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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Blätter und Blüthen.


Der 6. October 1789. (Mit Illustration S. 392 und 393.) Einer der wichtigsten Tage der französischen Revolution! Das Bild stellt uns dar, wie König Ludwig XVI. und Königin Maria Antoinette von dem Volk aus Versailles nach Paris zurückgeführt werden, mitten im Zug von Weibern und Nationalgarden. Es waren die Tage, an denen die Revolution zum ersten Male ihre ganze Wildheit und Grausamkeit entfesselte. Tags vorher waren 7000 Weiber nach Versailles gezogen: einige Gardes du Corps waren als Opfer ihrer Wuth gefallen: es sind dieselben, die hier des Königs Wagen geleiten, alt und jung, mit Trommeln, Fahnen und Schwertern. Théroigne de Méricourt, die wilde Furie der Revolution, die auf einer Kanone sitzend gegen Versailles zog, erscheint hier hoch zu Roß mit ihrem leidenschaftlichen schönen Gesicht, das Schwert in der Hand; verwilderte und fanatische Nationalgarden bilden einen tumultuarischen Zug; einige sind trunken, andere machen den anmuthigen Schönen den Hof, die eben in Versailles des Königs Garden so tapfer massacrirt hatten; eine große Menge beobachtet neugierig, mit größerem oder geringerem Antheil, das Schauspiel, das der seltene Zug ihr bietet; verfallene Mauern, allerlei Höhlen des Proletariats, Winkelherbergen und Hütten, die dem Zusammenbruche nahe sind, geben die Sitz- und Stehplätze für dies verwahrloste Publicum.

Am meisten lenkt das Königspaar in dem von Piken umstarrten Prunkwagen, dessen vier Staatspferde sich mühsam langsamen Schrittes den Weg durch das Getümmel bahnen, die Blicke auf sich. Stolz und verächtlich blickt die österreichische Kaisertochter auf diesen Pariser Pöbel, noch lastet auf ihr beschwerend die Erinnerung des vorhergehenden Tages: hatte sie doch im Unterrock aus dem Bett vor diesen Furien flüchten müssen, als eine Thür nach der andern von ihnen erbrochen und die Gardes du Corps ermordet wurden. Und erst wenige Tage waren vergangen, als die schöne stolze Königin bei dem Gastmahle der Garde-Officiere erschienen war, welche ihre Degen zogen, um sie und den König zu begrüßen, und bei funkelndem Wein das Lied „O Richard, o mon roi“ begeistert anstimmten! Noch klang ihr dies Lied in den Ohren: doch neben ihr saß König Richard mit seiner unverwüstlichen Bonhommie, nur verdrießlich, in seinem Behagen gestört zu werden, und vielleicht nicht ohne stille Reue, den Wünschen des Pöbels nachgegeben und das ruhige Versailles mit dem stürmischen Paris vertauscht zu haben. Noch ahnten Beide nicht, welcher Zukunft sie entgegenfuhren, was ihrer in dem schrecklichen Paris harrte und wie allmählich von Jahr zu Jahr das Verhängniß immer schwerer seine Hand auf ihre gekrönten Häupter legen werde. Der blutige Aufstand vom 10. August, der Sturm der Tuilerien, die Kerkerhaft im Temple, das Schaffot: das waren Schreckensbilder der Zukunft, wie sie ihre Phantasie sich noch nicht auszumalen wagte, trotz der Demüthigungen, die ihnen der Augenblick bereitete. Und der kleine Prinz, der neugierig aus dem Wagen heraus das Schauspiel betrachtet, das ihm die bunte, wildbewegte Menge bietet? Er ahnt nicht das grausame Schicksal, welches den Sprößling der Bourbons bedroht: finstere Kerkerhaft, schmachvolle Mißhandlung, frühen ruhmlosen Tod! Doch gerade dahinter macht ja die Geschichte ein Fragezeichen; das Prätendententhum der Naundorff macht in neuester Zeit wieder viel von sich reden, wo die legitimistischen Kreise in Paris der Prinzessin Amélie huldigen, die von jenem Ludwig XVII. ihre Herkunft ableitet. –

Joseph Emil Squindo, der Künstler, dem wir unser Bild verdanken, ist leider schon in seinem 25. Jahre dem Leben und der Kunst entrissen worden. Geboren in Nördlingen am 13. Februar 1857, starb er am 18. November 1883 in München. Sein Gemälde: „Der 6. October 1789“ ist, obwohl unvollendet, der beste Beweis, zu welchen großen Hoffnungen sein Talent berechtigte. Nach der Vollendung wäre dieses Bild nach Paris gekommen, nach dem jähen Tode des Künstlers aber geschahen Schritte, dasselbe der Stadt München zu erhalten. Zu einem Verkauf konnte sich die Familie des Verstorbenen nicht entschließen; so wurde das Bild dem baierischen Staat zum Geschenk gemacht und der königlichen Staatsgemäldesammlung einverleibt.


Zur Naturgeschichte der „Seeschlangen“. Im milden Frühherbste des Jahres 1873 saßen wir selbdritt während der ersten Stunden einer jener lauen, wundersamen Vollmondnächte, wie sie der Herbst an den Schweizerseen oft noch bringt, am baum- und rebenreichen Ufer des stillen, melancholischen Untersees. Es war am Tage von Sedan, den zu feiern mehrere deutsche Curgäste der Kaltwasseranstalt M., und darunter am wenigsten einige schon lange in der Schweiz eingebürgerte Stammesbrüder, trotz aller Einwendungen sich nicht hatten nehmen lassen, worüber die Insassen des Grenzdörfchens ihrerseits in unbegreifliche Erregung geriethen. Um nun aber nach Beendigung des üblichen Feuerwerkes durch unsere Gegenwart nicht weiter zu reizen, hatten wir uns an das Seegestade zurückgezogen.

Die große Wasserebene lag wie ein glänzender Spiegel da, darinnen nur der Mond sein magisches Licht reflectirte; alles Geräusch ringsum war verstummt und selbst die stummen Fische waren noch stiller geworden, als tagsüber; denn lange Zeit ließ sich keiner beikommen, seinen Kopf über die krystallklare Fluth behufs luxuriöseren Luftschnappens zu erheben.

Plötzlich jedoch entstand inmitten einer großen seichten Ausbuchtung des Sees ein starkes Geräusch, und beim raschen Hinschauen glaubten wir alle drei gesehen zu haben, wie ein mindestens fünf bis sechs Meter langes fisch- oder schlangenartiges Unthier an der Oberfläche blitzschnell dahinschoß. Von dem Thiere sah man nur den grauschwarzen, eigenthümlich wellig eingebogenen Rücken, der etwas über das Wasser hervorragte. Da wir nur diesen wahrnehmen konnten, war es nicht möglich, sich eine bestimmte Meinung über die Species desselben zu bilden.

Einer sagte endlich lachend: „Das war sicher eine Seeschlange!“, worauf der andere fortfuhr: „Aber offenbar nur eine Untersee-Schlange!“. Der dritte behielt seine Ansicht für sich und erklärte nur, er wolle sich andern Tags bei den Fischern erkundigen, ob sie vielleicht auch schon eine ähnliche Beobachtung gemacht hätten und was dann ihre Meinung sei, da sie ja die Fauna des Seebeckens genau kennen müßten.

Ich dachte im Stillen sofort an eine Sinnestäuschung, vielmehr an eine optisch-physiologische Begründung der Erscheinung.

Des andern Morgens fuhren wir unter Leitung des kundigsten Seglers unter den Fischern im Nachen auf dem See. Dabei erzählten wir diesem das Ereigniß vom vorhergehenden Abend und sprachen die Zwei auch wieder ihre Vermuthungen aus.

Der Fischer jedoch sagte lebhaft in seinem krächzenden Dütsch: „Dees is ’n Heacht g’si!“ und erzählte sofort, daß er ganz früh in der Nähe jener Stelle eine Seeforelle von 10 Pfund Schwere – ein guter Fund, denn das Pfund kostete 1 Franken! – mit einer großen Wunde in der Seite auf dem Wasser todt schwimmend angetroffen und auch bereits verkauft habe; im See gebe es Hechte von 50 und mehr Pfund Schwere.

Also ein Hecht und keine Seeschlange! – Wenn jener demnach auch keine Seeschlange war, so kann er doch die Fabel von der letzteren erklären helfen; denn offenbar kommt die weltbekannte Seeschlange des atlantischen Oceans stets ebenso zu Stande, wie die kleinere Unterseeschlange in unserem Fall! Nämlich so:

Die Netzhaut unseres Auges hat die Eigenthümlichkeit, daß die Bilder, welche sie treffen, auf ihr nicht sofort wieder erlöschen, sondern noch eine kurze Zeit nachhalten. So entsteht bekanntlich, wenn man ein glimmendes Streichhölzchen rasch im Kreise herum oder wenn man es liniengerade schnellstens hin- und herbewegt, nicht der Eindruck von einzelnen getrennten Lichtpunkten, sondern der einer zusammenhängenden Kreis- oder geraden Linie aus glühender Masse. Wenn die leuchtende Streichholzspitze nämlich von a nach i fortgerückt ist, ist das Bild von a noch nicht und sind noch weniger die Bilder von b c d e f g und so fort schon erloschen, sondern es lassen alle zusammen den Eindruck jener feurigen Linie zurück, respective sie bilden diesen Eindruck.

Gerade so geschah es auch mit unserem pfeilschnell eine größere Strecke lang dahinschießenden Hechtrücken! Er erschien dem hinsehenden Auge als ein meterlanges graurückiges Unthier, als eine Unterseeschlange! Die seitlich sofort wieder zusammenfallenden, vorher aus einander getriebenen Wasserwellen aber gaben demselben das eigenthümlich wellige Aussehen.

Sonach hatte diese Unterseeschlange keine wirkliche Existenz, sondern verdankte den Anschein dieser einer physiologischen Eigenthümlichkeit der menschlichen Netzhaut. Gerade so verhält es sich offenbar auch stets mit der allsommerlich in den Zeitungen beschriebenen und zuweilen sogar abgebildeten „großen Seeschlange“.

Wird diese nun wohl nach obigen Auseinandersetzungen nur noch als sozusagen optische Täuschung fortan figuriren? Das soll sie bei Leibe nicht! Wir wollten ja den Zeitungen gar nicht ihre Seeschlangen, die sie, wie bekannt, in den Hundstagen so gut gebrauchen können, nehmen, sondern sie nur naturwissenschaftlich deuten. Dr. B. (W.)


Allerlei Kurzweil.
Auflösung des Rösselsprungs in Nr. 22:

Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügeln und Höh’n, in Büschen und Hecken
Uebten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;
Jede Wiese sproßte von Blumen.

Auflösung des Bilder-Räthsels in Nr. 22:
„Durch Nacht zum Licht.“
Auflösung des Quadrat-Räthsels in Nr. 22:


Kleiner Briefkasten.

A. M. W. Pr. Ihnen könnte vielleicht durch den Lette-Verein in Berlin, welcher sich die Förderung höherer Bildung und Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts zur Aufgabe gestellt hat, geholfen werden. Die Direction desselben befindet sich Berlin SW. Königgrätzerstraße 90.

G.... S. in Königsberg. Auf anonyme Anfragen wird eine Antwort, wie schon oft von uns betont, nicht ertheilt.

W. in H. Keines der angepriesenen Mittel ist wirksam.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_404.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)