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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Verlobung im Keller

Pfingstgeschichte aus der Zeit der Befreiungskriege.
Von J. Baltz.

Es war am Tage vor Pfingsten, im blühenden Mai, da saß ich, ein junges Ding von sechszehn Jahren, auf dem Fensterbrette in der tiefen Nische eines im Geschmacke des vorigen Jahrhunderts eingerichteten Zimmers. Mit Aufbietung all meiner Kräfte hatte ich das altmodische Guillotinen-Fenster in die Höhe geschoben, sodaß der Duft des Syringenbaums, der draußen dicht vor dem Fenster stand, hereindringen konnte und seine blüthenschweren Zweige mich wie eine Laube umgaben.

Manchmal, wenn starker Syringenduft mich umweht, sehe ich noch immer, nach so vielen Jahren, die Bilder vor mir, die jener Maimorgen mir zeigte: den Garten mit den phantastisch zugeschnittenen Taxus- und Buchsbaumhecken, den rosig blühenden Apfelbäumen und das holzgetäfelte Gemach mit der verblichenen Rosentapete, den verschnörkelten Truhen und Spinden, auf welchen wunderlich geformte Gläser mit künstlichen Wachsblumen und chinesischen Figürchen standen. Ich sehe auch durch die dreitheilige, weit geöffnete Thür in den Saal nebenan, bewundere die lange, prächtig geschmückte Tafel und die beiden bekränzten Sessel, vor welchen neben den Tellern goldene Myrthensträuße prangen. Vor Allem aber sehe ich mir gegenüber die alte Frau im tiefen Lehnstuhle, mit der weißen Spitzenhaube über dem vollen grauen Haar und dem Gebetbuche auf den Knieen, meine Großmutter. – Sie betete hier, weil sie nicht mit in die Capelle gehen konnte, die draußen vor dem Stadtthore lag. Ich aber war schnell hinausgelaufen, ehe ich die Großmutter in’s Hochzeitshaus geführt, und hatte mir das kleine Kirchlein angesehen. Es war wunderschön geschmückt; der Altar verschwand fast unter all den Blumen, und es herrschte ein Kerzenglanz, daß Einem schier die Augen weh thaten.

Dann wartete ich im Hochzeitshause mit der Großmutter, welche ich nicht so ganz allein lassen wollte, und zerbrach mir den Kopf darüber, warum in aller Welt „Ohm Dernau und Dernau’s Tant’“ – wie ich das Jubelpaar nach der patriarchalischen Sitte des Städtchens mit allen Verwandten und Nichtverwandten nannte – ihre kirchliche goldene Hochzeitsfeier in der kleinen Capelle da draußen auf dem Felde und nicht in der großen Stadtkirche hielten, und grübelte nach über manche Anspielung, die gestern am Polterabend, gemacht worden, und die, während sie die Andern höchlichst zu amüsiren schien, mir unverständlich und räthselhaft geblieben war. Dernau’s Tant’ war eine kleine, zierliche Erscheinung, mit hellen Augen, noch braunem Haare und ungewöhnlich kleinen Händen und Füßen. Sie hatte gestern in ihrem altmodischen Damastkleide mit der unglaublich kurzen Taille und dem dreieckigen Fichu, den kleinen absatzlosen Schuhen, die mit breiten Kreuzbändern über den gestickten Strümpfen befestigt waren, in einem reizenden Menuett, das ihr zu Ehren arrangirt, noch „zu guter Letzt“, wie sie sagte, mitgetanzt und allgemeine Bewunderung geerntet. Am Schlusse des Tanzes machte der Ohm, ihr Tänzer, eine tiefe Verbeugung und sagte, indeß der Schalk aus seinen Augen blitzte:

„Sie tanzen trotz einer Französin, Madame, und es war doch wohl ein Mißgriff, daß ich Sie damals den Franzosen entführte!“

Da lachten Alle, und Dernau’s Tant’ erröthete wie ein junges Mädchen.

Was mochte das Alles nur bedeuten? Ob ich die Großmutter fragte? Sie hatte mir, als ich einmal auf kurze Zeit ihr Gast war, gesagt, die Tant’, ihre liebste Jugendfreundin, habe seltsame Schicksale erlebt, und die wolle sie mir später, wenn ich älter sei, erzählen. Ob ich sie jetzt an ihr Versprechen erinnerte? Eben legte sie ihre Brille bei Seite und schlug das Gebetbuch zu. Schnell glitt ich von meinem Blüthenthrone herab und kauerte mich auf ein Bänkchen der alten Frau zu Füßen.

„Großmutter,“ sagte ich bittend, „könntest Du mir nicht heute die Geschichte Deiner Freundin erzählen? Weißt Du, Du hast mir’s versprochen!“

„Ei Lili, kleine Neugier,“ erwiderte sie, „das ist Nichts für solch Backfischchen wie Du bist! Warte noch ein paar Jährchen!“

Warten, mich gedulden war aber leider niemals meine Sache gewesen und so bat und schmeichelte ich weiter, recht wohl wissend, daß die Großmutter mir höchst selten Etwas abschlug.

„Heute paßt es so schön,“ schloß ich meine Rede, „und wir haben gute zwei Stunden Zeit; erst der Gottesdienst, dann die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_365.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)