Seite:Die Gartenlaube (1884) 466.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

gewinnen könnte.“ Und die schöne Schneckentreppe im Schloßhofe hatte Friedrich dem Großen so sehr gefallen, daß er bei ihrem Anblick ausgerufen haben soll: „Könnte ich sie in die Tasche stecken, so würde ich sie mitnehmen.“

Um die Zeit, aus welcher unsere heutige Zeichnung des Schlosses und der Stadt stammt, feierte hier Peter der Große die Vermählung seines Sohnes Alexius mit der braunschweigischen Prinzessin Charlotte Christiane Sophie und hielt eine lange Unterredung mit Leibnitz über die Mittel und Wege, wie Kunst und Wissenschaft in Rußland eingeführt werden könnten.

Bei solchen Anlässen füllte sich wohl die Stadt mit Fremden und auch die Bürger wurden im Harnisch entboten, um die hohen Gäste einzuholen.

Aber namentlich in der Reformationszeit waren die Augen aller Deutschen auf Torgau gerichtet. War ja doch „Wittenberg die Mutter und Torgau die Amme der Reformation“. Hier auf dem Schlosse Hartenfels erhob sich auch die erste protestantische Kirche, in der Luther predigte. Hier war es, wo im Jahre 1526 zwischen den Hessen und Sachsen der „Torgauer Bund“ gegen die katholischen Reichsstände geschlossen wurde, wo 1530 Luther und seine Freunde die „Torgauer Artikel“ verfaßten und wo reichlich vier Jahrzehnte später das „Torgauische Buch“ veröffentlicht wurde, aus welchem dann nach einer Umarbeitung das sogenannte Bergische Buch oder die Concordienformel entstand. Und als der Kurfürst mit seinen Theologen zum Reichstag nach Augsburg zog, da bildeten die gewappneten Torgauer den Schluß seines Gefolges. Die späteren unruhigen Zeitläufte zwangen die Bürger oft genug, die Waffen zu tragen, und noch im 17. und 18. Jahrhundert mußten Stadt und Burg gegen allerlei Angriffe gerüstet sein. Darum enthält auch das im Jahre 1719 neu revidirte Statut der Stadt die Bestimmung:

„Ein jeder Bürger soll mit Harnisch und andern Wehren jederzeit zu Tag und Nacht gerüst und bereit seyn, daß auf jedern Nothfall kein Mangel zu spüren.“

Als später die Gefahren für die Stadt aufhörten, da mochten sich die Einwohner von den alten Rüstungen nicht trennen, und was früher Nothwendigkeit gewesen war, das wurde jetzt als Andenken an vergangene Zeiten beibehalten. So erben noch heute Harnisch und Waffen vom Vater auf den Sohn fort, und alle zwei Jahre zieht die „Torgauer Bürger-Pikenier-Compagnie“ – so lautet der officielle Name der Geharnischten – auf den Anger hinaus, wo seit undenklichen Zeiten das Schützenfest abgehalten wird.

Schon Wochen vorher beginnen die Uebungen. Der Schemel des Handwerkers und der Comptoirsessel des Geschäftsmannes werden mit dem Sattel vertauscht; Schmied und Schlosser müssen den schweren Panzer, den etwa veränderten Formen seines Trägers entsprechend, neu zurechtbiegen. Wenn aber die Woche nach dem Pfingstfeste erschienen ist und mit ihr der Tag des Auszugs, dann erhebt sich auf dem Anger, der Stätte des Festes, eine schnell gebaute Stadt von Zelten und kleinen, burgartig zugerichteten Häusern – neben den Schank-, Tanz- und Geschäftszelten auch viele Privatzelte der ausziehenden Bürger. Dem patriarchalischen Charakter des Festes entspricht es, wenn am Tage des Auszuges vom grauenden Morgen an bis zum Beginne des Ausrückens die Mitglieder der Compagnien bei ihren Officieren sowie bei dem Bürgermeister der Stadt Posten stehen; ja selbst der militärische Posten vor dem königlichen Commandanturgebäude wird während dieser Stunden von einem uniformirten Bürger abgelöst.

Vormittags zehn Uhr beginnt der Ausmarsch. Nicht Alle sind geharnischt; die Geharnischten aber ziehen voran, und zwar theils zu Pferde, theils zu Fuß. Der Harnisch mit Arm- und Beinschienen deckt den Körper, eiserne Handschuhe und der Helm mit Visir vervollständigen die Rüstung; Piken, Schwerter und Schilde bilden die Bewaffnung. Streitkolbenträger decken die Standarte der Berittenen, Morgensternträger begleiten die Fahne der Fußgänger. Diesen Ausmarsch stellt eine unserer Zeichnungen dar. Stimmungsvoll paßt das Bild mit den stattlichen Geharnischten in den Rahmen der den Marktplatz umsäumenden hochgiebeligen alten Häuser, hell glänzen die Rüstungen in den funkelnden Strahlen der Frühjahrssonne, und lustig spielt der Wind mit den zerfetzten Fahnen und den wehenden Helmzierden. Nach Ankunft auf dem Anger wird von den versammelten Civil- und Militärbehörden die große Parade abgehalten, commandirt von dem Hauptmann der Geharnischten, und nun beginnt das dreitägige Volksfest mit aller üblichen Unterhaltung und Kurzweil. Am Sonntage darauf erfolgt der feierliche Einmarsch, der das Fest beendet, worauf die bewaffnete Schaar zu ihrer bürgerlichen Beschäftigung zurückkehrt.


Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit.0 Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
11.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Januar 1776. Es hat eine schwere Zeit auf unserm Hause gelastet. Vater war düsterer und bitterer als jemals vorher; nach dem unglücklichen Ballabend ist er tagelang nicht aus seinem Zimmer gegangen. Tante Barbara mußte ihm das Essen in die Vorstube setzen, und zum Dienst meldete er sich krank. Als dann gegen Weihnachten mein Bruder sich mit dem Vetter Wrangel ansagte, und beide junge Männer aus ihrer kursächsischen Garnison herüber kamen, konnte er nicht wohl umhin, wieder am Familientische zu erscheinen, er that’s und ich glaube, er ist seitdem weniger finster.

Gustchen war viel bei uns und vergnügte sich mit den beiden Officieren, die sie auch hinaus zu locken wußte: damit sie ein paar willfährige Tänzer mehr habe, wie sie mit kecker Zuversicht eingestand.

Ich bin so recht versunken, ohne Saft und Kraft, und viel gescholten. Alle zerren und necken an mir, ich aber kann’s nicht ändern, ich muß still im Schatten weiter träumen. Sie halten mich aber doch für abwesender, als ich bin. Dicht daneben saß ich, als Erich Wrangel zu meinem Bruder sagte:

„Es gefällt mir gerade an ihr, daß sie so rührend einfältig ist, wie ein junges, weißes Täubchen, dem man den Hals umdreht, ohne daß es Arges merkt.“

Mein Bruder lachte und vertheidigte mich; es war mir aber zu gleichgültig, um darauf zu achten. Ja, für ihre Sprache bin ich einfältig, und von der meinen wissen sie nichts; die versteht nur Er, mein hoher, erhabener Dichter. Daß er fort ist aus meiner Nähe, daß ich ihn nicht sehe, nicht höre, das ist’s was mich lahm, träumend und einfältig macht! Er zog in die Belvedere-Allee, und so ist meine Sonne untergegangen.

Im Februar. Gustchen muß doch die Heirath nicht wollen; neulich zuckte sie die Achseln, als von ihm die Rede war, und sagte: „Er wird langweilig!“ – Er! Das ist zum Lachen. Er langweilig; lieber Himmel, ich glaube, Auguste verliert den Verstand! Sie machte sich auch viel mit dem Vetter zu schaffen, und als sie hörte, daß er ein großes Majorat zu erwarten habe, sagte sie:

„Schatz, sei brav und tritt ihn mir ab, ich sehe, sie wollen ihn mit Dir zusammen thun, aber Gräfin, reiche Gräfin sein, paßt besser für mich als für Dich; Du träumst ja doch Dein Leben hin!“

Ich entgegnete ihr, daß sie meinetwegen alle Grafen der Welt heirathen könne, daß ich aber weder für mich noch für sie über den Vetter Erich verfüge.

„Bist Du doch vielleicht in den hübschen, blonden Jungen verliebt?“ fragte sie lauernd; aber ihr prüfender Blick fand mich kalt wie Eis. Nun sind die Beiden längst fort, und Auguste kommt seltener.

Am 14. Februar. Heute ist hier im Hause etwas Wunderbares geschehen. Das Hoffräulein der Frau Herzogin-Mutter ist hier gewesen und hat es erreicht, mit Vater zu sprechen. Er hörte höflich zu, und ich weiß doch, daß er innerlich gegen die Göchhausen gewüthet hat. Die kleine Dame fing es sehr geschickt an, ihn zu versöhnen. Nachdem sie viel Artiges von der Herzogin ausgerichtet, sprach sie so gütig über mich, daß ich ganz beschämt wurde. Endlich kam sie auf den unglücklichen Ballabend, an welchem ich vorgestellt wurde, und mit voller Unbefangenheit sagte sie:

„Wenn der Herr Oberst seine Husaren dem Landesherrn in der Manege vorführt, so denke ich, sie müssen etwas reiten können?“

„Den Stock auf die Kerls, wenn sie’s nicht können,“ brummte mein Vater.

„Ebenso erwartet die Frau Herzogin, daß ein junges Fräulein, welches ihr auf einem Balle vorgeführt wird, etwas tanzen kann.“

„Ah, war es das?“ fragte er aufathmend.

Sie wurden nun sehr bald einig, daß ich bei dem Hoftanzmeister Unterricht haben müsse. Fräulein von Göchhausen empfahl sich; sie reichte meinem Vater die Hand zum Kuß hinauf, und er neigte wirklich seinen grauen Schnurrbart darüber. Hätte das nie gedacht! Tante Barbara lächelte mich selig an; es war, als hätte uns das kleine Fräulein die liebe Sonne im Pompadour in’s Haus getragen. Und ich? O, wie bin ich glücklich, daß ich nun doch zu ihm, in den Kreis, in dem er Leitstern und Herrscher ist, eintreten darf!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_466.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)