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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Blätter und Blüthen.

Ein Thüringer Kantor und sein Werk. Nicht blos der Männergesang mit seinen Tausenden von Liedertafeln und Singvereinen, auch der gemischte Chor hat in Deutschland gute Pflege gefunden und letzterer namentlich für das geistliche Concert, für den Kirchenchor. In dieser Kunst, wie in den bildenden Künsten, sind wir lange Zeit bei den Italienern in die Schule gegangen. Als aber der Glaubensernst, die Glaubensbegeisterung durch die Reformation den größten Theil des deutschen Volkes ergriff, überflügelte die deutsche Kirchenmusik bald die italienische. Während letztere mehr und mehr in Opernstil und Instrumentenprunk ausartete, erhoben die deutschen Componisten die Orgel zu ihrer Würde empor und bewahrten endlich dem Chor seine Freiheit von aller Instrumentenbegleitung, den Gesang „a capella“, den sie aus der italienischen Glanzperiode der Kunst hervorzogen. Auf diesem Wege sind die berühmten Kirchenchöre entstanden, die seit langer Zeit in Deutschland an der Spitze derselben stehen: der Berliner Domchor, der Dresdener Kreuzkirchen- und der Leipziger Thomanerchor. In Italien behauptete der Chor der Sixtinischen Capelle in Rom den ersten Rang.

Ein ganz besonderes Verdienst um die Pflege und Ausbildung dieses geistlichen Chorgesanges haben sich die deutschen Cantoren erworben, die, zumeist in bescheidener Stellung, stets am begeistertsten und mit hingebender Liebe der Kirchenmusik gedient und öfters die ihnen unterstehenden Chöre aus unscheinbaren Anfängen heraus zu einem künstlerisch hochbedeutenden Ensemble gestaltet haben. Thüringen war die Heimath ganzer Cantorengeschlechter, und es ist ja bekannt, daß kein Geringerer als Johann Sebastian Bach, der Vater der deutschen protestantischen Kirchenmusik und der Meister des Leipziger Thomanerchors, einer solchen Thüringer Cantorfamilie entsprossen ist.

Ein solcher Thüringer Cantor war auch der Mann, welchem es gelungen ist, in einer kleinen thüringischen Stadt eine Schöpfung zu vollenden, die mit den gleichartigen von Rom und Berlin, Dresden und Leipzig auf der nämlichen Höhe steht. Mit der Gründung und der Erhebung des „Salzunger Kirchenchors“ zu solcher Bedeutung hat der einfache Cantor eine That vollbracht, die eine deutsche Ehre ist und mit welcher er es sich verdient hat, daß sein Name von allen sangesfrohen Deutschen geachtet werde.

Dieser Mann war Bernhard Müller, welcher, am 25. Januar zu Sonneberg im Meininger Oberlande geboren und ein Schüler Bogenhardt’s, im Jahre 1844 als Cantor nach Salzungen berufen wurde. Die Begründung des Salzunger Kirchenchors fällt in das Jahr 1851. Der verständniß- und liebevollen Leitung Müller’s gelang es bald, seine Schöpfung zu künstlerischer Bedeutung zu bringen, sodaß man in weiteren Kreisen auf dieselbe aufmerksam wurde; der durch seinen Kunstsinn hochverdiente Herzog Georg von Meiningen wandte ihm eine besondere Fürsorge zu. Er setzte Müller in den Stand, nicht nur alle hervorragenden Kunstinstitute in Deutschland kennen zu lernen, sondern auch den Gesang der Sixtinischen Capelle an Ort und Stelle zu studiren, ernannte ihn 1867 zum Kirchenmusikdirector und übergab ihm die Oberleitung des Kirchen- und Schulgesangs im ganzen Herzogthum. Der Salzunger Kirchenchor besteht aus 40 Knaben- und 20 Männerstimmen, und in der musikalischen Welt weiß man ebenso sehr die große technische Schulung dieses Chors wie den warm empfundenen und stilgerechten Vortrag zu würdigen. Bernhard Müller hat das ermutigendste Beispiel gegeben, was mit den Gesangskräften auch einer kleinen Ortschaft zu erstreben ist, wenn eine tüchtige Leitung sich ihrer mit Liebe und Beharrlichkeit annimmt.

Leider ist der Meister durch einen plötzlichen Tod seinem ruhmvollen Wirkungskreise entrissen worden. Der Salzunger Kirchenchor gab am 15. December vorigen Jahres in Meiningen vor dem Herzoge ein Concert; der von Müller außerordentlich wirkungsvoll componirte 23. Psalm bildete den Schluß des Programms und der Dirigent hatte so auch als Componist hohe Anerkennung gefunden. Kaum vom Herzog mit freudigem Handdruck geschieden, wurde Müller unmittelbar nach dem Verlassen des Concertsaales auf der Treppe von einem Schlaganfalle getroffen, an welchem er noch im Schlosse starb.

Für einen Künstler gewiß ein schöner Tod, im Augenblicke eines Triumphes Abschied von der Welt zu nehmen! Aber für die Familie Müller’s war der plötzliche Verlust um so schmerzlicher und folgenschwerer, als sie durch ihn ihrer einzigen Stütze beraubt wurde. Und hieran, an die keineswegs sorgenfreie Lage der Hinterbliebenen Müller’s, möchten wir in dem Augenblicke erinnern, in welchem die treue Sängerschaar den Entschluß gefaßt hat, ihrem früheren Meister und Führer ein Denkmal zu setzen. Wer könnte, wenn er je den Melodien des berühmten Kirchenchores gelauscht, sich mit dem Gedanken versöhnen, daß die hinterbliebenen Lieben dieses Meisters mit Alltagssorgen zu kämpfen haben? Gewiß verdient Bernhard Müller vor vielen hervorragenden Männern seiner Zeit ein Denkmal, allein näher scheint uns die Aufgabe zu liegen und mehr im Geiste des Verstorbenen das Bestreben zu sein, den Dank für Müller’s große Verdienste in die Form einer Ehrengabe für seine Hinterbliebenen zu kleiden. Wir wollen nicht versuchen, Diejenigen, welche dem verstorbenen Künstler ein steinernes Denkmal zu setzen gedenken, von ihrem pietätvollen Vorhaben abzulenken; aber wir würden uns freuen, wenn damit zugleich eine Anregung dazu gegeben wäre, der Familie Bernhard Müller’s mit derselben opferfreudigen Hingabe zu gedenken, wie er sie dem großen Werke seines Lebens gewidmet hat.


Im Sommerrefectorium. (Mit Illustration S. 360 und 361.) Es ist Besuch im Kloster angekommen, hoher geistlicher Besuch. Ob die beiden Aebte in den kurzen Stunden ihres Beisammenseins vorwiegend Geistliches oder auch Weltliches zu verhandeln haben, wissen wir nicht; es ist nicht einmal den dem Abt untergeordneten, an Gehorsam gewöhnten Insassen der weltabgeschiedenen Klause bekannt. Jedenfalls gilt es, die Gäste, nachdem sie sich den Reisestaub von Kutte und Kapuze geklopft und sich im Sommerrefectortium gesammelt haben, mit einem Labetrunk zu erfrischen. Und was könnte in den holden Tagen, da der Waldmeister seine zarte weiße Blüthe zu erschließen beginnt, erquickender sein als der goldigklare Rebensaft von der besten Lage der Klosterweinberghalden, vermählt mit dem wonnesamen Duft des würzigen Kräutleins?

Das Winterrefectorium mit seinen kurzen Doppelsäulen, mit seinen niedrigen rundbogigen Fenstern steht heute verlassen. Der Maitrank muß in den lichten, hochgesprengten, herzerhebenden Hallen des Sommerrefectoriums, wie sie der heitere kühne Geist des Uebergangsstils gewölbt hat, zubereitet, gespendet und genossen werden. Und warum sollten sich die Brüder heute nicht im Sommerrefectorium sammeln? Der Mai hat ja den Winter aus dem Feld geschlagen, die Fastenzeit ist voruber. Durch die Scheiben der schöngemusterten, schlanken, spitzbogigen Fenster fluthet das Licht und die Wärme des Frühlingstags, draußen an der mittäglichen Halde des Klosterberges blühen in rosigem Schimmer die Apfelbäume.

Der liebliche Sonnenstrahl umspielt die sieben Säulen, auf denen die Decke des Sommerrefectoriums ruht, von dem grünlich überhauchten Sockel an bis hinauf zu den feinen Gewölberippen, er umspielt die an den Wänden angebrachten Bilder, in deren Umrissen uns ein paar Heilige, ein Abt und ein fürstlicher Wohlthäter des Klosters entgegentreten, er umspielt die Gruppen der Brüder, die den Maitrunk bereiten und schlürfen. Er verklärt auch die Nische, in welcher das stolzragende Vorlesepult angebracht ist, dort wird sonst während des Mahles ein Abschnitt aus einem biblischen Buche, meist aus dem Buche Leviticus verlesen, und von dem Brauche, daß der Abt nach geschehener Vorlesung die Verfehlungen einzelner Brüder zu rügen pflegt, hat solche Rüge den Namen „einem den Leviten lesen“ erhalten. Heute steht kein Vorleser auf dem Pult; Maiweinduft und Levitenlesen würden schlecht zusammenstimmen, auch ist die Unterhaltung an den einzelnen Tischen der Brüder bis hinein dort in die kühle Ecke, wo Einer in jugendlichem Muthe das funkelnde Glas erbebt, schon zu lebhaft. –

Sieben Säulen sind’s, abwechselnd die eine schlank und leicht, sodaß sie ohne den gürtenden Wirtel in der Mitte fast zu schwach erscheinen würde, die andere von gedrungener Kraft. Vielleicht hat dem Baumeister, als er diesen eigenthümlichen Gedanken ausführte, der salomonische Spruch vorgeschwebt, daß die Weisheit ihr Haus auf sieben Säulen gründete.

Wie prächtig hat Meister Riefstahl den architektonischen Reiz dieses klösterlichen Raumes in seinem Gemälde wiedergegeben! Jeder, der einmal eingekehrt ist im Kloster Maulbronn in Schwaben und auch nur mit flüchtigem Blicke die Schönheiten dieses trefflich erhaltenen Schmuckkästchens altdeutscher Art und Kunst genossen hat, erinnert sich an die herrliche Halle, deren Linien der Maler hier nachgebildet hat und die im Volksmunde den anheimelnden Namen „das Rebenthal“ führt.

Und wenn auch der Künstler, dem wir so manches gelungene Werk verdanken, der malerischen Wirkung zu lieb die Mönche nicht in das schwarzweiße Gewand der Cisterzienser, mit denen Kloster Maulbronn thatsächlich früher besiedelt war, gekleidet, überhaupt das Costüm mit freiem, aber feinem künstlerischem Sinne behandelt hat: das ganze Bild ist doch ein echtes und gerechtes Maulbronner Klosterbild und heimelt nicht nur Den an, der, wie der Schreiber dieser Zeilen, manch liebes Jahr in Maulbronn heimisch gewesen ist.[1]



  1. Ein vortrefflicher, mit reichem Bilderschmuck gezierter Führer für das Kloster ist: Dr. Eduard Paulus „Die Cisterzienserabtei Maulbronn“.



Der Aussichtsthurm auf dem Astenberg. (Mit Abbildung S. 364.) Der gegen 840 Meter aufsteigende Astenberg ist der zweithöchste Punkt der rheinisch-westfälischeu Berglande, der nur vom großen Feldberge im Taunus überragt wird. Noch heute bildet das südwestwärts vom Astenberge sich erstreckende Rothhaargebirge die Naturgrenze zwischen dem Lande des sächsischen und des fränkischen Volksstammes, jenseits deren der niederdeutsche Dialekt aufhört und der fränkisch-oberdeutsche seinen Anfang nimmt. Vergeblich aber suchen wir jetzt von der Höhe des Berges aus nach jenen trennenden und verderblichen Grenzen deutscher Staaten, wie sie durch Jahrhunderte hindurch seit dem Vertrage von Verdun sich dem Auge darboten. Dagegen erfreut sich der Besucher des Astenberges auch heute an einer wahrhaft überraschenden Aussicht auf die reizendsten Landschaften. Er sieht die langgestreckten Ruhrberge und die Kegel der Lenneberge, aus den Thälern blitzen silberglänzende Flüsse und Bäche zu ihm hinauf, grüne Wiesen schimmern fern und nah, dichte Waldungen umkränzen malerisch Thäler und Berge, von den Berghängen grüßen saubere Dörfchen und durch die Lichtungen der Wälder winken schlanke Kirchthürme und lachende Städtchen, oft noch halb vom Grün üppiger Baumgruppen verdeckt. Am östlichen Horizonte findet das suchende Auge Wilhelmshöhe bei Kassel, vom Westen her aber hält der Vater Rhein seine Umschau und sendet 30 Stunden Wegs dem auch nach ihm hinüberlugenden Astenberge seinen Gruß!

So war es gewlß ein guter Gedanke, als 1843 gelegentlich der tausendjährigen Wiederkehr des Vertrages von Verdun, der das mächtige Reich Karl’s des Großen zum ersten Mal zersplitterte und durch den Gallien von Germanien getrennt wurde, der Plan entstand, den hochragenden Zeugen einer wechselvollen Vergangenheit und den Mittelpunkt einer an malerischen Landschaften so reichen Gegend zum Gegenstande einer besonderen Fürsorge zu machen und ihn mit einem Aussichtsthurme zu schmücken, der, zugleich ein Denkmal an vergangene Zeiten,

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