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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Vorarlbergerbahn, endlich das Erscheinen der liebenswürdigen Monographie „Montafun“ von O. von Pfister in Lindau haben aber dort oben Alles gründlich verändert. Bludenz, das ehedem etwas obscure Bergstädtlein, ist ein Touristennest geworden, wo es von Bergsteigern und englischen „Misses“ wimmelt, – an der Stelle der niedrigen Bauernwirthshäuser haben sich Hôtels und Pensionen aufgethan, in welchen sogar schon preußische Minister Sommerfrische gehalten haben, und wo einst der Schreiber dieser Zeilen auf schlechtem Heu schlechte Nächte verbrachte, am Lünersee und auf Tilisuna, da stehen jetzt stattliche, vom D. & Oe. A. V. (Deutschen und Oesterreichischen Alpen-Verein) errichtete comfortable Clubhütten mit Federmatrazen und „Wienerschnitzeln“.

Daß alles Dieses aber – und noch vor gar nicht so langer Zeit – einmal anders war, daran denkt das heutige Geschlecht nicht mehr, und darum ist es gut, daß man es ihm wieder in’s Gedächtniß ruft.

Meister Püttner’s Stift hat nun für die „Gartenlaube“ aus dem vorarlbergischen Rhätikon zwei wahre Juwelen festgehalten, das Brandtner Thal mit der Scesaplana und den Lünersee. Auf dem einen Bilde (vergl. S. 417) sind wir schon zwei Stunden lang aus dem Illthale bei Bludenz schweißtriefend herabgestiegen und befinden uns bei der einsamen Capelle auf Collafera, wo auf einem Steinblocke eine kleine eiserne Madonna steht, die der Sage nach sich in die Capelle absolut nicht hinübertragen lassen mag. Auf dieser Thalstufe öffnet sich unser Blick südwärts auf die Bergidylle des Brandtner Kirchleins inmitten zerstreuter, wetterbrauner Häuschen; links vor uns stürzt die Steilwand der „Wasenspitz“ hinab in die ahornumrauschte Schlucht, in welcher der Alvierbach schäumt; gerade vor uns steht als harmonischer Abschluß das Rhätikonmassiv, darauf der Brandtnerferner als ebene Fläche (sasso plano) ruht, auch fast allenthalben vom Bodensee aus wie eine weiße Sommerwolke im Himmelsblau sichtbar. Die zwei dunkeln Felsenköpfe in der Mitte sind der Muttersberg und der Mittelspitz, rechts davon heißt’s der Panüeler Schrofen oder auch „auf Zalim“, eine Felswand, die wohl bei 1000 Meter hoch fast senkrecht in’s benachbarte Almthal Gamperton (camp rotond) abfällt, und an deren Abstürzen man den Spousagang zeigt, so genannt, weil zur Zeit der Reformationskriege eine katholische Braut (spousa) aus Brandt, der Verfolgung ihrer Verwandten entrinnend, mit ihrem Bräutigam, einem reformirten Prättigäuer, den schwindelnden Steig als einzigen Ausweg glücklich überwand. Die eigentliche Spitze der Scesaplana (2968 Meter über dem Meer) aber steht firngekrönt links im Bilde, scheinbar niedriger als die andern, in Wirklichkeit aber alle Nachbarerhebungen weit überragend, und auf den Brandtnerferner mit einer senkrechten Wand von mehreren hundert Metern abfallend.

Sind wir auf guten Sträßchen durch’s Dorf gewandert, dann wenden wir uns, weit hinter der Wasenspitz, nach links und steigen über die Alm Schattelagant auf steilem, der böse Tritt genanntem, aber jetzt ungefährlichem Pfade aufwärts. Wir gehen an einem Wasserfalle vorüber, der, aus der senkrechten Felswand brechend, als der unterirdische Abfluß des Lünersees gilt, und betreten nach dreistündigem Marsch das Seebord, den Wall jener voll hohen Gipfeln eingeschlossenen Mulde, in welcher der eine Stunde im Umfange haltende Lünersee eingebettet liegt, halten also gerade vor Meister Püttner’s anderem Bilde.

Einsam, still, fast melancholisch liegt er da, dieser größte See auf solcher Höhe (2500 Meter über dem Meeresspiegel), ein fragendes Riesenauge, dem Himmel zugekehrt, der von Zeit zu Zeit seine blauen und grünen Lichter darüber streut; steile Firnhänge spiegeln sich in seinen Tiefen, und das großblumige Almveilchen umkränzt sein Gestade. Außer einigen düstergrünen Latschenzweigen kein Strauch und kein Baum, denn wir sind hoch über der Grenze des Holzwuchses, dafür aber in der eigentlichen Region der Gemsen, deren wir manche Truppe längs der Abhänge hinklettern sehen können, lautlos und stille, tönte nicht das Klingen der von den festeinsetzenden Klauen herabgeschleuderten Steine zu uns herüber – das sogenannte „Steinlen“ der Gemsenjäger. An die drei Viertheile des Jahres liegt eine dicke Eisfläche auf dem See und dennoch lebt ein Fisch in ihm, die dickköpfige „Groppe“ (Kaulquappe). Der See hat keinen sichtbaren Abfluß, ist aber auch von anderen Seiten durch die Thäler zugänglich, die bis an seinen Steilwall mit ihrem Scheitel heranreichen, so durch’s Rells- und Gauerthal aus dem Montafun, während ein hochgelegener Paß, das Schweizerthor, in’s graubündnerische Prättigäu hinüberleitet.

In vorzüglich gewählter, geschützter Lage steht am Südwestende des Sees die hohe bequem eingerichtete Unterkunftshütte des deutschen und österreichischen Alpen-Vereins, nach dem im vorarlbergischen Hochgebirge verunglückten, um dieses Bergland verdienten Vorstande der Section Vorarlberg des deutschen und österreichischen Alpen-Vereins, die Douglas-Hütte genannt. Von ihr führt ein dreistündiges Steigen über die „Todtenalpe“ – ein großartiges Trümmerfeld, an das sich, wie so oft in den Alpen, eine Sage von Sennerübermuth knüpft – dann über steile, aber gefahrlose Firnfelder zur Spitze der Scesaplana.

Diese, ein Grenzpunkt zwischen der Schweiz und Vorarlberg, ist im letzten Jahrzehnt wegen ihrer Prachtaussicht und der relativ mühelosen Besteigung ein wahrer Wallfahrtsort der Touristen geworden. Wer aber auch nur bei einer, wie ich selbst bei sechsmaliger Besteigung, so sehr von den Göttern begünstigt ist, daß er wolkenlosen Himmel da droben findet, der kann dort ein tüchtiges Stück Erde mit einem Blick umspannen – von der baierischen Hochebene bis zum lombardischen Adamello und vom Monte Rosa bis zum Großglockner – und in seligem Schauen schwelgen, losgelöst von all dem Qualm und all der Qual der Tiefen da drunten – ein König auf höchstem Throne. C. S.     




Salvatore.

Napoletanisches Sittenbild.0 Von Ernst Eckstein.
(Schluß.)


Kaum war die Thür ins Schloß gefallen, als Maria wie eine Beterin auf die Kniee sank und, das Antlitz zu Boden gesenkt, die beiden Arme flehentlich zu Alberto emporhob. Das lange, nachtschwarze Haar wallte ihr trauerflor-ähnlich über Stirn und Angesicht.

Alberto wollte sie aufrichten, aber sie wehrte ihm.

„Nur so kann ich Dir meine Sünde bekennen,“ schluchzte sie unter strömenden Thränen. „Ach, Du ahnst nicht, Alberto, wie grausam ich war und wie lieblos – um seinetwillen! Alles, Alles war erbärmliche Lüge! Keine Secunde lang hab’ ich aufgehört, Salvatore zu lieben; ich wußte um seinen Plan; die Lossagung war Komödie! Er verlangte es so – ich gehorchte! Ja, grausam war ich und lieblos, daß ich den Freund meiner Jugend, den treuen Alberto, nicht aufklärte, da ich gewahrte, wie er aufs Neue ... Aber ich konnte ja nicht! Ich mußte schweigen, und die Angst der Entdeckung ...“

Alberto war blaß geworden.

„Steh’ auf!“ sagte er mit unheimlicher Gelassenheit. „Ich verlange es! Hörst Du, Maria?“

Sie erhob sich. Die Ruhe, die er bekundete, flößte ihr Muth ein. Sie erzählte ihm Alles vom Anbeginn. Dann fragte sie leise:

„Kannst Du mir vergeben, Alberto? Du mußt, Du mußt! Nur wenn Du ihn rettest, hab’ ich noch Hoffnung auf eine glückliche Zukunft! Denk’ es aus, was ich jetzt sagen werde: Salvatore soll acht endlose Jahre im Bagno büßen! Acht Jahre, Alberto! Es ist zum Wahnsinnigwerden!“

Sprachlos blickte Alberto in ihr bleiches, verzerrtes Gesicht.

„Du hast’s gehört!“ fuhr sie fort. „Salvatore, der lichtverlangende Adler, der nicht hoch genug aufsteigen konnte, immer der Sonne des Glücks entgegen – Salvatore acht Jahre hindurch im Kerker! Das ist sein Tod – und der meine!“

Die letzten Worte klangen wie ein herzzerreißender Aufschrei.

„Ich beklage Dich,“ sagte Alberto nach langem Schweigen – „aber was frommt’s? Wenn ich um Deinetwillen selbst meinen Haß bezwänge: wie kann ich ungeschehen machen, was das Schicksal Euch auflädt? Du mußt’s ertragen, Maria! Bete zur Mutter Gottes, daß sie Dir Kraft verleiht!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_414.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2021)