoch der Ausflug nach den „Süßen Wässern von Europa“ bleiben, welchen sie am Freitage Nachmittags unternahmen. Es sind diese „süßen Wässer“ für Stambul das, was der Prater für Wien, der Prado für Madrid und allenfalls das Bois für Paris ist – alle Welt, jung und alt, reich und arm, wandert an Feiertagen dahin und ergötzt sich nach Landesart. Die „süßen Wässer“ sind eine sehr lange, grün bewaldete Thalschlucht, welche ein schmales Wässerlein durchfließt. An den Ufern desselben sitzen nun die Bewohner Stambuls in Gruppen und sehen in würdevoller Ruhe dem lärmenden Treiben der Kleinen zu. Süße Näschereien und der dampfende Tschibuk, wohl auch einige mitgenommene Früchte bilden die Labung. Es ist ein Bild tiefen Friedens, das sich dem Auge darbietet, und Niemand würde es dem harmlosen Völkchen ansehen, daß es, allem Anscheine nach, dazu ausersehen ist, langsam aus der Liste der Nationen gestrichen zu werden. Nichts erinnert hier an die träge, fast stumpfsinnige Ruhe, welche sonst den Türken kennzeichnet. Hier ist er noch ganz Mensch, fühlender, glücklicher Mensch.

Auch Stambul selbst bot den hohen Gästen fast unerschöpflichen Stoff zur Betrachtung. Aja Sophia und die weltberühmte Achmed-Fontaine davor wurden bewundert, der Atmeidan – der einstige byzantinische Hippodrom mit seinen Obelisken, ferner die Achmedjeh, die größte Moschee Stambuls, sowie das Mausoleum Mahmud’s II. in Augenschein genommen. In den riesigen, von Tausenden von Händlern erfüllten Bazaren machte das kronprinzliche Paar zahlreiche Einkäufe. Kronprinz Rudolph besichtigte auch die großartigen militärischen Etablissements von Tophane und manche andere den übrigen Sterblichen unzugängliche Sehenswürdigkeit; das Schönste blieb aber doch der Prinzessin Stephanie vorbehalten, denn sie durfte das Heiligste des Heiligen – den Harem – betreten. Sie stattete mit ihrer Hofdame, der Gräfin Silva-Toronoza, daselbst einen zwar nur sehr kurzen Besuch ab, über welchen jedoch jeder Bericht fehlt.

Am 22. April schiffte sich das kronprinzliche Paar, nachdem es sich vom Sultan in herzlichster Weise verabschiedet hatte, am Bord der „Miramar“ ein, um nach Mudania, der Hafenstadt Brussas, überzusetzen. Die eintägige Fahrt erfolgte denn auch, aber eine mittlerweile eingetretene Indisposition der Kronprinzessin machte die beschwerliche Tour zu Wagen und zu Pferd bis nach Brussa selbst unmöglich. So dampfte denn die Yacht zurück und langte, ohne Constantinopel auf der Rückfahrt berührt zu haben, wieder in Varna an.

J. D. Beckmann.     

Blätter und Blüthen.

Die Ursachen der Krebspest. In den letzten Jahren hat man in den verschiedensten Gegenden Deutschlands (Thüringen, Schlesien, Baiern) ein massenhaftes Erkranken und Hinsterben der Flußkrebse beobachtet, ohne daß es möglich war, sich eine bestimmte wissenschaftliche Ansicht über die Ursachen der verheerenden Seuche zu bilden. Daß die sogenannte „Krebspest“ den Infectionskrankheiten zugehören müsse, durfte allerdings schon nach der Art ihres Auftretens und ihrer Verbreitungsweise als unzweifelhaft gelten; über den die Krankheit bedingenden Parasiten gingen die Meinungen der einzelnen Forscher jedoch weit aus einander.

Da die zootomische Untersuchung der erkrankten (oder bereits gestorbenen) Exemplare sehr häufig ergab, daß die Kiemen derselben mit Krebsegeln (Branchiobdella) behaftet waren, so wurden letztere eine Zeit lang als die ausschließliche Ursache der Krebspest betrachtet. In dem gleichen Verdachte hatten andere Forscher die im Muskelfleische der Krebse frei und eingekapselt lebenden Saugwürmer (Distomeen), und es wurde bereits ernstlich von einer Egelkrankheit der Krebse (Distomatosis astacina) gesprochen.

Wenn nun auch keineswegs in Abrede gestellt werden soll, daß parasitische Saugwürmer, wo sie sich übermäßig vermehren, Gesundheit und Leben ihrer Wirthe gefährden können, so spricht die mikroskopische Untersuchung der Gewebstheile pestkranker Krebse doch keineswegs dafür, daß die Distomeen als die wahre und einzige Ursache der unter den Flußkrebsen wüthenden Seuche anzusehen sind. Es ist dies schon darum unwahrscheinlich, weil die Distomeen nur durch Vermittelung eines anderen Thieres übertragen werden können, während sich die Pestkrankheit von Krebs zu Krebs fortpflanzt.

Im Hinblick auf diese Erwägung ist es vom höchsten Interesse, das Ergebniß einer neueren Untersuchung kennen zu lernen, welche von dem Director des zootomischen Instituts in Leipzig, Herrn Geheimrath Prof. Dr. Leuckart, in Gemeinschaft mit Prof. A. Rauber vor Kurzem angestellt worden ist.

Leuckart, von dem eine englische Fachzeitschrift mit Recht sagt, daß er der hervorragendste Wurmforscher der Gegenwart (The prince of modern helminthologists) sei, sah sich auf Grund der ihm vorliegenden Thatsachen nicht veranlaßt, Saugwürmer (Distomeen) als das die Krebspest verursachende Moment zu betrachten. Leuckart gesteht mit gewohnter Ehrlichkeit zu,[1] daß er eine Zeit lang über die Natur der krebsvertilgenden Krankheit vollständig im Unklaren sich befand. In der Folge erhielt er jedoch eine Sendung pestkranker Krebse, die ihn die Ursache der räthselhaften Seuche mit aller wünschenswerthen Klarheit erkennen ließen.

Die betreffenden Krebse waren sämmtlich todt; an vielen Exemplaren waren die Scheeren und auch die Beine abgefallen. Die Muskulatur der abgefallenen Gliedmaßen sowohl wie die der Stümpfe erwies sich als im Zerfalle begriffen, und bei der mikroskopischen Untersuchung konnte man eine reichliche Pilzwucherung erkennen. Helle, hirschgeweihartig sich verästelnde Fäden, die eine Menge gelblich schimmernder Körnchen enthielten,


  1. Sendschreiben an Herrn Rittergutsbesitzer Max von dem Borne. 1884.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_355.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2024)