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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

es vor, daß der Reichstag „an ein anderes Ort um entstandener Kriegsumruhen oder um der ‚Contagion‘ (d. i. ansteckender Krankheiten) willen“ theils durch den Kaiser und die Kurfürsten, theils durch einen vom Kaiser mit seiner Zustimmung versehenen förmlichen Reichsschluß verlegt wurde. Vielleicht gewährt folgende hierher gehörige Episode, die ich dem alten Quartanten Johann Jacob Moser’s „Von den deutschen Reichstägen“ entnehme, einiges Interesse:

Im Jahre 1713 tagte die Versammlung in Regensburg, als daselbst die Pest zum Ausbruch gelangte. Darauf erstattete der Reichstag an die kaiserliche Commission am 18. August 1713 folgenden Bericht:

„Nachdem man dahier seit einiger Zeit wahrgenommen, daß die eingeschlichenen ansteckenden Krankheiten nicht nachlassen, es auch nicht abzusehen, welchen ferneren Verlauf es damit haben werde: so hat man in den drei Collegien des Reichstages – nämlich erstens dem Kurfürsten-Collegium, zweitens dem Reichsfürsten-Rath und drittens dem Collegium der Reichsstädte – für gut befunden, daß zwar des heiligen römischen Reiches freie Stadt Regensburg der eigentliche Sitz der Versammlung sein und bleiben solle, sich aber weiter dahin verabredet, sich zwischenzeitig und so lange, bis obgedachte Krankheit sicher sei aufgehört zu haben, nach des heiligen römischen Reichs freier Stadt Augsburg insgesammt zu begeben, worüber der kaiserlichen allergnädigsten Genehmhaltung entgegen gesehen werde.“

Diese Genehmigung erfolgte noch an dem nämlichen Tage. Man scheint es sehr eilig gehabt zu haben und führte noch als Grund an, wie zu befürchten stehe, man werde bei längerer Verzögerung der Abreise außer Stand gesetzt, von hier (Regensburg) abzureisen oder anderwärts eingelassen zu werden. – wegen der um der Pest willen von allen Gebieten angeordneten gegenseitigen Ab- und Aussperrung nämlich.

Der kaiserliche Principal-Commissarius sandte sofort einen „Cavalier“ mit der erforderlichen Notification nach Augsburg. Allein der hohe Rath dieser freien Reichsstadt war bei übler Laune. Er ließ besagten „Cavalier“ gar nicht zur Stadt herein, sondern ließ ihm hinaussageu, daß man sich zur Aufnahme des Reichstages nicht anders verstehen könne, als nachdem alle Gesandtschaften der Reichsstände in der Nachbarschaft der Stadt eine vierzehntägige Contumaz (Quarantäne) abgehalten hätten. Und es behielt, trotz aller Proteste und trotz der Berufung darauf, „was der allerunterthänigste Respect gegen Ihro kaiserliche Majestät und das Reich erfordert hätte“, dabei sein Bewenden.

Der Reichstag fühlte sich in dem widerborstigen Augsburg nicht behaglich. Regensburg dagegen wünschte dessen Rückkehr. Schon am 6. März 1714 schrieb die Stadt Regensburg an den hohen „Reichs-Convent“ (so nannte man damals den Reichstag), die Pest habe aufgehört und es sei böswillige Nachrede, wenn ausgestreut werde, die Stadt sähe lieber, daß der Reichs-Convent wegbliebe. Der Reichstag stellt seine Anträge auf Rückkehr ad locum unde, und endlich erläßt die kaiserliche Commission die Verfügung: „Nachdem durch göttliche Gnade sich eine Bestand verheißende Besserung aller Orten, und sonderlich zu Regensburg, auch nach zurückgelegter Frühlings- und hitziger Sommerzeit gezeiget, will es Allerhöchst Ihre Kaiserliche Majestät allergnädigst zufrieden sein, daß die Reichsversammlung gegen die Mitte des bevorstehenden Monats October dorthin wieder zurückverleget werde, allermaßen alsdann Kaiserliche Majestät den Magistrat zu Regensburg dessen werde versichern lassen, damit er alles dazu Benöthigte zeitig veranstalten und fertig zu halten habe.“

Ich gebe in der unten stehenden Anmerkung[1] ein Verzeichniß der Orte, in welchen der Reichstag in der Zeit vom Ende des zehnten bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts abgehalten wurde. Ich häbe es mit großem Zeitaufwand aus zahlreichen Folianten ausgezogen, kann aber trotzdem für dessen vollkommene Genauigkeit und Vollständigkeit nicht einstehn. Denn gerade die Ortsfrage ist nirgends ex professo behandelt.

In dem zweiten und letzten Capitel werde ich von einzelnen dieser früheren Sitze des alten deutschen „Reichs-Convents“ eine kurze Charakteristik und Schilderung zu geben versuchen, um zum Schluß, anknüpfend an den Eingang dieses ersten Capitels, zu einer Parallele zwischen Sonst und Jetzt zurückzukehren und zu erklären, warum der neue deutsche Reichstag in Berlin sitzt und menschlicher Berechnung nach dort zu bleiben bestimmt ist.

(Schluß folgt.)


  1. Von Verona, im Jahre 967, geht der Reichstag, unter den sächsischen Kaisern, nach Goslar, Magdeburg, Quedlinburg, Dornburg. In Goslar saß er in dreiundzwanzig verschiedenen Jahren in sächsischen sowohl als in fränkischen Zeiten. Unter den Königen und Kaisern fränkischen Stammes (vom Jahre 1024 bis 1137) hat der Reichstag seine Versammlung 1030 in Speyer, 1036 in Augsburg, 1044 in Costnitz (jetzt Constanz), 1048 in Ulm, 1074 in Worms, 1122 abermals in Worms und 1125 in Regensburg gehalten. Während der Hohenstaufenzeit und des großen Interregnums (1137 bis 1272) finden wir den Reichstag 1157 in Worms, 1166 in Würzburg, 1209 in Augsburg und in Würzburg, 1220 in Frankfurt am Main, 1235 in Mainz, 1236 wieder in Frankfurt, 1269 in Worms. In der Zeit von dem Ende des großen Interregnums bis zur Entwickelung der reformatorischen Ideen in Reich und Kirche, also in der Periode von 1272 bis 1493, saß der Reichstag 1278 in Mainz, 1281 in Nürnberg, 1291 in Speyer, 1293 in Köln, 1295 in Nürnberg, 1309 wieder in Speyer, 1314 in Mainz, 1323 in Nürnberg, 1333 in Eßlingen, 1356 in Nürnberg und Metz – (hier entstand die Goldene Bulle Kaiser Karl’s IV., die in ihrem ersten Theile eine Erweiterung, Formulirung und Anerkennung der Rechte der Kurfürsten auf Kosten der übrigen Reichsstände enthält, im zweiten Theile aber hauptsächlich ein Ceremonienbuch ist, welches uns an das moderne preußische Ceremonienbuch des Grafen Stillfried von Alcantara erinnert) –, 1379 in Oppenheim, 1383 in Nürnberg, 1389 in Eger, 1398 in Frankfurt am Main, 1422 in Nürnberg, 1423 in Frunkfurt, 1431 in Nürnberg, 1435 in Frankfurt, 1437 in Eger, 1438 in Nürnberg, 1441 in Mainz, 1442 in Frankfurt, 1457 daselbst, 1466 in Nördlingen und Ulm, 1467 in Nürnberg, 1471 in Regensburg, 1474 in Augsburg, 1480 und 1481 in Nürnberg, 1486 in Frankfurt, 1487 in Nürnberg. Die Reichstage in Worms, 1495, sowie in Lindau und Worms, 1497, gehören schon der Regierung des Kaisers Maximilian I. (1493 bis 1519) an. Ich werde ihrer im zweiten Capitel gedenken. Ich beschränke mich hier auf diese Aufzählung, welche, wie gesagt, eine vollständige nicht ist.




Blätter und Blüthen.

Das Nowo-Dewitschij-Kloster bei Moskau. (Mit Illustration S. 385.) Der Ursprung des Namens Nowo-Dewitschij-Monastyr (Neues Jungfrauen-Kloster) ist nicht ganz aufgeklärt. Als altes Jungfrauen-Kloster wird keines der übrigen Nonnenklöster Moskaus bezeichnet. Jedes von ihnen trägt entweder den Namen eines Heiligen, wie z. B. Alexejewsky, Nikitsky (des heiligen Alexej, Nikita), oder den eines kirchlichen Festes, wie z. B. das Nonnenkloster zur Geburt Christi, zur Empfängniß, zur Himmelfahrt. Blos dem Nowo-Dewitschij-Kloster fehlt eine solche specielle Bezeichnung. Manche behaupten, es trage seinen Namen von der ersten Aebtissin, die Helene Dewotschkin geheißen habe. Ob der Platz, auf dem das Kloster sich befindet, das Jungfernfeld, von dem Kloster seinen Namen erhalten hat, oder umgekehrt, ist gleichfalls nicht festzustellen.

Fast im südwestlichsten Winkel des großen Bogens, den die Moskwa bildet, bevor sie in’s Innere der Stadt, am Kreml vorbei fließt, liegt, ganz am Ende des Jungfernfeldes, dieses historisch-merkwürdige Kloster. Von den 21 Klöstern der Hauptstadt ist es eines der größten, es birgt innerhalb seiner mit Thürmen und Schießscharten versehenen Mauern nicht weniger als 8 Kirchen.

Das Nowo-Dewitschij-Kloster wurde vom Czaren Wassilij Iwanowitsch im Jahre 1524 zum Andenken an die Wiedervereinigung von Smolensk mit dem Großfürstenthum Moskau gegründet (nach andern Quellen zum Andenken an die Rücksendung des wunderthätigen Bildes U. L. Frauen von Smolensk nach dessen Heimathstätte, und bis zu der Stelle, wo sich jetzt das Kloster befindet, soll die Procession das nach Smolensk zuruckgesandte Heiligenbild begleitet haben).

Nach dem Tode Wassilij Iwanowitsch’s nahm seine Wittwe, die Czarin Irene, im Jahre 1598 unter dem Namen Alexandra hier den Schleier. Auch Boris Godunow, ihr Bruder, hatte sich nach dem Tode des jungen Thronerben Dmitrij – dessen Ermordung ihm zugeschrieben wird – hierher zurückgezogen. Er erwartete hier auch die Ankunft des Patriarchen Hiob, der an der Spitze der Geistlichkeit ihm die Czarenkrone anzubieten kam.

Im Jahre 1610 wurde das Nowo-Dewitschij-Kloster, während der blutigen Kämpfe mit den Polen, welche mit dem falschen Dmitrij gekommen waren, um dem Czaren Boris Godunow die Krone zu entreißen, theilweise zerstört. Czar Michail aber ließ es wieder herstellen.

Unter Peter dem Großen gelangte das Kloster abermals zu historischer Bedeutung. Hier war es, wo er seine widerspenstige und herrschsüchtige Schwester Sophie unter dem Namen Susanne einkleiden ließ. Von hier aus sann diese Intriguantin während der langen Abwesenheit Peter’s außerhalb der Grenzen seines Reichs auf neuen Verrath, dessen Folge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_387.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2022)