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verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Petroleum-Niederlage in Baku.

der Erste, welcher aus kaukasischem Naphtha Petroleum zu gewinnen suchte. Als die Regierung ihr Land versteigerte, kaufte Kokorew ungeheure Naphthaterrains an, und da er die der Erde entströmenden Gase nicht unbenützt lassen wollte, so legte er seine Fabrik neben dem alten Tempel Zoroaster’s an, und die aus Erdspalten hervordringenden Gase wurden verwendet, um die Kessel der Raffinerien zu heizen. Nun besaß die Fabrik ein Heizmittel, das sie gar nichts kostete, aber die Werke lagen 17 Werst vom Meer entfernt und hatten kein Wasser. Bald stellte sich heraus, daß Kokorew bei der Anlage höchst kurzsichtig verfahren, denn die Gase, welche man umsonst hatte, waren auch völlig werthlos. Es stellte sich nämlich sehr bald für die Fabrik ein unangenehmer Ueberfluß heraus. Bei der Destillation blieben die Rückstände übrig, welche das herrlichste Brennmaterial abgaben und die man 17 Werst vom Hafen nicht zu verwenden wußte. Die Kosten des Transports waren dagegen so bedeutend, daß sie den Ertrag verschlungen hätten. Auf diese Weise erstickte Kokorew im eigenen – Oel, und der Gedanke, die ewigen Feuer als kostenfreies Heizmaterial zu verwenden, führte seinen Ruin herbei.

Die verzweifelte Lage der Naphtha-Industrie wurde zuerst von dem schwedischen Maschinenbauer Ludwig Nobel, einem Bruder Alfred Nobel’s, des Dynamit-Erfinders, klar erkannt, und dieser Riese an Unternehmungsgeist und schöpferischer Kraft fand auch sehr bald die rechten Mittel zur Ueberwindung aller Hindernisse. Er gelangte im Kaukasus bald zu der richtigen Erkenntniß, daß die Gewinnung billigen Naphthas von fast nebensächlicher Bedeutung sei, da dieses Rohmaterial im Ueberflusse und zu wahren Spottpreisen vorhanden war. Die schwierigste Aufgabe lag in der Beschaffung billiger Transportmittel, und diese löste er in so genialer Weise, daß er zum Retter des Naphthalandes wurde. Im Jahre 1875 rief Ludwig Nobel mit einem Capitale von drei Millionen Rubel „Die Naphtha-Productions-Gesellschaft der Gebrüder Nobel“ in’s Leben. Zunächst verband er seine Oelquellen, welche etwa 12 Werst vom Hafen lagen, durch eiserne Röhren mit Baku. Das Erdöl strömt fortan in ungeheure eiserne Reservoirs und von diesen aus durch die Röhren frei nach den in Baku gelegenen Reinigungsanstalten, wo es raffinirt wird. Dank jener Zuleitungsröhren fallen die Kosten für den ersten Transport jetzt vollständig weg, und man kann das Naphtha aus den großen Reservoirs ganz nach Bedarf den Reinigungsanstalten zulaufen lassen. Da die letzteren nun am Hafen liegen, so läßt sich das Petroleum sofort und ohne erhebliche Kosten auf die Schiffe überführen.

Eine Erdölquelle in Baku.

Ein weiteres Hemmniß – und zwar das größte von allen – für die Verschickung des Petroleums lag in der Verpackung durch Fässer. Der geniale Schwede machte sie vollständig entbehrlich. Er ließ in Schweden eiserne Dampfer bauen, welche außer der Schiffsmaschine und einigen Deckhäuschen nur große Bassins zur Aufnahme des raffinirten Petroleums enthielten. Von den am Hafen gelegenen Reservoirs der Raffinerie ließ man nun das Petroleum in die Dampfer fließen und fuhr mit diesen über das Kaspische Meer nach Astrachan und von dort die Wolga hinauf bis nach Zaryzin, jenem wichtigen Eisenbahnknotenpunkte südlich von Saratow, wo das Oel mittelst der Locomotive gen Norden und Westen weiter befördert wird. Um die Umladung möglichst einfach bewerkstelligen zu können, legte Nobel in Zaryzin hochstehende eiserne Reservoirs an, in die der Inhalt der anlangenden Dampfer durch eine Dampfpumpe entleert wird. Aus den Centralreservoirs zu Zaryzin läßt man dann das Petroleum in die mit eisernen Kesseln versehenen Waggons ab. Diese Eisenbahnwagen sind vollkommen zweckentsprechend gebaut und werden zu großen Petroleumzügen rangirt. Die Ueberführung der colossalen Flüssigkeitsmassen von den Dampfern zu den Centralbassins und von diesen zu den kesselartigen Eisenbahnwaggons wird durch die von wenigen Personen geleiteten Maschinen so einfach vollzogen, daß fremde Besucher die ungeheuren Anlagen für verödet halten müßten, wenn sie nicht das Geräusch der ruhig arbeitenden Dampfpumpe vernähmen, welches dem Athemholen eines Riesen gleicht.

Selbstverständlich erforderte die Durchführung des neuen Systems einen ungeheuren Aufwand von Capital und Arbeitskraft. Gegenwärtig verbinden in Baku sechs kolossale Zuleitungsröhren die Naphthaquellen mit den am Hafen gelegenen Raffinerien. Die Gesellschaft besitzt ein weites Terrain zu Balathani, auf welchem 45 Quellen im Betriebe sind. Charles Marvin, der bekannte englische Zeitungscorrespondent, erzählt in seiner Schrift über Baku, die Gebrüder Nobel hätten im letzten Jahre eine Quelle aufgeschlossen, welche 200 Fuß hoch in die Luft stieg und an 42 Tagen gegen 150 Millionen Liter Naphtha auswarf. Alle Anstrengungen, diese Quelle, deren Fluth man nicht zu sammeln vermochte, wieder zu verschließen, erwiesen sich dem mächtigen Oelstrahle gegenüber als vergeblich. Die Raffinerien der Gesellschaft in Baku vermögen heute 500,000 Centner gereinigtes Petroleum per Monat zu liefern. Die Werke arbeiten bis jetzt jedoch nur acht Monate im Jahre, da die Wolga der Schifffahrt im Winter verschlossen ist.

Die Vermehrung der Transportmittel für diese Massenproducte ist eine ganz erstaunliche. Im Jahre 1878 ging der erste Petroleumdampfer der Gebrüder Nobel, welcher den passenden Namen „Zoroaster“ trug, von Baku nach Zaryzin ab. Heute, wo das Grundcapital der Gesellschaft auf 10 Millionen Rubel erhöht ist, besitzt dieselbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1884, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_497.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2023)