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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Blätter und Blüthen.

Die Erderschütterungen in Staßfurt.

„Habt Acht!
Halt mit Wacht
An diesem Schacht,
Du liebe Vaterstadt!
Daß er niemals untergehe,
Daß er fort und fort bestehe
Zum Wohl der Stadt.

Aus zehntausend Bergmannshänden
Mög’ er seine Schätze senden,
Segensfülle reichlich spenden
Für Staat und Stadt.
Niemals hör’ man aus ihm Wehe,
Allen drinn es wohlergehe!
Gottes Segen ruhe drauf!
  Glück auf!“

Mit diesen Wünschen begrüßten die Bürger Staßfurts die feierliche, im Jahre 1852 erfolgte Eröffnung des Schachtes inmitten ihrer Vaterstadt, und drei Jahrzehnte hindurch spendete das Steinsalzbergwerk den erhofften Segen. Der reiche Gehalt seiner Lager an Kalisalzen gab bald Veranlassung zur Gründung großer chemischer Fabriken, durch welche Staßfurt gegenwärtig einen großen Theil der Welt mit concentrirten Kalisalzen versorgt. Erst in den letzten Jahren wurde die Bergmannsarbeit unerwarteter Weise zu einer Quelle tiefer Beunruhigung für die strebsamen Einwohner der weit und breit bekannten Fabrikstadt, die in dem fruchtbaren Bodethal dicht an der anhaltischen Grenze im preußischen Regierungsbezirk Magdeburg gelegen ist und gegenwärtig 15,000 Einwohner zählt.

Schon in grauer Vorzeit wurden hier Salzquellen in reicher Anzahl entdeckt, aus welchen bis in die neuere Zeit auf preußischem und anhaltischem Gebiete Soolsalz gewonnen wurde. Die preußische Saline war früher im Besitz einer adligen Pfännerschaft und wurde von dieser 1796 an den preußischen Staat verkauft. Dieser konnte aber, weil an verschiedenen Punkten der Gegend südlich vom Harze Steinsalz erbohrt war, sich mit der Verarbeitung der schwachen Soole nicht mehr begnügen, und ließ deshalb am 24. April 1839 auf dem Hofe der Staßfurter Saline nach Steinsalz bohren. In einer Tiefe von 256 Meter gelangte man im August des Jahres 1843 auf ein Steinsalzlager, in welchem die Bohrarbeit 325 Meter fortgesetzt wurde, ohne damit seine untere Grenze zu erreichen. Die Arbeiten zur Hebung des reichen Salzschatzes wurden nun fleißig fortgesetzt, sodaß am 31. Januar 1852 die Inangriffnahme des Förderschachtes erfolgen konnte. Auch der anhaltische Staat brachte in nächster Nähe Staßfurts einen Schacht zwecks Salzbergbaues nieder, dessen Grubenbaue von denen des preußischen Bergwerks zur Zeit in den oberen Sohlen nur durch eine stehengelassene Wand von 50 Meter Stärke getrennt sind.

Erdsturz bei Leopoldshall.

In beiden Werken ist der Abbau in der Weise erfolgt, daß in gewissen Entfernungen Salzpfeiler stehen gelassen sind, welche die auf ihnen lagernde Last zu tragen haben, und zwar ist im preußischen Werke der Abbau in 7 über einander liegenden Etagen erfolgt. Jede Etage ist circa 8 Meter hoch, und von der über ihr liegenden durch ein Salzzwischenmittel von 5 Meter Stärke getrennt.

Auch in Leopoldshall, dem anhaltischen Schachte, ist Etagenbau getrieben. Von einem sonstigen Stützen des Hangenden, als durch die stehengelassenen Salzpfeiler, glaubte man wohl wegen der bedeutenden Tiefe der Schächte und angesichts dessen, daß sich über das Salzlager eine felsenfeste, viele Meter starke Anhydritdecke wölbt, absehen zu dürfen.

Vor etwa fünf Jahren aber merkte man zuerst in Leopoldshall, daß die Pfeiler einiger Etagen nachzugeben begannen: die Ausdehnung der untertrdischen Baue war wegen des starken Betriebes so groß geworden, daß die natürliche Spannung im Hangenden aufgehoben wurde, und so erfolgte, da die Salzlagen in schräger Richtung einfallen, ein Abgleiten der betreffenden Tragflächen und in Folge dessen ein Einstürzen der Pfeiler. Mehrere Etagen brachen nach und nach in einander zusammen, sodaß dieselben verlassen werden mußten. Diese kolossalen Zusammenbrüche wirkten natürlich bis zur Oberfläche, und fast täglich verspürte man Erschütterungen in Leopoldshall und dem benachbarten Staßfurt. Die Folge war, daß die anhaltische Regierung mehrere durch die fortwährenden Bewegungen unbewohnbar gewordenen Leopoldshaller Wohnhäuser ankaufen und abbrechen lassen mußte.

Die größte Aufregung in beiden Nachbarorten rief es hervor, als im vorigen Jahre im Südosten von Leopoldshall in unmittelbarer Nähe des dortigen Wasserwerkes ein Tagebruch mit einem Durchmesser von circa 20 Meter und einer Tiefe von etwa 18 Meter erfolgte (vergl. nebenstehende Abbildung). Später stellte sich heraus, daß hier ein Erdfall vorliegt, welcher auf das Zusammenbrechen einer Gypsschlotte zurückzuführen ist, der das Wasser durch die Grubenbaue entzogen war. Nach und nach jedoch, und zwar im Frühjahr 1883, waren die Erschütterungen in Staßfurt immer kräftiger geworden. Bedeutende Erdsenkungen bis zu 1/2 und 3/4 Meter fanden statt, namentlich in der Ritter- und Wallstraße. Hier sind darum auch die am schwersten beschädigten Häuser, welche zum Theil bereits geräumt sind, zu finden. Nach einer noch im Lothe stehenden Wand kann man in den am meisten gesunkenen Theilen dieser Straßen (z. B. der Ritterstraße) wohl vergeblich suchen; die Fenster und Thüren mehrerer Häuser sind zusammengedrückt, sodaß sie mit starken Holzpfosten ausgekleidet werden mußten, die Wände geborsten, sodaß man von der Straße aus in das Innere der Zimmer schauen kann etc. Auch neuerdings haben wieder einzelne Häuser auf polizeiliche Anordnung geräumt werden müssen, weil ihr Einsturz droht.

Die hinter der Wallstraße führende Stadtmauer ist durch Zimmerung gestützt worden. – Von hier aus kann man die Verheerungen an Gebäuden über den großen Oekonomiehof der Firma Bennecke, Hecker u. Comp. bis nach dem Sandplatze und den angrenzenden Straßen desselben, sowie über den Marktplatz weg verfolgen. Auch die auf diesem stehende St. Johanniskirche hat derart gelitten, daß sie bis auf Weiteres geschlossen worden ist. – Auf Seiten der Staßfurter Bergwerksverwaltung glaubte man Veranlassung zu haben, den Herd der im Staßfurter Gebiet nunmehr stärker fühlbaren Oberflächen-Erschütterungen in fortgesetzten Gebirgszerstörungen über dem zunächst liegenden Theile der Leopoldshaller Grube zu suchen, welcher in Folge der Pfeilerbrüche seit mehreren Jahren nicht mehr zugänglich war. Nach weiterem Verlaufe der Erschütterungen wurde die Gegend zwischen den beiden Grubenfeldern und der oberen Grenze der preußischen Grube als Ausgangspunkt der Erschütterungen erkannt.

Behufs objectiver Erörterung der in Betracht kommenden Verhältnisse wurde von den beiderseitigen Regierungen eine Commission von bergmännischen Fachmännern zusammenberufen. Dieselbe erkannte an, daß die betreffenden Erschütterungen in Berstungen des Anhydritlagers ihre unmittelbare Veranlassung haben, daß ferner zwischen den Berstungserscheinungen einerseits und den Senkungserscheinungen an der Oberfläche in dem Stadtgebiete Staßfurt, sowie den Druckerscheinungen im preußischen Salzwerke andererseits ein Zusammenhang besteht.

Der Eimvohnerschaft Staßfurts hatte sich begreiflicher Weise eine lebhafte Unruhe bezüglich der Erhaltung des Eigenthums bemächtigt, ja

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_534.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)