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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Französisch, der von Sumatra nach sechsjähriger Dienstzeit zurückgekehrte Unterofficier renommirt mit „malaisch“ oder „javanisch“, und die Commandos oder Instructionen erschallen holländisch. Die Uniform erscheint hier nicht mehr als ein Schmuck; dazu ist sie zu einfach und zu geschmacklos: dunkelblau, fast ohne jegliches Abzeichen. Nur bei den Artilleristen, resp. Cavalleristen, gewahren wir einen rothen Streifen an dem hohen, recht geschmacklosen Käppi, der uns an Uniform erinnert, während die Infanterie-Kleidung zu einem kritischen Vergleich mit den Sträflings-Anzügen des heimathlichen Deutschlands herausfordert.

Auf dem Casernenhofe exercirt ein Trupp Infanterie. „O, wie kläglich!“ rufen wir, durch preußische Straffheit und Schnelligkeit Verwöhnte, bei dem ersten „Gewehrgriff“. Nur Einer scheint in der gesammten Truppe preußisch zu „greifen“. Als wir uns nach dieser auffälligen Ausnahme erkundigen, erfahren wir, daß sie durch einen früheren preußischen Unterofficier repräsentirt wird, und haben selbstredend nun keinen Grund mehr, uns weiter zu wundern. An einer andern Seite des Casernenhofes gewahren wir eine Doppelreihe Colonialsoldaten, im Arbeitsanzug aus dunkelblauer Leinewand, mit „Kartoffelschälen“ beschäftigt.

Die meisten Deutschen – besonders frühere Unterofficiere und Officiere – kommen mit großen Illusionen nach Holland; ein mehrtägiger Aufenthalt in Harderwijk aber dünkt ihnen wie ein eiskaltes, plötzlich auf sie niederrauschendes Sturzbad – so ernüchtert werden sie durch die nackte Wirklichkeit, welche ihre Augen schauen! Selbst vorzügliche Atteste über ihre frühere militärische Thätigkeit haben auch nicht die geringste Bevorzugung vor anderen Geworbenen im Gefolge, denen das Soldatenhandwerk gänzlich neu ist. Freilich zeigt sich bald im Dienste die vorzügliche Schulung und große Ueberlegenheit des früheren deutschen Officiers oder Unterofficiers, und so wird er naturgemäß bald der Liebling seiner Vorgesetzten. Aber den ersten Grad des Avancements kann er doch erst erklimmen, wenn er der holländischen Sprache mit Zunge und Schrift leidlich mächtig geworden und den Commißdienst in seinen Grundzügen erfaßt hat.

So vergehen eine Reihe von Monaten, ehe der frühere Officier zum „Corporal“ (d. i. nach deutschen Begriffen zum „Gefreiten“) befördert wird. Vor Ablauf eines Jahres ist an eine Beförderung zum Sergeanten (Unterofficier) gar nicht zu denken, und ob die Beförderung zum Officier überhaupt je erfolgt, ist sehr fraglich. Vor Ablauf von vier Jahren kann sie bestimmungsmäßig nicht eintreten und auch dann erst nach Absolvirung der erforderlichen Examina. Viele frühere deutsche Officiere, die in der Hoffnung, wieder den Officiersgrad zu erlangen, in der Colonialarmee Dienste nahmen, sind aus Indien, nach Ablauf von sechs Jahren, als Unterofficiere, ruinirt an Körper und Geist, enttäuscht und gebrochen zurückgekehrt. Viele haben Europa nicht wieder gesehen, indem sie dem Fieber oder der Dysenterie zum Opfer fielen oder im Gefecht von den Eingebornen niedergemetzelt wurden.

Möchte darum jeder Deutsche, ehe er den Entschluß faßt, sich den Niederlanden als „Colonialsoldat“ zu verkaufen, stets erst sorgsam erwägen, ob diesem Schritt sich nicht ein anderer vorziehen läßt, der ihm die Gestaltung einer würdigeren Zukunft ermöglicht. Möchte Jeder, dem seine Ehre und sein guter Ruf noch am Herzen liegt, vor diesem Schritt zurückschrecken, der ihn in unbeschreiblich demüthigende Lagen bringt, und nur ausnahmsweise zum Ziel führt.

In der Regel werden von gewissenlosen Agenten die Verhältnisse in der niederländischen Colonialarmee allzu günstig und verlockend geschildert. Mancher Unglückliche läßt sich zum Auswandern verleiten, erfährt aber erst an Ort und Stelle, welchen Mühsalen und Gefahren für Leib und Leben er entgegen geht. Ist er erst in Harderwijk angelangt und nicht im Besitz von genügenden Mitteln, dann sorgt der biedere Werberwirth dafür, daß er der blauen Uniform nicht entgeht, und so wird Mancher zum Colonialsoldaten, der viel lieber auf heimathlichen Boden zurückgekehrt wäre, wenn seine pecuniären Verhältnisse ihm die Freiheit dieses Entschlusses nur gestattet hätten.

Zahlreiche Anfragen, die aus Deutschland an das Harderwijker Werbedepôt fast täglich gerichtet werden, beweisen, daß die Zustände der Colonialarmee bei uns gänzlich unbekannt sind, und über die Art der Aufnahme in derselben häufig gänzlich irrige Ansichten herrschen, deren Richtigstellung zum Nutzen unserer bethörten Landsleute sicher die allgemeinste Verbreitung verdient. L. 


Aerzte und Publicum.

Von Dr. Fr. Dornblüth in Rostock.
I.

Der gute alte Spruch „Krankheiten verhüten ist besser, als curiren“ ist heut zu Tage so sehr in aller Munde, daß er nicht selten sogar mit einer Art mitleidiger Mißachtung gegen diejenigen angewendet wird, die sich damit beschäftigen, Kranke zu curiren. Was brauchen wir noch Aerzte, wenn die Hygiene alle Krankheitsursachen erkennen und aus der Welt schaffen oder wenigstens vermeiden lehrt, und wenn wir außerdem von vielen Aerzten hören, daß die meisten Krankheiten bei richtigem Verhalten von selbst zur Heilung kommen? Was aber zu diesem Zwecke nöthig ist, das lernen wir mit leichter Mühe von einem populären Schriftsteller, der uns sagt, wie wir die gewöhnlichen Krankheiten erkennen und behandeln können, und giebt es einmal etwas Besonderes, so wenden wir uns lieber gleich an einen Sonderarzt, einen sogenannten Specialisten, der doch besser wissen und können muß, was in solchem Falle gut ist, als ein gewöhnlicher Arzt, der sich beständig mit allen möglichen äußeren und inneren Krankheiten, Verletzungen etc. etc. zu befassen hat.

Jeder dieser Sätze enthält eine Unrichtigkeit oder ein falsches Urtheil, und wenn es uns gelingt, bei unsern Lesern einiges davon richtig zu stellen, so mag manche Krankheit dadurch verhütet, sicher aber vielen Kranken Ungemach erspart werden.

Erstens ist nämlich die Hygiene noch lange nicht so weit, alle Krankheitsursachen zu kennen, sondern dies ist erst für eine ganz kleine Anzahl der Fall; mit der Erkenntniß der Ursachen der Krankheiten ist aber noch keineswegs die Kunst erfunden, sie unschädlich zu machen oder zu vermeiden, ganz abgesehen davon, daß Thorheit und Leichtsinn in der großen Mehrzahl der Menschen stark genug sind, um sie trotz solcher Erkenntniß die Gefahr der Krankheit laufen zu lassen, wenn mit ihrer Verhütung Unbequemlichkeiten oder Entbehrungen, sei es auch nur wirklicher oder eingebildeter Genüsse, verbunden sind. Wir brauchen nur Tabak und Wein, Unmäßigkeit, Unregelmäßigkeit und Unzweckmäßigkeit im Essen und Trinken und andern leiblichen Genüssen einerseits, unvermeidliche Erkältungen und Anstrengungen andererseits zu nennen, um Beispiele und Beweise für diese Behauptungen nahe zu legen, während andererseits Diphtherie, Schwindsucht und so viele andere Krankheiten auch mit aller Sorgfalt nicht immer zu verhüten sind. Zu diesem Bekämpfen und Vermeiden der Krankheitsursachen genügt eine oberflächliche Kenntniß hygienischer Grundsätze selbst in den Fällen nicht, wo es sich nur um Entwickelung und Stärkung der Widerstandskraft des Organismus gegen schädliche Einflüsse handelt, z. B. um Abhärtung als Schutz gegen Erkältungen, um die Bestimmung zweckmäßiger Ernährungsweise, um Leibesübungen oder Schonung der Körper- und Geisteskräfte. Bei ähnlichen Anlässen ist oft eine sehr genaue Beurtheilung des in Frage kommenden Menschen, seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in Betreff von Erblichkeit und Anlagen, seiner Lebensverhältnisse und Lebensgewohnheiten etc. nöthig, um den richtigen Weg und das richtige Maß in den Verhütungsmaßregeln zu treffen. Sehen wir doch schon, daß bei der anscheinend so einfachen Abhärtung gegen Erkältungen bei verschiedenen Naturen ganz verschiedene Mittel und Wege benutzt werden müssen, wenn nicht, wie das so häufig vorkommt, Mißgriffe geschehen und Schaden statt Nutzen gestiftet werden soll.

Wir werden also schon hierbei, nämlich bei der Erziehung zur Gesundheit und zur Vermeidung von Krankheiten, der Hülfe von Aerzten nicht entbehren können. Noch viel wünschenswerther ist dies aber bei wirklichen Krankheiten, und zwar nicht blos bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_478.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)