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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Am 16. Februar. Der Hoftanzmeister Adam Aulhorn ist hier gewesen. Welch ein redseliges, behendes Männlein! Er wäre mir zuwider, wenn er mir nicht zu so Großem verhelfen sollte. Wie verlegen und linkisch fühlte ich mich, als er mich ein paar Versuche machen ließ! Er aber sagte, ich sei biegsam wie ein Schilfrohr, das im Winde schaukelt, und zierlich, wie eine Libelle, die über den Wellen dahin schwebt. Vater schien zu lächeln, und die gute Barbara schlug außer sich vor Freude in die Hände.

Am 17. Februar. Nun ist’s aus; nun ist alles aus! Wie ein Aschenregen sinkt düstere Trauer über das Leben; kein Mund darf mehr lächeln, kein Herz mehr freudig klopfen; wenn die Sonne scheint, ist’s ein Irrthum. Der Edelste, Herrlichste, den Gott in diese Zeit gestellt hat, er ist dem Verderben verfallen! Ja so ist es, es kann nicht anders sein! Dies kann Gustchen nicht gelogen haben, sie hat es mir, von seiner Hand geschrieben, gezeigt. Er hat alles in ahnender Seele voraus gewußt, im Werther geschildert; jetzt wird sein prophetisch Vorempfinden zur schrecklichen Wahrheit an ihm selbst! O, könnte ich mich in seinen Weg werfen, könnte ich ihn anflehen umzukehren, oder könnte ich ein Sühnopfer für ihn sein!

Auguste hat mir ein Abenteuer mit ihm auf der Maskerade erzählt. Goethe machte ihr eine glühende Liebeserklärung, aber er hielt sie für eine Andere, für – die Frau des Oberstallmeisters, die er anbetet. O, mir ahnte das längst! Ich schrie auf, als Auguste dies Schreckliche aussprach. Es ward dunkel vor meinen Augen, ich sank im Stuhl zurück. Auguste beachtete das nicht, sie plauderte weiter; lange Zeit hörte ich nichts von dem, was sie sagte, endlich konnte ich wieder begreifen. Sie berichtete, wie sie den Abtrünnigen schlecht behandle, wie sie Nichts von ihm wissen wolle; daß jetzt der gewandte Kammerherr Siegmund von Seckendorf ihr huldige, ihr nicht ganz gleichgültig sei, daß sie aber sehen wolle, welche Position er am Hof finde, ehe sie ihm Hoffnung auf ihre Hand gebe.

Endlich stammelte ich: ob sie mir das Papier zeigen könne, auf dem seine Liebeserklärung für die Andere stehe. Sie zog es sogleich hervor.

„Das führe ich als Waffe gegen ihn bei mir!“ sagte sie schadenfroh. „Damit will ich ihm noch oft die Hölle heiß machen.“

„Gieb!“ bat ich.

Sie reichte es mir; ich raffte mich mit ganzer Kraft zusammen; ich las und versuchte zu begreifen. Ja, er beschrieb seine Gluth, seine Zärtlichkeit. Gustchen lachte höhnisch; sie wagte es, über ihn zu lachen! Das sollte sie nicht! Verzweiflung erfaßte mich, ich mußte ihn vor dem Hohn dieses Mädchens schützen – und zerriß, ehe sie es hindern konnte, das Papier in kleine Fetzen. Gustchen schrie gellend auf und überhäufte mich mit Vorwürfen.


12.

Acht Jahre lagen zwischen der Zeit, da Goethe, ein unreifer Jüngling, krank und muthlos seine Studien in Leipzig beschloß und zu seiner Wiederherstellung in das elterliche Haus nach Frankfurt heimgekehrt war. Unter den zahlreichen Erinnerungen an Leipziger Bekanntschaften blieb auch ein anmuthiges Mädchenbild in seinem Gedächtniß bewahrt. Damals war die von ihm in anonymen Gedichten Gefeierte kaum dem Kindesalter entwachsen, aber als Künstlerin bereits angestaunt und angebetet. Jetzt war sie aus der holden Knospe zur voll entwickelten Blüthe, aus der viel versprechenden Anfängerin zur Meisterin in der Kunst des Gesanges emporgewachsen.

In den oberen Räumen des stillen, von weitem Park umgebenen Häuschens, welches der Leipziger Kunstgärtner Probst verwaltete, hatte sie damals ihr zurückgezogenes Heim aufgeschlagen. Schon nahte der Frühling, aber düster schauten noch die kahlen Bäume des Gartens in die Fenster hinein.

Die Sängerin saß am Clavier, sie hielt die Stirn mit der Hand bedeckt und war in Träumerei versunken. Endlich fanden sich ihre Finger auf den Tasten, leise irrten sie darüber hin, bildeten eine sanfte, traurige Melodie und gingen dann in ein Gebet aus Hasse’s Oratorium „Elena al Calvario“ über. Jetzt begann sie auch zu singen, und mit immer größerer Macht und Innigkeit klang ein Flehen um Erlösung aus den Banden schweren Leids von den jungen schönen Lippen.

Während dieses ergreifenden Liedes öffnete sich leise die Stubenthür und ein rundes Mädchengesicht, von blondem Haar umrahmt, schaute mit freundlichem Ausdruck herein. Als die Sängerin geendet hatte, eilte die Lauscherin auf ihre Freundin zu. Es war Wilhelmine Probst, die Tochter des Kunstgärtners.

„Reichardt war ja nur kurze Zeit bei Dir,“ sagte sie neugierig, „er rannte unten im Flur wie toll an mir vorbei, habt Ihr Euch gezankt?“

„Es ist die alte Geschichte, Mienchen, er bat um Liebe, der arme Junge.“

„O Himmel, also doch! Wie bin ich froh, kein Mann zu sein und Dich also innig lieben zu dürfen, so viel ich mag!“ rief das dicke kleine Mädchen, die hohe Gestalt der Freundin umfassend.

„Ja freilich,“ lächelte Corona und küßte sie auf die Stirn, „wärst Du ein Jüngling, müßte ich Dich von mir entfernen.“

„Wie alle,“ seufzte die Kleine. „Arme Corona, gebunden und doch frei; schmerzlich gefesselt an einen Entsetzlichen und doch mit sehnendem Herzen allein gelassen!“

„Sei still, Mienchen, Du weißt, es schmerzt mich, daran erinnert zu werden; wir dürfen nicht davon sprechen,“ bat die Sängerin mit einem tiefen Seufzer.

In diesem Augenblicke hörten die Mädchen Schritte auf der Treppe, denen ein starkes Anpochen an die Thür folgte. Gleich darauf öffnete sich dieselbe und ein großer, schöner Mann erschien auf der Schwelle. Sein dunkles Auge durchflog den Raum, aber der Blick haftete, während er sprach, über den Köpfen der erstaunten Mädchen im Leeren.

„Bist Du die Sängerin Corona Schröter?“ fragte er.

„Ich bin’s!“ entgegnete diese dem Unbekannten, der sie duzte, erstaunt einen Schritt entgegen tretend. „Was wollen Sie?“

Der Mann zog langsam eine schwarze Sammetschleife aus seinem Busen und sagte:

„Du weißt, von wem ich komme, entferne Deine Gefährtin, damit ich Dir die Worte unseres Meisters überbringe.“

Corona war erbleichend zurückgetreten.

„Wilhelmine – geh!“ stammelte sie bittend.

„Wieder von ihm? Muth, Corona!“ flüsterte die kleine Freundin und verließ das Zimmer.

„Was befiehlt er mir?“ fragte jetzt die Sängerin bebend und legte die Hände auf ihre Brust.

„Er läßt Dir sagen, daß eine Forderung an Dich ergehen wird, Leipzig zu verlassen, daß er Dir befiehlt, jener Forderung zu folgen.“

„Ich soll Leipzig verlassen! Wohin soll ich gehen?“

„Das wirst Du zur rechten Zeit erfahren; mir liegt nur ob, Dir seinen Befehl auszurichten, Dir, demselben zu gehorchen.“

„Ist er hier? – Da er Sie schickt, wird er also nicht selbst zu mir kommen?“

„Wir haben nichts zu fragen, nichts zu antworten; Gehorsam ist unsere einzige Pflicht!“

Nach diesen Worten entfernte sich der Unbekannte und ließ Corona in einem Taumel von Bestürzung und Neugier zurück. Stärker denn je fühlte sie sich unter dem Druck eines fremden, sie gänzlich unterjochenden Willens.

Der Unbekannte hatte mit starken Schritten das Haus verlassen; er verfolgte eine den Garten kreuzende Allee und erreichte einen an der Gartenmauer sich hinziehenden Gang. Als er sich in demselben umsah, kam ein großer hagerer Mann auf ihn zu. Schwer konnte man sagen, ob der Fremde alt oder jung sei. Er trug schwarzen Sammet, die feinsten Brüsseler Spitzen und bot in seiner vornehmen, ernsten Erscheinung das Bild eines Hofmannes.

„Hast Du Corona gesehen?“ fragte er den herankommenden Jüngeren.

„Ja, Herr Graf.“

„Und willfährig gefunden?“

„Durchaus. Ich staune Deine Macht an, mein hoher Meister. Wie hast Du nur dies stolze Weib gezähmt?“

Nach kurzer Pause entgegnete der Graf: „Herrschaft über Andere erringt nur Der, welcher sich zuerst selbst beherrscht. Aus der Ueberwindung meines sinnlichen Ichs ward ich ihr Herr. Aber ich werde Dir noch bessere Beweise meiner Kraft geben. Deinem völligen Gehorsam sollen sich nach und nach beseligende Geheimnisse erschließen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_467.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)