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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Sie verließen in lebhaftem Gespräche mit einander den Garten. – –

Etwa zu derselben Morgenzeit, in der gestern der junge Componist Reichardt zu der Angebeteten gesprungen war, schritt heute Goethe’s elastische Gestalt durch die Kieswege des Ziergartens auf das Gärtnerhaus zu. Vielleicht war eine ähnliche Ungeduld in ihm, wie gestern in dem liebesehnenden Musiker.

Corona trat ihm in ihrer edlen Schönheit imponirend entgegen – und empfing denselben Eindruck von seiner Persönlichkeit. Als er seinen Namen nannte – flog ein warmes Roth über ihre bewegten Züge, und sie streckte ihm erfreut wie einem alten Bekannten beide Hände entgegen.

„So bin ich also nicht ganz vergessen?“ fragte er mit leuchtendem Blicke.

„Sie haben dafür gesorgt, daß man Sie nicht vergessen konnte, Sie herzerschütternder Poet! Wie haben Sie meine ganze Seele mit Ihrem Werther erfaßt! Und wie deutlich ist mir dabei das Bild des schlanken Studenten wieder lebendig geworden!“

Sie fragte, was ihn her führe, und er richtete ihr den Auftrag des Herzogs und Anna Amaliens aus, die, sich nach einer echten Künstlerin sehnend, beschlossen hätten, sie unter vortheilhaften Bedingungen für Concerte und Komödien nach Weimar zu berufen.

Corona wechselte, während er sprach, in großer innerer Bewegung die Farbe. So hatte also doch ihr geheimnißvoller Gebieter vierundzwanzig Stunden früher gewußt, was ihr bereitet wurde! Sie erfuhr, daß Goethe gestern Abend angekommen sei; sie bat ihn, sich zu besinnen, wann und wo er von seinem Vorhaben gesprochen habe. Er versicherte, dasselbe sei zwischen den Herrschaften und ihm ein Geheimniß geblieben, und fügte lachend hinzu, um ihren sichtlichen Ernst, der ihn seltsam berührte, zu zerstreuen:

„Soll man Dich nicht auf’s Schmählichste berauben,
Verbirg Dein Gold, Dein Weggehn, Deinen Glauben!“

Er gedachte nicht eines Briefes an Lavater, dem er vor mehreren Wochen – entzückt von des Herzogs Absicht – geschrieben hatte, daß man die holde Künstlerin, welche er einst schwärmerisch verehrt, auf seinen Rath nach Weimar berufen wolle.

Ihr Benehmen bei seinem Vorschlage erschien ihm rätselhaft; sie beruhigte aber sein mißmuthiges Erstaunen mit einer unbedingten Zusage. Er ging oft zu ihr, und sie kamen bald überein, daß Corona im Herbste nach Weimar übersiedeln solle.

Als nach langem Geplauder an einem der nächsten Tage Goethe endlich Abschied nehmen mußte, sagte er:

„Ich harre des Herbstes mit Sehnsucht, der mir in Ihnen die Freuden des Frühlings und Sommers bescheeren soll; aber jetzt, da ich scheide, geben Sie mir ein kleines Andenken, ein Pfand, holde Freundin – welches mir Ihr Kommen verbürgt. Schenken Sie mir die Sammetschleife, die Sie stets während dieser beglückenden Zeit unseres Wiedersehens getragen haben. Dieser Schmuck gefällt mir ohnehin nicht an Ihnen; er scheint mir ein Fleck auf Ihrem reinen Bilde.“

Er streckte die Hand nach der erbetenen Gabe aus, die ihm unbedeutend und nur in seinem Sinne werthvoll erschien.

Die Künstlerin aber erblaßte, trat zurück und legte die Rechte schützend über ihre schwarze Schleife. Mit bebender Stimme entgegnete sie:

„Fordern Sie nicht dies Band, ich kann es Ihnen nicht geben! Eine fremde Hand darf es nie – niemals berühren!“


13.

Eine frisch gestärkte weiße Zipfelmütze über dem röthlichen, alten Gesichte, sorglich in ein weißwollenes Negligé verpackt, die Hände resignirt über seinem Bäuchlein auf der Bettdecke gefaltet, so lag der Oberkämmerer von Göchhausen seit dem entsetzenbringenden Maskeradenabend in seinem weißumhängten Bette, der schweren Folgen für seine Gesundheit harrend, die da kommen sollten, aber nicht kamen.

Der Herzog hatte gleich am andern Tage den Oberhofmarschall von Witzleben zu Göchhausen geschickt, um sein Bedauern über ein unglückliches Mißverständniß ausdrücken zu lassen, dessen Opfer er geworden sei. Dann sandte er ihm seinen Leibarzt Doctor Friedrich Hufeland, der nach einer Untersuchung seines Zustandes unumwunden erklärte: Herr von Göchhausen sei durchaus gesund, er möge ruhig zu seinen früheren Lebensgewohnheiten zurückkehren. Vier Wochen im Bett sich auszuruhen und mögliche schlimme Folgen abzuwarten, schien dem alterirten Gemüthe des Scheinpatienten sicherer, und so lag er seitdem gottergeben da. Jeden Morgen kam der Kammerherr von Seckendorf, um nach seinem Befinden zu sehen und Serenissimus Bericht abzustatten. Auch Graf Görtz kam oft, und so machte sich’s bald, daß ein kleiner Kreis von Gesinnungsgenossen vor dem Krankenlager des höchst gesunden alten Herrn sich zusammen fand. Es gab längst im Stillen eine Verbindung Solcher, die dem wilden Genietreiben am Hofe abhold waren, die dem zurückhaltenden Benehmen der jungen Herzogin lebhaft zustimmten und schon das Wesen der Herzogin-Mutter zu zwanglos schalten.

Graf Görtz hatte früher vergeblich versucht, der Mutter den ihr so ähnlichen Sohn zu entfremden, ihn in andere Bahnen zu lenken, ihm die Exklusivität seiner Lebensstellung recht an’s Herz zu legen. Karl August dürstete aber vor allen Dingen danach recht mit ganzer Kraft und Seele Mensch zu sein, und hierauf den Stand des Fürsten als seinen eingeborenen Beruf treu auszufüllen. Daß er nicht Mensch mit andern sein, daß er die Liebe nicht begehren, sich der Freundschaft nicht in die Arme werfen, Jugendlust nicht genießen sollte, wie Andere auch, das vermochte der Erzieher ihm mit aller Mühe nicht beizubringen.

Im großen Uhrwerke des menschlichen Verkehrs finden die hemmenden Gewichte immer ihren Platz! Bald gründete Görtz eine Partei. Es gelang ihm sogar, leise Zeichen der Zustimmung von den geachtetsten Männern der Stadt, dem Minister von Fritsch und dem Oberhofmarschall von Witzleben, zu erlangen.

Seckendorf war anfänglich als Eindringling vermieden, man hatte erwartet, er werde als Literat und Componist den Genies und ihrem Treiben in die Arme werfen. Dem war aber nicht so. Er hatte mit Vorsicht alle äußeren Punkte seiner Stellung geordnet und zeigte sich jetzt als ein Hofmann von feiner Form und kühler Zurückhaltung.

Luise von Göchhausen war am Morgen nach der Maskerade zu ihrem Oheim geeilt, um in wirklicher Besorgniß nach ihm zu sehen. Rohrmann und Ursula empfingen sie mit rücksichtslosem Zorne. Sie wollten ihr den Weg in’s Allerheiligste des leidenden Gebieters versperren, aber Luise, unerschrocken wie immer, drang durch und versuchte, wenigstens den Alten von ihrer Unschuld zu überzeugen. Da sie dies Bemühen mit zähem Eifer fortsetzte, tagte es endlich in dem Begriffsvermögen des Oberkämmerers, und er fing an, sie gnädigst alle Tage ein Stündchen auf dem Stuhle vor seinem Bette zu dulden.

Trafen sich die mißvergnügten Hofherren bei Göchhausen, den sie seit jenem Abenteuer innerlich zu den Ihren zählten, so waren sie sämmtlich zu loyale Vasallen der Krone, um an das gesalbte Haupt selbst zu rühren. Längst hatten sie sich ein willkommenes Object ihres Zorns in Goethe ausersehen, von dem alle begangenen Tollheiten, alles wilde, tadelnswerthe Genietreiben ausgehen sollte. Graf Görtz besonders war es, der nicht aufhören konnte, auf diesen „Verderben des allergnädigsten Herrn“ hinzuweisen.

„Dieser Mensch,“ sagte er eines Tages, als er mit Seckendorf bei dem Patienten zusammentraf, „der in seinem Götz den Aufruhr gepriesen, im Werther den Selbstmord vertheidigt und jetzt sich sogar mit dem alten Magister Faust beschäftigen soll, welcher im Bündniß mit dem Teufel stand – dieser frivole Scribent vergiftet mit seinen laxen Grundsätzen das jugendliche Gemüth unseres allergnädigsten Herrn.“

„Es ist nicht zu verkennen,“ nahm Seckendorf das Wort, „daß die wunderlichsten Dinge hier durch den Gebrauch sanctionirt werden. Ich habe sehr bald gesehen, daß meine rothen Absätze und meine Hofmanieren hier Contrebande sind. Hetzpeitschen, Reitstiefel und polnische Schnürenröcke, wallendes Haar und die sogenannte Werthermontirung, das sind die Requisiten zu der Farce, die dieser Günstling uns nach seinem Sinne aufführen läßt!“

„Ja, er und wieder er!“ rief der Hofmarschall in rücksichtsloser Bitterkeit. „Wie werden wir ihn los, diesen Stein des Anstoßes?“

Hier wurden die drei Männer durch ein leises Kichern in ihrer Nähe erschreckt. Sie blickten zur Seite und sahen Luise

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_468.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2024)