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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Heimath zurückkehren werde, sobald er sich ein kleines Vermögen erworben habe. Am 4. Februar 1883 entdeckte nun die Guardia Civil, auf Grund von vertraulichen Mittheilungen und Gerüchten, nach längerem Nachforschen in der Nähe von Jerez an abgelegener Stelle in geringer Tiefe unter dem Erdboden einen Leichnam, der sich dort mindestens 60 Tage befunden haben mußte und der die Spuren der Tödtung durch Flintenkugeln und Messerstiche aufwies. Die sofort angestellten Untersuchungen richteten sich gegen die Brüder Corbacho, und es stellte sich alsbald heraus, daß diese und 14 Genossen in der Nacht des 4. December 1882 den Blanco an der Stelle, wo man seinen Leichnam fand, ermordet, begraben und später auch den obigen Brief geschrieben hatten. Der gegen die Verbrecher angestrengte Proceß und die öffentlichen Gerichtsverhandlungen vom 5. bis 14. Juni 1883 ergaben folgendes Resultat.

Blanco de Benaocaz gehörte, wie die Angeklagten, einer geheimen Arbeitergenossenschaft an – die nun eben mit der früher bereits bekannt gewordenen „Schwarzen Hand“ identificirt wurde – und zwar der Section von Alcornocalejo, an deren Spitze Francisco Corbacho Lago als Präsident, Pedro Corbacho als Vicepräsident, Juan Ruiz y Ruiz als Secretär standen und der auch die andern Angeklagten als Mitglieder angehörten. Sei es, daß der Umstand, daß die Brüder Corbacho Blanco’s Schuldner waren, diesen unbequem war, sei es, daß Blanco durch eine Liebschaft mit einer Verwandten der Corbacho’s die Eifersucht derselben geweckt hatte, sei es, daß er sich gegen die Satzungen besagter geheimer Gesellschaft vergangen hatte, kurz – gegen den 4. December wurde in der Wohnung des Genossen Bartolomé Gago’s de los Santos, der „Decurial“ der Section war und als solcher die Geldbeiträge der ihm unterstellten 10 Mitglieder seiner Abtheilung einzucassiren hatte, eine Versammlung der Angeklagten abgehalten und in derselben von den Corbacho’s das Todesurtheil gegen Blanco beantragt. In Folge von Meinungsverschiedenheiten konnte dasselbe nicht zum Beschluß erhoben werden; am 4. December fand aber eine zweite Vereinigung im Hause von Ruiz y Ruiz statt, und das Ergebniß derselben war, daß die Jüngsten der Vereinigung das von dem Secretär ausgefertigte und vom Präsidenten unterzeichnete Todesurtheil noch an demselben Tage zu vollstrecken hätten. Dieser Urtheilsspruch wurde in der Oelmühle von Parrilla dem „Decurial“ Bartolomé Gago de los Santos übergeben, der für die Ausführung desselben einzustehen hatte.

Da sich Blanco gerade bei dem Decurial, seinem Vetter, befand, so ordnete dieser an, daß sein Bruder Manuel Gago de los Santos sich mit Blanco in ein nahe gelegenes Wirthshaus begeben und dort die Executoren erwarten sollte. Inzwischen berief Bartolomé die Mitglieder seiner Abtheilung, und las ihnen das ihm übersandte Todesurtheil vor, das allgemeine Billigung fand. Daraufhin wurden nun die Jüngsten der Versammlung zur Vollstreckung des Urtheilsspruchs erwählt und einige andere Genossen angewiesen, sich ebenfalls zur Hülfeleistung an dem genau bestimmten Orte der „Hinrichtung“ einzufinden. Alle diese Befehle und Dispositionen wurden auf das Genaueste ausgeführt, und Blanco de Benaocaz wurde denselben gemäß ermordet.

Dies ist in kurzen Zügen der Sachverhalt, wie ihn die Verhöre ergaben, und das daraufhin gefällte Urtheil des Gerichtshofes von Jerez lautete für sieben Angeklagte auf Tod, für die andern neun auf siebenzehn Jahre Kette und Verlust aller Bürgerrechte. Im Frühjahr dieses Jahres kam die Sache noch einmal zur Verhandlung und zwar vor dem Madrider Obertribunal, das bei 15 Individuen auf Tod, bei dem 16. Angeklagten auf schwere Kerkerstrafe erkannte. Hiergegen wurde noch einmal Berufung versucht, diese wurde jedoch abgelehnt, aber der Staatsanwalt that Angesichts dieser großen Zahl von Opfern der Gerechtigkeit sein Möglichstes, um dieselben der Milde des Ministeriums und des Königs anzuempfehlen, und das Endurtheil lautete denn nun auf Tod bei neun, auf schwere Kerkerstrafen bei den sieben andern Angeklagten. Einer der zum Tode Verurtheilten hatte sich jedoch im Kerker schon einige Wochen früher das Leben genommen, ein anderer zeigte Spuren von Geistesstörung, die Vollziehung der Strafe wurde daher bei ihm hinausgeschoben, bis die Gerichtsärzte ihr Urtheil abgeben würden, und die sieben andern wurden am 14. Juli von den drei ersten Scharfrichtern des Königreichs auf öffentlichem Platze und unter Anwesenheit großer Menschenmassen garrottirt. Die Regierung befürchtete, daß die Vollstreckung des Urtheils möglicher Weise Unruhen in der Arbeiterbevölkerung hervorrufen könnte, es waren daher für diesen Fall umfassende Vorkehrungen getroffen worden, die furchtbare Handlung verlief aber ohne größere Störungen.

Die Behörden hatten schon seit mehreren Jahren Kunde von geheimen socialistischen Arbeitervereinen erhalten, und eine ganze Reihe von Verbrechen mysteriösen Charakters, die Aehnlichkeit hatten mit denen der Fenier, waren dem Volkstribunal der „Schwarzen Hand“ zugeschrieben worden. Die tüchtigsten Beamten wurden angestellt, um diese furchtbare Institution zu studiren; bei den verschiedensten Gelegenheiten waren denn auch gravirende Documente aufgefunden worden, trotzdem blieben alle Versuche, ein vollständiges Bild dieses geheimnißvollen Arbeiterbundes zu gewinnen, vergebens. Dieser Proceß gegen die Mörder des Blanco de Benaocaz hat nun zwar mehr Licht über das „Volkstribunal“ verbreitet, trotzdem ist es nicht gelungen, die ganze Organisation zu durchschauen, und die in den Proceß Verwickelten haben theils standhaft jede Kenntniß der Existenz der „Schwarzen Hand“ geleugnet, theils ganz vage Mittheilungen gemacht und jede weitere Auskunft verweigert. Daher ist es gekommen, daß die Vorstellungen von der in allen Kreisen eine Zeit lang so sehr gefürchteten „Schwarzen Hand“ ganz unbestimmt geblieben sind, daß es heute noch Viele giebt, die an die Existenz dieses agrarischen Vehmgerichts nicht glauben, daß Andre die zahllosen Geheimbünde, die unter den Arbeitern Andalusiens bestehen und etwa 40,000 Individuen umfassen sollen, in ihrer Gesammtheit als die „Schwarze Hand“ bezeichnen, und das scheint uns nach Zusammenstellung alles vorhandenen Materials das Richtige zu sein. Als vor einigen Jahren in einer kleinen Ortschaft Andalusiens das Begräbniß eines Arbeiters stattfand, strömten zu demselben von allen Seiten große Massen von Arbeitern zusammen, und als man sie fragte, was das zu bedeuten habe, erklärten die Gefragten, der Todte sei ein Bruder ihres Bundes gewesen.

Die Existenz derartiger Arbeiterbündnisse läßt sich mindestens bis zum Jahre 1873 zurück nachweisen, und die Organisation derselben ist zum Theil eine so vollendete gewesen, daß man sie nur auf das Einwirken der ausländischen socialistischen und nihilistischen Elemente zurückführen kann.

Die Regierung that natürlich ihr Möglichstes, um mit diesen Geheimbünden aufzuräumen, und sie glaubte schon vor mehreren Jahren, daß ihr das gelungen sei. Da bewies das Verbrechen vom 4. December 1882, wie wenig es ihr geglückt sei, und wenn sie jetzt glaubt, die socialistische Bewegung durch den Monstreproceß völlig erstickt zu haben, so sieht sie seit einigen Tagen, daß auch diese Annahme durchaus falsch und illusorisch ist, denn nicht allein sind im vorigen Jahre und in den letzten Monaten wieder eine Reihe von Verbrechen höchst eigenartigen, geheimnißvollen Charakters vorgekommen, die der „Schwarzen Hand“ zugeschrieben wurden, sondern vor einigen Tagen wurde auch in Alhama bei Granada das aus zwölf Männern bestehende Präsidium eines localen Arbeiterverbandes von Alhama bei einer Sitzung überrascht, und die beschlagnahmten Siegel wiesen die Bezeichnung „Federacion“ auf, während aus einzelnen Documenten ersichtlich wurde, daß der Verband dieses kleinen Oertchens allein über zweihundert Mitglieder umschließe.

Ehe wir nun auf die Ursachen des Entstehens so vieler socialistischer und anarchistischer Vereinigungen in Andalusien eingehen, dürfte es interessant sein, einzelne der bei Gelegenheit des letzten großen Processes aufgefundenen Documente zur Kenntniß zu bringen.

Zunächst fanden sich im Besitz der Angeklagten Exemplare einer beträchtlichen Anzahl verschiedenartiger socialistischer und anarchistischer Zeitschriften und Flugblätter, die „Der Arbeiterfreund“, „Die Sünde Kain’s“ betitelt waren, sowie ein Kalender, welcher die von der französischen Revolution adoptirte Zeitrechnung nach Decaden und ferner alle für die Geschichte des Socialismus und Nihilismus bemerkenswerthen Daten und außerdem Aufsätze enthält, die in dem bekannten Geiste des Anarchismus abgefaßt sind.

Neben diesen mehr öffentlichen Druckschriften wurden eine Anzahl geheime Couponbücher, ferner sehr sauber gehaltene Cassenbücher u. dergl. m. gefunden; am interessantesten ist aber ein in Bleistift entworfenes, vielfach corrigirtes Schriftstück, das wohl zum Drucke bestimmt war und als Statuten-Entwurf betrachtet werden darf. Es heißt darin:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_515.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)