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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Neue Wege zu uralten Lichtquellen.

In der gewaltigsten Tragödie des Aeschylos wird Prometheus zur Strafe für den olympischen Feuerraub an die meerbespülten Felsen des Kaukasus geschmiedet. Vielleicht wählte der Dichter diesen Schauplatz, weil der hellenische Mythos von der Voraussetzung ausging, daß der Titane vom grollenden Zeus an dem Ort bestraft wurde, wo er den Raub zur Erde gebracht hatte. Die ewigen Feuer des Kaukasus aber mögen zu der Vorstellung Anlaß gegeben haben, daß das dem Olymp entrissene Feuer, welches Zeus den Menschen ließ, in jener Felsenwildniß seinen ersten Herd gefunden, denn die ewigen Feuer an der Ostseite des Kaukasus waren sicher schon in vorgeschichtlichen Zeiten berühmt. In jener Gegend, zwölf Werst von Baku, in Surakhani, liegt auch der älteste Altar der Welt, auf dem nie verlöschende Flammen noch heute emporlodern und vor dem einst die Parsen ihre Andacht verrichteten. Dieses Feuer wird von Gasen genährt, die von unterirdischen Erdölschichten herstammen und einem Erdspalt entfliehen. Aelter aber als die Geschichte der Feueranbeter und der Tempel des Zoroaster sind die ewigen Feuer der Halbinsel Apscheron.

Auf diesen einst durch religiösen Cultus geheiligten Stätten hat sich in unseren praktischen Tagen eine bedeutende Petroleum-Industrie entwickelt, deren Mittelpunkt die Stadt Baku bildet, welche den vortrefflichsten Hafen des Kaspischen Meeres besitzt und im Lauf des letzten Jahrzehnts einen ungeahnten Aufschwung genommen hat.

Die Oelregion des Kaukasus, deren Ausläufer man in westlicher Richtung bis nach Tiflis und in östlicher bis zum Fuß des Himalaya verfolgen kann, ist weit reicher als jene Amerikas – sie scheint völlig unerschöpflich zu sein – und doch beträgt gegenwärtig die Oelproduction daselbst jährlich nur ein Sechstel der amerikanischen. Wie kam es nun, daß auf allen europäischen Märkten, ja in Rußland selbst amerikanisches Petroleum in ungeheuren Massen Absatz fand, während man bis vor Kurzem das kaukasische kaum beachtete?

Zunächst erleichterte die russische Regierung den Amerikanern den Sieg dadurch, daß sie die Naphthaquellen verpachtete. Dank dieser Einschränkung betrug im Jahre 1863 die ganze Naphthaproduction nur etwa 100,000 Centner. Im Jahre 1872, als sich das amerikanische Petroleum bereits in der ganzen civilisirten Welt eingebürgert hatte, kam die Regierung des Czaren zu der Einsicht, daß sie die Industrie freigeben müsse, sie parcellirte daher ihre Naphthaländereien, verkaufte die Landtheile und ermuthigte Capitalisten zur Ausbeutung der natürlichen Schätze dieser schwarzen wüstenähnlichen Erde. Im Jahre 1877 betrug die Ausbeute bereits mehr als 3 Millionen Centner, trotzdem aber konnte das kaukasische Petroleum auf den europäischen Märkten mit dem amerikanischen noch nicht in die Concurrenz treten, weil die Transportmittel zu unvollständig und zu kostspielig waren. Die Amerikaner besaßen dicht neben der Oelregion Pennsylvaniens ungeheure Wälder und Sägemühlen mit sinnreich construirten Maschinen, sodaß sich Fässer zur Verschickung des Petroleums billig herstellen ließen. Die amerikanischen Raffinerien lagen zumeist am Erie-See oder an bequemen Wasserläufen und waren mit den Oelquellen durch eiserne Röhren verbunden. Auf diese Weise konnte das Petroleum in Fässern mit geringen Kosten von den Raffinerien aus zu Schiff auf’s atlantische Meer und nach den europäischen Hafenplätzen gebracht werden. Der Kaukasus dagegen lag vom Weltverkehr abgeschnitten. Das der Erde entströmende Naphtha wurde hier bald an Ort und Stelle billiger verkauft als das Trinkwasser in Baku, allein die Transportkosten vertheuerten es ungeheuer. Aus den Bohrlöchern ließ man das Erdöl in große Reservoirs fließen, und oft brach der Oelstrahl mit solcher Mächtigkeit aus dem Bohrloch, daß man weder ein Mittel fand, dies wieder zu schließen, noch auch Reservoirs schaffen konnte, um die Naphthafluth aufzunehmen. Jene überschwemmte darum das Land und bildete Oelteiche und Lachen. Aus den Reservoirs mußte man nun das Naphtha auf zweirädrigen Karren 11 Werst weit zur Destillation transportiren, und dieser Transport kostete 9 Kopeken pro Pud.[1] Da nun 3 Pud Naphtha dazu gehören, um durch die Destillation 1 Pud Petroleum zu erhalten, so betrugen die Kosten für dies 1 Pud Petroleum schon 27 Kopeken, noch bevor dasselbe zu weiterer Verschickung bereit lag.

Mit den Rückständen, welche bei der Abklärung des Naphtha zum Petroleum gewonnen wurden, wußte man derzeit gar nichts anzufangen. Staatsrath Radde, der berühmte deutsche Zoologe, dessen große Forschungsreisen durch Sibirien und den Kaukasus uns die genauere Kenntniß jener Länder vermittelten und welchem Tiflis heute sein musterhaft eingerichtetes Museum zu danken hat, erzählt, daß er den Großfürsten Michael von Tiflis nach Baku begleitet habe, als derselbe seinen Posten als Statthalter im Kaukasus bezog. Der Großfürst und sein Gefolge verließen auf Anregung der Bewohner Bakus jene Stadt bei Nacht, um nach Tiflis zurückzukehren. Als nun die Wagen des Statthalters durch die Oelregion fuhren, sahen die Reisenden eine weite magisch beleuchtete Allee vor sich. Die Oelpächter hatten nämlich zu beiden Seiten des Weges aus den Klumpen der Naphtha-Abfälle Kegel aufgerichtet, die sie bei einbrechender Nacht in Brand steckten. Der Wind ließ die Flammen dieser seltenen Fackeln mächtig wachsen und auflodern, und nun jagten die Gespanne zwischen diesen im mächtigen Dunkel gespenstig flackernden und prasselnden Flammen mit Windeseile hin. Der neue Statthalter und seine Begleiter genossen so auf dem Wege über die Halbinsel Apscheron eine Straßenbeleuchtung, wie sie pittoresker und phantastischer wohl kaum jemals geboten wurde. Wir erwähnen dieses Nachtbild nur, um darzuthun, wie wenig man derzeit mit den ungeheuren Massen der Naphtha-Rückstände anzufangen wußte. Aber auch das gereinigte Petroleum konnte man nicht dem großen Handelsmarkte zugänglich machen. Der Bau der transkaukasischen Eisenbahn nach Tiflis und Batum hatte derzeit noch gar nicht begonnen, und man mußte das Petroleum in Fässern mit Segelschiffen nach Astrachan versenden. Von dort wurde dasselbe umgeladen und die Wolga hinauf nach Nischny-Nowgorod gebracht. Die Fässer aber vertheuerten das Petroleum um 30 bis 60 Kopeken pro Pud. Ein großer Uebelstand bei dieser Art der Verschickung lag außerdem darin, daß die Segelschiffe von Wind und Wetter abhingen und daß die Wolga im Winter zugefroren, also nicht passirbar war. So blieben die ungeheuren Schätze für die volkreichen Staaten Europas fast unerreichbar.

Darum scheiterten auch alle Anstrengungen der Besitzer großer Naphthaländereien an der Transportfrage. Kokorew war unter ihnen

  1. 1 Pud = 16,38 Kilogramm. 1 Kopeke = 3,2 Pfennig.


Anlagen der Gesellschaft Gebrüder Nobel in Zaryzin an der Wolga.
A ist eine schwimmende Landungsbrücke, auf der sich ein Dampfkessel und eine Dampfpumpe befinden, vermittelst welcher man die flüssige Waare aus den Transportschiffen B durch die Rohrleitung C, nach den Reservoiren D, welche 120 Fuß über dem Niveau der Wolga liegen, hinauf pumpt. Von diesen Reservoiren fließt das Petroleum von selbst nach den Waggon-Cisternen, welche untenzu einem Zuge combinirt zu sehen sind. E sind die Wohnhäuser der Beamten. F ist eine mechanische Faßbinderei, T ein Wasserthurm und K die Stadt Zaryzin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_496.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)