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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 29.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Herrin von Arholt.
Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Heinrich Melber, Graveur,“ lautete die Karte an der Thür der zornigen Alten. Melber – der Name kam Raban nicht ganz fremd vor. Wo nur hatte er ihn früher gehört – ach ja, während er die vier Treppen jetzt wieder niederstieg, besann er sich – sein Vater hatte ihm den Namen genannt – aber nicht Heinrich, sondern Wolfgang Melber war der Name eines Bildhauers, den er hatte besuchen sollen.

Raban hatte bisher nicht daran gedacht, den Wunsch seines Vaters zu erfüllen. Die Ateliers der Bildhauer waren nicht leicht zu finden, viele lagen weit hinaus, hinter dem Belvedere. Jetzt, wo ihn die Hoffnung erfüllte, zwischen „Heinrich Melber, Graveur“ und „Wolfgang Melber, Bildhauer“ einen Verbindungsfaden zu finden, der ihn seinem Geheimniß näher bringen konnte, beschloß er, gleich am folgenden Morgen die Kunstwerkstätte des Bildhauers aufzusuchen.

Das große dickleibige Adreßbuch zeigte ihm die Wohnung desselben weit ab von der Währingerstraße, weit ab im dritten Bezirk, hinter dem Stadtpark, in der Landstraße. Nur mit Hülfe eines Fiakers fand Raban sie am folgenden Tage, in der Vormittagsstunde.

Als er dort eingetreten war, sah er in einem großen staubigen Vorraum ein Paar Arbeiter mit dem Aushauen eines ziemlich schablonenhaft entworfenen Grabdenkmals beschäftigt – die Kunst schien hier nach Brod zu gehen und statt der Götter-Ideale, die nicht gewünscht wurden, Gestalten zu schaffen, die man bestellte und bezahlte. In dem zweiten Raum, in den man ihn wies, fand Raban zwei Männer, einen größeren, hübschen, braungelockten Menschen, der an einer noch sehr ungefügen Thonmasse, aus der sich ein Faun schien gestalten zu sollen, herumknetete, und einen kleineren, älteren, der ein großes Medaillon, ein männliches Portrait in Relief, überarbeitete. Jener empfing Raban als Wolfgang Melber und hörte die Worte, womit er sich als Fremder einführte, der sich in den Kunstateliers umsehen zu dürfen wünsche, mit einer gewissen verlegenen Zerstreutheit an, mit unsteten Blicken Raban fixirend.

„Uns wird selten die Ehre zu Theil – meinem Freunde Rosbacher und mir – Fremde hier in unserer Werkstatt zu sehen,“ sagte er, „wir haben zusammen das Atelier – es giebt eben nicht viel darin zu schauen – aber, bitte, sehen Sie sich die Gypse an – unsereins bringt’s selten weiter als zu Gypsen – und wenn Sie das interessiren kann, die Skizzen hier auf den Börten.“

Damit deutete er, wie unruhig bewegt sich hin- und herwendend, auf die ausgestellten Sachen, Raban’s Kunsturtheil war kein sehr ausgebildetes; er hatte jedoch bald die Empfindung, daß in den in Gyps ausgegossenen Gestalten, welche der junge Künstler geschaffen, sich eine große und reiche, aber gewaltsam nach dem Ungewöhnlichen, Frappirenden, Absonderlichen ringende Phantasie zeigte, welche sich dabei oft über die Grenzen der Plastik hinaus verirrte und vortrefflich mit der flüchtigen und oberflächlichen Behandlung des Einzelnen vertrug. Die Skizzen, zahlreiche in Thon gebrannte Figuren und Figürchen, welche ziemlich bestäubt sich auf Holzborten an den Wänden drängten, waren deshalb das Interessantere, was Raban sah; hier traten die Fehler der Zeichnung, das Disharmonische in dem Zusammenspiel der Linien weniger hervor, der Reichthum der schaffenden Phantasie des Künstlers an Motiven und Ideen aber desto vortheilhafter.

Als tactvoller Atelierbesucher hütete sich Raban, andere als vortheilhafte Eindrücke laut werden zu lassen – Wolfgang Melber nahm diese Aeußerungen wie mit einer gewissen Ironie auf, wie eine gewisse Verachtung für sein eigenes Schaffen verrathend, die Raban nicht gerade überraschte – in übertriebener Bescheidenheit das Eigne gering zu schätzen, war ihm als allgemeiner Charakterzug der Wiener aufgefallen. Aber Wolfgang Melber in seiner zerstreuten unsteten Weise schien etwas Spöttisches in die Antworten zu legen, welche er dem Laien auf dessen Bemerkungen gab – es war ein Durchklingen einer gewissen sich überhebenden Selbstgefälligkeit dabei, die von der an den Tag gelegten Bescheidenheit wunderlich abstach.

„Ich denke, Sie haben an dem Zeug nun genug,“ sagte er, „es ist ja Alles nur so improvisirt, wie man sich’s durch den Kopf gehen läßt und so, wie man’s schaut, festhalten möchte – es später gründlich zu verarbeiten und auszutragen – wozu soll das dienen; bestellt wird’s bei einem jungen namenlosen Menschen doch nicht, bis zum Marmor bringt der’s nicht!“

„Es ist ein Unglück für den Bildhauer,“ entgegnete Raban, „daß er zur Ausgestaltung seiner Schöpfungen des Marmors bedarf, zu welchem sich doch nur wenige sehr wohlhabende Menschen aufschwingen können – es müßte ein wohlfeilerer Stoff als Marmor und Bronze zur Wiedergabe plastischer Werke gefunden werden.“

„Freilich – es thäte Noth, so etwas zu erfinden,“ versetzte Wolfgang Melber, indem er einen großen grünen Vorhang lüftete und Raban in einen dadurch abgeschlossenen letzten Raum einzutreten einlud.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_473.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)