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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


„Sprich, Abdallah,“ entgegnete Mustapha, „und gesegnet seien Deine Worte, falls sie meine tief gesunkene Hoffnung wieder beleben.“

Und nun erzählte Abdallah von den reichen und blühenden Eilanden, welche nahe der Südwestküste Sardiniens gelegen sind und mit ihren kleinen Schiffen nach dem Festlande, Sardinien und den balearischen Inseln eifrig Handel treiben. Wenig Getreide, doch Wein und Früchte von vorzüglicher Güte und in großer Menge werden daselbst gebaut, die Berge sind wildreich, das Meer wimmelt von Fischen und der Thunfischfang vor Allem ist eine ergiebige Quelle der Wohlhabenheit. - Vor vierzig Jahren hatten tunesische Korsaren eine jener Inseln, San Pietro, gänzlich ausgeplündert, vor sieben Jahren Algerier fast die ganze Bevölkerung derselben in die Sclaverei geführt. Einzelnen kecken Seeräubern waren noch kürzlich Handstreiche gelungen: so war z. B. letzthin der toscanische Premierminister Seratti in jenen Gewässern von einem tunesischen Korsaren gefangen und zum Sclaven gemacht worden, gerade der Mann, welcher als Gouverneur von Livorno beim Großherzog die Freilassung der daselbst im Bagno unter hartem Joche seufzenden tunesischen Gefangenen durchgesetzt hatte. Die Bevölkerung jener Inseln ist sanften Charakters, eingeschüchtert durch die früher erlittenen Gewalttaten der Piraten, und militärische Besatzung kaum vorhanden. Also könne ein dorthin gerichteter Ueberfall kaum fehlschlagen und würde sicher reiche Frucht tragen.

Mustapha Raïs war der lebhaften Schilderung des Capitains mit Interesse gefolgt. Die Idee leuchtete ihm ein und war jedenfalls besser, als langwierige Fahrten weiter in’s Ungewisse zu unternehmen. Er dankte Sidi Abdallah, als dieser sich verabschiedete, und versprach, den Vorschlag zu überlegen. In der That war er am nächsten Morgen zum Entschluß gekommen. Der Curs wurde nach Südwesten auf das sardische Cap Spartivento gerichtet.

Dem Seefahrer bietet sich ein entzückendes Bild, sobald er von Osten kommend jenes Cap umschifft hat und dann nordwärts steuert: eine vor Winden geschützte weite Bucht, die Bai von Palmas, liegt vor ihm, zur Rechten und geradeaus von den einsamen und wilden, doch an kostbaren Erzen reichen Waldgebirgen Sardiniens, zur Linken von den schöngeformten Bergen der Insel Sant’ Antioco umkränzt. Ewiger Frühling herrscht auf dieser glücklichen Insel, und wo das Land urbar gemacht und angebaut ist, trägt es hundertfältige Frucht; auch wird sie nicht von den gefürchteten Fiebern heimgesucht, welche Sardinien gefährlich machen, da die Seeluft dieselben vertreibt. Die Bewohner sind ein arbeitsames Völkchen und ihr Hauptort, ebenfalls St. Antioco genannt und im Hintergrund der Bai gelegen, ist seit langem ein wohlhabendes und blühendes Städtchen. Ueber demselben thront seitwärts nach der Seeseite zu auf stolzer Höhe eine alte Burg aus früheren Jahrhunderten, bisher mehr als ein Schmuck der pittoresken Gegend, als für ernstliche Vertheidigungszwecke geschätzt, doch immerhin in leidlichem Zustande erhalten, schon weil sie einer freilich recht unbedeutenden Besatzung von ein paar Dutzend Soldaten als Behausung dient. Zur Zeit unserer Erzählung befahl dort oben ein jugendlicher Commandant, der wackere Don Luigi Altamare, welcher erst kürzlich diesen Posten übernommen und für sich und seine Schwester, die fünfzehnjährige schöne Donna Maria, ein paar Thurmzimmer wohnlich und behaglich eingerichtet, auch die Vertheidigungswerke mit Hülfe der achtundzwanzig Mann, welche unter seinen Befehlen standen, einigermaßen in Stand gesetzt hatte.

An einem herrlichen Frühmorgen, wie er unter jenem Himmelsstriche dem Herbste eigen ist, war die Ruhe und Glückseligkeit, welche sonst über der Bai von Palmas und ihren Gestaden lagerte, in Schrecken und Angst verwandelt worden. Es war zwei Tage nach dem Abend, an welchem Abdallah die Aufmerksamkeit des tunesischen Piratenadmirals auf diese Gegenden gelenkt hatte. Nachts und in der Morgendämmerung hatten Warnfeuer und unaufhörliche Kanonenschüsse, erst aus der Ferne, dann immer näher, endlich von der im sardischen Küstenlande gelegenen Stadt Palmas herüber, die Bewohner von St. Antioco von der herannahenden entsetzlichen Gefahr in Kenntniß gesetzt. Die Kirchenglocken gaben das Alarmsignal. Die Städter wurden aus friedlicher Nachtruhe aufgeschreckt. Allgemeine Bestürzung herrschte: war doch der unerbittliche Korsar im Anzug! Die Männer versammelten sich in Eile auf der Piazza, sonst der Stätte gemütlicher Plauderei zum Austausch der Neuigkeiteu, und der Rath tagte im Municipalgebäude bei flackerndem Kerzenschein. Die Weiber wehklagten und jammerten, und Vorsichtige waren bereits auf’s Fortschaffen ihrer Kinder und der Habe bedacht. Die Zeit drängte, denn jeden Augenblick konnte sich das Unwetter über den Häuptern der Armen entladen, und schnell mußte ein Entschluß gefaßt werden. Rath und Bürgerschaft sahen ein, daß zum Retten ihres Eigenthums wahrscheinlich nicht mehr genügend Zeit sein würde. Und sollte man die Früchte sauren Schweißes und langjähriger Arbeit ohne Weiteres preisgeben, um nur das nackte Leben und die Freiheit zu retten? Dies widerstrebte den wackeren Männern um so mehr, als sie an ihre Angehörigen und deren Zukunft dachten. Nichts würden die Seeräuber schonen und lieber vernichten, was sie nicht fortschleppen könnten; eine rauchgeschwärzte Brandstätte aus der Heimath machen. Man beschloß also, sich zu vertheidigen, so gut es ging, wozu besonders der vom Commandanten der Burg gesandte Bote in dessen Auftrag dringend gerathen hatte. Wohl war die Stadt ummauert doch gerade nach der Seeseite zu die Ringmauer arg vernachlässigt; wohl schützte die Burg den westlichen Stadtteil, doch immerhin blieb das Unternehmen gegenüber einer größeren Macht ein verzweifeltes.

Einmal der Entschluß gefaßt, ging es schnell an die Ausführung desselben. Weiber, Kinder und Greise begaben sich auf die Flucht, theils in’s Innere der Insel, theils auf die Burg, deren Thore sich den Hülflosen öffneten. Ein langer Zug von Flüchtenden, die mühsam ihre kostbarste Habe fortschleppten, bewegte sich nach der Höhe. Die wehrhaften Männer indeß bewaffneten sich, um sich alsbald an der Seeseite zu sammeln und dem Feinde mit dem Muthe der Verzweiflung entgegenzutreten, willig sich den in Eile erkorenen Führern unterordnend.

Der letzte Hoffnungsschimmer, daß vielleicht das Unwetter vorüberziehen möchte, verschwand, als bald nach Tagesanbruch im Süden die Segel der Barbaresken auftauchten, direct in die Bai auf St. Antioco lossteuernd. Lauter wurde das Wehklagen der Flüchtenden, welche sich nun alle nach der Landseite begaben; die Thore der Burg schlossen sich und wurden verrammelt. Die Vertheidiger der Stadt unter Oberleitung des Podestà hatten sich kaum auf ihre Posten verfügt, als schon zu ihrem Schrecken mit acht Schlffen, die Piraten in nächster Nähe vor Anker gingen. Noch immer drängten sich in den Gassen die Fliehenden, deren viele erst spät zur Flucht bereit geworden waren. Mit finsterem Ernste und zum Aeußersten entschlossen harrten die Männer des Angriffs der wüsten Schaar, welche sich nun tobend auf ihre friedliche Insel ergoß; konnten sie doch das Ausschiffen derselben nicht verhindern und mußten sich bei ihrer geringen Zahl dem übermächtigen Feinde gegenüber auf die Defensive hinter der Mauer beschränken. Ihr Loos schien im Voraus entschieden, doch furchtlos sahen sie dem Tode entgegen.

In ungeregelten Haufen sammelten sich einige hundert Schritte

westlich von Burg und Stadt die Mauren. Mustapha Raïs war noch an Bord geblieben. Vom Admiralschiffe aus beobachtete er im Kreise seiner Officiere die Situation und glaubte, den Widerstand leicht besiegen zu können. Die Reihen der Vertheidiger beobachtend, lächelte er höhnisch im Hinblick auf ihre geringe Anzahl und den schlechten Zustand der Stadtmauer. Auch die Burg schien ihm kein ernstliches Hinderniß zu sein, im Gegentheil, ein leicht zu überwindendes Object des Angriffs: wohl hatte er schon während der Fahrt den Zug der Flüchtlinge dorthin bemerkt. Doch hielt er einen Versuch, sich ohne Verluste durch List und Treulosigkeit der Stadt und Burg zu bemächtigen für angebracht und sandte demgemäß Befehle an die unter Sidi Abdallah’s Führung gelandeten Trnppen. Alsbald trennten sich zehn Mann von denselben und schlugen, mit grünen Zweigen in der Hand als Zeichen friedlicher Botschaft, die Richtung auf die Burg und Stadt ein. Dort, wo der Bergabhang bis nahe an’s Meer herantritt, theilten sie sich; vier der Parlamentaire gingen auf die Stadtmauer zu, die Uebrigen klimmten den Berg hinan. Erstere waren bis auf 200 Schritte der Mauer nahe gekommen, als ein über sie hingefeuerter Schuß sie zum Stillstehen bewog. Doch erschien von der Stadtseite nicht der erwartete Unterhändler. Von Neuem avancirten sie. Von Neuem ertönten Schüsse und über der Mauer legten die Vertheidiger auf die Tunesen an. So zogen sich diese resultatlos zurück. Nicht besser ging es den sechs Andern. Zwei oder drei derselben hatten sich zu keck der Burg genähert, schweiften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_431.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2017)